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Drachenfeuer (Grindeldore AU)

Summary:

September 1898: Gellert Grindelwald, einst Schüler auf Durmstrang, wechselt für seine letzten beiden Schuljahre an die Schule für Hexerei und Zauberei - Hogwarts. Dort ist er auf der Suche nach Antworten und nach Menschen, die bereit sind, ihm im Sinne seiner Ideen zu dienen und zu folgen.
Sein Ehrgeiz erreicht neue Ausmaße, als Schulleiter Professor Phineas Nigellus Black das Trimagische Turnier ankündigt, denn Gellert sieht darin die Möglichkeit, die Bekanntheit und Anerkennung zu erlangen, die er braucht, um seinem Ziel einer gerechteren Welt näherzukommen.
Doch dazu muss er erst einmal an Albus Dumbledore vorbei - dem beliebten Schulsprecher aus dem Siebten Jahr, den alle Welt zu bewundern scheint. Dessen Charme sieht Gellert jedoch bald als Chance, um Gefolge um sich zu scharen. Nur vergisst er dabei, dass auch er Gefühle hat, die ihm im Wege stehen könnten...

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Was wäre passiert, wenn Gellerts und Albus' Wege sich schon früher gekreuzt hätten - in Hogwarts? Was würde es am Laufe der Geschichte ändern?

Chapter 1: Anschlussprobleme

Chapter Text

Die Uhr schlug 11. Der klapprige Zug setzte sich mit dem ersten Glockenschlag in Bewegung und es gelang mir geradeso, im Rennen eine der Türen aufzureißen und einzusteigen. Kaum hatte ich beide Füße fest auf dem Boden, umfuhr der Zug eine Kurve und die Tür fiel krachend hinter mir zu.

Ich atmete tief durch. Dabei stieg mir langsam ein modriger Geruch in die Nase. Er weckte Erinnerungen an das alte Archiv, das ich vor Kurzem besucht hatte. Dort hatten in den hintersten Ecken fleckige und von Spinnenweben überzogene Sessel gestanden. Denselben Flair verströmte dieser Zug.

Ich seufzte und quetschte mich mit grimmiger Miene an einem mickrigen Jungen vorbei, um mir einen Platz zu suchen. Langsam schritt ich den Gang entlang und spähte in die Zugabteile hinein. Frei war keines.

Am vorderen Ende des Zuges blieb ich frustriert stehen. Mein Blick glitt durch die Scheibe des vordersten Abteils direkt neben mir. Im Inneren sah ich einen Jungen sitzen, in aufrechter Haltung und mit einem Buch in der Hand. Seine rotbraunen Haare fielen ihm in dezenten Wellen auf die Schultern, seine Gesichtszüge waren sanft und elegant gleichermaßen. Ihm gegenüber saß ein Mädchen und redete ununterbrochen auf ihn ein. Der arme Kerl.

Ich schob die Tür beiseite und war im Begriff, einzutreten, da erhob sich die Schülerin und stellte sich mir in den Weg. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ich verfolgte amüsiert, wie ihr Blick zwischen meinen beiden Augen hin- und her huschte – das Standardprogramm. Ich war es gewohnt.

„Was ist?“, blaffte ich forsch und stellte mit Genugtuung fest, dass das Mädchen ein Stück zurückwich.

„Das ist das Abteil für die Vertrauensschüler und Schulsprecher“, klärte sie mich in einem wichtigtuerischen Ton auf. In dem Versuch, sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen, deutete sie bedeutungsvoll auf den Anstecker an ihrem Umhang. Schulsprecherin stand darauf.

Meine Mundwinkel zuckten. „Und?“ Herausfordernd sah ich sie an. „Ich habe sonst keinen Platz gefunden und es liegt wohl kaum in meiner Verantwortung, dass die Schule sich keinen Zug leisten kann, in dem jeder Schüler einen Platz findet.“

Die Schülerin verschränkte die Arme. „Irgendwo findet sich schon noch ein Platz. Wie war gleich dein Name?“

„Das hat dich nicht zu interessieren“, entgegnete ich kühl.

Empört stemmte sie die Arme in die Seite und drehte sie sich zu dem Kerl hinter ihr um, auf den sie mir mit ihren breiten Schultern die Sicht versperrte. „Kennst du den, Albus?“, fragte sie.

Der Junge – Albus – erhob sich. Er legte dem Mädchen eine Hand auf den Arm und schob sich an ihr vorbei zu mir.

„Hi“, sagte er und lächelte. „Nimm’s nicht persönlich.“ Er warf einen Seitenblick auf seine Mitschülerin. „Seit letztes Jahr eine Horde halbwüchsiger Slytherins dieses Abteil besetzt und verwüstet hat, versteht Lucy bei solchen Sachen keinen Spaß mehr.“

„Und du lässt keinerlei Autorität walten!“, zischte sie.

„Es schadet niemandem, wenn ich ihm kurz dabei helfe, einen Platz zu finden, oder?“

Als ob ich deine Hilfe bräuchte.

Das Mädchen sah zwischen mir und diesem Albus hin und her, suchte nach einem Argument dagegen. Sie fand keines und wandte sich demonstrativ ab. Dabei zog ihr pechschwarzes Haar einen Bogen durch die Luft.

„Komm“, sagte Albus und legte eine Hand auf meine Schulter. „Wir finden einen Platz für dich.“

„Ist das ein Rauswurf?“, fragte ich. Er schob mich sanft auf den Gang und schloss hinter uns die Tür. Ich drehte mich zu ihm um.

„Du bist neu, oder?“, überging er den Versuch, eine Diskussion anzufangen. Sein Blick bohrte sich in meinen, durchleuchtete mich – nicht auf unangenehme Art. In seinen Augen lag ehrliches Interesse, da war keine Skepsis und er schaute nicht verwirrt von einer meiner Iriden zur anderen.

Ich nickte knapp.

„Dann heiße ich dich im Namen aller Willkommen. Ich bin Albus.“ Lächelnd streckte er mir seine Hand entgegen.

Amüsiert hob ich die Augenbrauen. Er war der erste Zauberer, der darauf verzichtete, mir einen enorm bedeutsamen Nachnamen unter die Nase zu reiben, und bestand auf einen Handschlag. Nach kurzem Zögern ergriff ich seine Hand und drückte sie. „Gellert Grindelwald.“

„In welchem Jahr bist du, Gellert?“, fragte er.

„Im Sechsten. Ich stecke euch trotzdem alle in die Tasche. Der Lehrstoff hier ist Kinderkram.“

Albus‘ Mundwinkel zuckten. „Die meisten Kinder haben dafür bessere Manieren als du.“

Ich verengte meine Augen. „Sag das zuallererst deiner Freundin da“, entgegnete ich und deutete zurück in das Abteil. „Denn als ... Schulsprecherin“, ich legte Gewicht auf dieses Wort, „ist vornehmes Benehmen erst recht von Bedeutung.“

„Wenn du ein Date mit ihr anstrebst, beeile dich. Sie ist ziemlich begehrt bei uns.“ Ich hatte mich in die Mitte geschmacksverirrter Dummköpfe manövriert.

„Ich verzichte, danke.“

Albus lachte und klopfte mir auf die Schulter. „War ein Scherz. Komm, ich stelle dir zwei meiner Mitschüler vor. Wir sind im Siebten Jahr, aber wenn du so weit voraus bist mit deinen Forschungen und Fähigkeiten, hältst du locker mit ihnen mit.“

Und mit dir erst recht.

Albus schlenderte ein paar Schritte zum übernächsten Abteil, dessen Tür er aufschob. Er trat ein und ich folgte ihm mit energischen Schritten, blieb neben ihm stehen.

„Das sind Elphias und Owen“, stellte er mir seine Mitschüler vor. Sein Blick glitt von ihnen zu mir. „Und das ist Gellert. Er ist im Sechsten Jahr. Aber es ist kein Problem, wenn er sich zu euch setzt, oder?“

„Bin ich ein verfluchter Erstklässler?“, zischte ich ihm zu. Er ignorierte es.

„Kein Problem“, erwiderte der Kleinere – Elphias – auf Albus‘ Frage und rutschte ein Stück zur Seite, um mir Platz zu bieten.

„Scheint, als seist du hier ausgezeichnet aufgehoben“, stellte Albus mit einem zufriedenen Lächeln fest, bevor er die Hand hob, sich an mir vorbei nach draußen schob, die Tür schloss und wieder verschwand. Ich sah ihm perplex nach. War das sein Ernst?

„Du bist neu?“, fragte Elphias mit aufmerksamer Miene.

„Was denkst du denn?“, murmelte ich und ließ mich dabei auf den Sitz neben ihn fallen.

Owen warf mir einen finsteren Blick zu. Elphias aber zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. „Hätte ja sein können, dass ich dich übersehen habe.“

„Mit übersehen werden habe ich keine Erfahrung.“

Mein kühler Ton schien ihn nicht zu kümmern. „Ich ebenfalls nicht“, erwiderte er munter. „Bevor die Schule anfing –“

Er unterbrach sich, weil der andere Junge ihm einen scharfen Blick zuwarf.

„Was ist los, Owen?“, fragte Elphias irritiert.

„Du kennst den nicht. Ich wäre wachsam mit Informationen, die ich an ihn weitergebe.“ Er wandte sich voller Misstrauen mir zu. „Wieso fängst du im Sechsten Jahr an?“

„Ich war vorher auf Durmstrang“, antwortete ich.

„Und weshalb bist du dort nicht geblieben?“

Zum ersten Mal erkannte ich Unmut in Elphias‘ Zügen. „Lass ihn in Ruhe, Owen. Er hat dir doch nichts getan.“

„Er ist offen feindselig. Ich verstehe nicht, wieso Albus ihn hier abgeladen hat. Der bringt nur miese Stimmung.“

„Weil ich auf der Suche nach einer neuen Herausforderung war“, beantwortete ich Owens‘ Frage, ohne auf den Wortwechsel der beiden einzugehen. „Ich bin mir nur nicht sicher, ob diese Schule dafür die richtige Wahl war.“

Owen schnaubte. „Siehst du, was ich meine, El?“

Elphias schien unbeeindruckt. „Du wirst Hogwarts lieben“, sagte er beschwingt an mich gewandt. „Für uns ist es inzwischen ein Zuhause. Nicht wahr, Owen?“ Der brummte missfällig.

Schulterzuckend zog ich meine aktuelle Lektüre aus dem Koffer: Es war ein altes Werk, dick und in Leder gebunden, unscheinbar – wenn man von den Zaubern absah, die ich aus Spaß darauf gelegt hatte: An den Ecken und auf dem Einband klafften schwarze Löcher, die endlos tief zu sein schienen, wenn man hineinblickte. Rauch stieg aus ihnen empor, dicht und undurchdringlich.

Es zeigte Wirkung. Mit Genugtuung bemerkte ich aus den Augenwinkeln, dass Owen eingeschüchtert zwischen mir und dem Buch hin- und herblickte. Er stieß Elphias an, der stur geradeaus stierte und sich scheinbar nicht beirren ließ. Ich wandte mich meiner Lektüre zu.

Die Stunden stolperten vor sich hin. Ab und zu sah ich aus dem Fenster und betrachtete die Landschaft, die an uns vorbeizog. Die Sonne neigte sich bald dem Horizont zu und am Abend beobachte ich sie zwischen den Hügeln beim Untergehen. Dabei fragte ich mich, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte; ob dieser Weg wahrhaftig meiner war oder ob ich mich geirrt hatte, in dem, was ich gesehen hatte.

Kaum war die Sonne untergegangen, verfielen die beiden Schüler, mit denen ich im Abteil saß, in Hektik. Sie verstauten Sachen in ihren Taschen und zogen sich schwarze Umhänge über. Ich blieb unbewegt sitzen und Elphias, der sich in diesem Moment einen abscheulichen Spitzhut auf den Kopf setzte, musterte mich. „Wir sind bald da. Zieh dich lieber um.“

„Der Kram sieht aus wie ein misslungenes Halloween-Kostüm von einem fünfjährigen Muggel“, gab ich zurück.

„Typisch Slytherin“, murrte Owen. Er sah auf und mich direkt an. „Warte ... Du bist noch keinem Haus zugeteilt, richtig?“

„Nein“, antwortete ich.

„Fünf Sickel darauf, dass er ins Hochstapler-Haus kommt “, murmelte Owen Elphias zu.

Elphias wandte sich demonstrativ ab. „Jetzt lass ihn doch –“, setzte er an und wurde von dem Geräusch der auffliegenden Tür unterbrochen, das uns zusammenzucken ließ.

„Von wem reden wir hier?“, ertönte eine Stimme. „Ich sehe gar keinen Erstklässler-Knirps.“

Zwei Jungen standen vor uns in der Tür. Einer lehnte sich breit grinsend mit dem Arm an den Türrahmen und sah sich demonstrativ um. Der andere hielt sich hinter ihm, war deutlich größer und stämmiger. Mit seinem raspelkurz geschorenen schwarzen Haar und seiner steinernen Miene erinnerte er mich an einen Leibwächter.

„Sieh einer an: Pockengesicht und sein Kumpelchen“, sagte der Grinsende und strich sich verwegen durch sein weißblondes Haar. Sein Blick flog wie zufällig zu mir, als hätte er mich erst entdeckt. „Und du bist?“

„Wer fragt?“, entgegnete ich gelassen und sah ihn herausfordernd an.

Der Junge hob die Augenbrauen und richtete sich auf. Versuchte er, mir seine vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren?

„Du bist neu“, stellte er fest.

„Blitzmerker“, gab Owen zurück. Als der Blick des Riesen im Hintergrund zu ihm schnellte, zog Owen sofort wieder den Kopf ein. Ich stand auf, betont langsam und stellte mich vor dem Kerl auf. Obwohl wir gleichgroß waren, sah ich auf ihn herab.

„Leg dich nicht mit dem an!“, raunte Owen mir zu. Ich warf ihm einen irritierten Blick zu. Hatte er nicht bis kurz vor der Ankunft des Vollidioten in der Tür deutlich gezeigt, dass er mich und meine Anwesenheit missbilligte? Owen bemerkte meinen Blick und rückte betreten von mir ab. Er schien sich unschlüssig darüber zu sein, gegen wen er mehr war: mich oder den schmierigen Kerl.

„Ja, höre lieber auf deinen mickrigen Freund“, erwiderte der indes.

Ich lachte. „Wenn du es darauf anlegst, mir Angst einzujagen, scheiterst du kläglich.“

Blitzschnell zog der Junge seinen Zauberstab. „Furnunculus!“ Ich hob die Hand, den Zauberstab locker zwischen den Fingern und beschwor mühelos einen Schildzauber. Der Fluch prallte daran ab und auf meinen Angreifer zurück. Augenblicklich war sein Gesicht von grässlichen Blasen übersäht und er verbarg es hinter seinen Händen.

„Anfängerfehler“, feixte ich. „Willst du es noch einmal versuchen?“

„Was ist hier los?“, bellte eine herrische Stimme und jemand tauchte in der Tür auf. Als wäre dieser Tag nicht chaotisch genug, erkannte ich das runde Gesicht und das pechschwarze Haar von dem Mädchen wieder, das mich vorhin gemaßregelt hatte. Die hatte mir gefehlt.

Ein Schwindel überkam mich – als würde ich neben mir stehen und dem Geschehen von außen zusehen – als wäre ich ein Eindringling in einen Krieg, der mit mir nichts zu tun hatte. Es überforderte mich und ich wäre gern geflüchtet, um dem zu entkommen.

Ich sammelte mich rasch und sah Lucy zu dem Arschloch herüberschauen, dessen Gesicht weiterhin von seinen Händen verdeckt war. Die unqualifizierte Leibwache hatte sich verzogen.

„Was ist mit dir passiert, Prewett? War er das?“ Sie deutete auf mich.

„Der Kerl hat angegriffen“, warf ich rasch ein. „Ich habe mich lediglich verteidigt.“

„Das stimmt“, kam Elphias mir zur Hilfe. Owen schwieg und hielt sich im Hintergrund. Er schien sich nicht entscheiden zu können, auf welcher Seite er war.

Mit zusammengekniffenen Augen schaute das Mädchen zwischen mir und diesem Prewett hin und her. „20 Punkte Abzug für jeden von euch!“

„Das Schuljahr hat nicht einmal angefangen!“, protestierte Elphias. „Und von welchem Haus ziehst du die Punkte ab, Gibson?“

„Von seinem zukünftigen Haus“, antwortete sie und musterte mich abschätzig. „Und wenn ich mir dich ansehe, wirst du einer von dieser Slytherin-Bande.“ Von Owen kam ein Geräusch, als versuchte er, ein Lachen zu unterdrücken.

„Genau“, murmelte Prewett, der dabei war, sich nach draußen zu schieben.

„Geh nach vorn zu Albus, der kriegt dich wieder hin.“

„Einen Scheiß mache ich! Der Wichtigtuer kann mir gestohlen bleiben“, keifte er und verschwand.

„Noch einmal 20 Punkte Abzug für dich!“, rief die Schulsprecherin ihm hinterher und wandte sich mit ernstem Gesicht mir zu. „Wir kommen bald an“, verkündete sie. Ihre Stimme hatte wieder diesen wichtigtuerischen Ton angenommen. „Zieh dir am besten deine Schuluniform an. Black ist nicht nachsichtig bei Regelverstößen.“ Die Tür flog zu und die blöde Kuh verschwand.

„Was ist das denn für eine dämliche Ziege“, murmelte ich zu mir selbst. Widerwillig zog ich mir den Umhang über, den Spitzhut steckte ich ein.

„Sie ist nicht blöd!“, fuhr Owen mich an. Seine Augen blitzten auf dabei. „Es ist ihre Aufgabe, für Ordnung zu sorgen. Was soll sie schon anderes tun, wenn du dich mit einem anderen Schüler duellierst? Das ist schließlich gegen die Regeln.“

„Stehst du auf sie, oder was?“, fragte ich geradeheraus und schien damit einen Nerv getroffen zu haben. In Owens Gesicht bildeten sich verdächtig rote Flecken und er wandte seinen Blick ab.

Ich grinste. „Also mir wäre sie ja zu zickig, aber vielleicht biegst du sie in Zukunft zurecht und wäschst ihr mal den hübschen Kopf.“

„Idiot“, murmelte Owen.

„Könnt ihr nicht einen Augenblick aufhören euch anzuzicken?“, mischte Elphias sich ein.

Ich schnaubte. „Das klang eben noch ganz anders, als dieser Prewett hier reinkam“, sagte ich, Elphias Schlichtungsversuch ignorierend. „Noch einmal werde ich dich nicht vor ihm retten.“ Mit einem scharfen Blick bedachte ich Owen.

Ich erntete einen Todesblick von ihm. „Ich würde besser aufpassen, mit wem du dich anlegst. Mit Prewett ist nicht zu spaßen.“

„Mit mir auch nicht“, gab ich zurück.

„Er macht auch vor denen nicht Halt, die das Sagen haben“, bestätigte Elphias flüsternd, als befürchtete er, belauscht zu werden. „Er ärgert sogar Albus. Zumindest versucht er es.“

„Ja ja, El, wir wissen, dass du einen Narren an Albus gefressen hast. Aber der kommt allein klar und wird mit dem Miesmacher ohne Probleme fertig.“

Elphias ignorierte ihn und konzentrierte sich darauf, seine Sachen zusammenzupacken. Der Zug verlor langsam an Fahrt.

Chapter 2: Hogwarts

Chapter Text

Statt einer feierlichen Begrüßung – wie ich es aus Durmstrang gewohnt war – erwartete uns am Bahnhof von Hogsmeade nur strömender Regen. Sekunden nachdem ich aus dem Zug gestiegen war, war ich durchnässt bis auf die Haut.

Auf der Suche nach dem Eingang zur Schule drehte ich mich auf der Stelle. Abgesehen von den Laternen und dem Steig, der von ihnen erleuchtet war, umgab uns Dunkelheit. Kein Hogwarts in Sicht.

„Wo ist jetzt euer prachtvolles Schloss“, fragte ich Elphias, der nach mir aus dem Zug stieg. Der Quälgeist Owen war direkt bei ihm und sah mich missbilligend an.

Elphias deutete vage in eine Richtung. „Hinter dem See. Sag‘ nicht, dass du das nicht wusstest. Wir laufen dort immer hin.“ Fassungslos starrte ich ihn an. Was für eine zurückgebliebene Schule war das hier?

Die beiden Jungen sahen sich an und prusteten los. Ich rollte die Augen und setzte einen genervten Blick auf, um den Anflug meines Grinsens zu verbergen.

„War natürlich ein Scherz“, klärte Elphias mich unnötigerweise auf. „Komm mit, das wird dir gefallen.“ Sie setzten sich in Bewegung und ich folgte ihnen. Wir schlossen zu einer Gruppe von Schülern auf und ich erkannte einen schwarzen Haarschopf. Owens Miene hellte sich auf. „Oh, da ist Lucy“, rief er. „Bis später, El!“ Der arme Junge. Das Mädchen würde ihm das Herz brechen.

Ich verringerte das Tempo absichtlich und Elphias tat es mir gleich. Ich sah Owen gemeinsam mit der Schulsprecherin und ihrem Kollegen eine von den Dutzenden Kutschen besteigen. Erst beim Nähertreten erkannte ich, dass sie nicht von selbst fuhren. Sie waren an Thestrale gespannt. Mir blieb der Mund offen stehen. Das hatte ich nicht erwartet.

Mit Bedacht schritt ich auf einen von ihnen zu und hob meine Hand. Das schwarze Tier schnüffelte daran und sah mich aus seinen milchigen Augen voller Neugier an. „Du bist ein Hübscher“, sagte ich tonlos.

„Du kannst sie auch sehen.“ Es war eine Feststellung und keine Frage, doch das verbarg Elphias‘ Überraschung kaum.

„Und?“ Ich streichelte den Hals des schwarzen Pferdes entlang. Es senkte schnaubend den Kopf und ich lächelte.

„Schon kapiert: Du magst nicht darüber reden. Das ist okay.“

Ich ließ meine Hand sinken und wandte mich von dem Thestral ab, um – gefolgt von Elphias und zwei anderen Schülern – einzusteigen. Sie beachteten uns nicht weiter, was mir recht war.

Das Gefährt setzte sich in Bewegung. Durch das Fenster sah ich Hügel, Gräser und Bäume vorbeiziehen. Das gleichmäßige Ruckeln der Kutsche hatte eine ermüdende Wirkung.

„Hör mal“, sagte Elphias nach einer Weile behutsam und riss mich aus meinem Sekundenschlaf. „Owen ist eigentlich nicht so. Aber versuch doch auch, nicht so griesgrämig zu sein.“

„Menschen, die sich ein Urteil über jemanden erlauben, ohne mehr über ihn zu kennen als die Augenfarben und die frühere Schule, brauche ich nicht.“

„Ich weiß, wie das ist, glaube mir.“ Elphias sah mich an. „Als ich hier ankam, haben alle Abstand zu mir gehalten, weil ich eben so aussah wie ich aussah.“ Er hielt einen Moment inne. „Ich hatte Drachenpocken kurz bevor ich nach Hogwarts kam. Ich war schon nicht mehr ansteckend zum Schulanfang, aber mein Gesicht ... Naja, das kannst du dir sicherlich vorstellen.“ Daher kam der Spitzname ‚Pockengesicht‘ von diesem Prewett.

„Okay, aber was willst du mir damit sagen?“

„Dass ich weiß, wie es ist, der Außenseiter zu sein. Aber du legst es wirklich darauf an.“

„Ich bin ganz zufrieden mit dem Status als Außenseiter“, erwiderte ich trotzig.

„Wenn du dir das einreden magst, halte ich dich nicht auf. Aber ehrlich: Du machst es den anderen nicht gerade leicht, auf dich zuzugehen.“

„Hast du dir überlegt, dass ich daran gar kein Interesse habe?“

Elphias seufzte resigniert. „Mach, was du für richtig hältst“, murmelte er und sah aus dem Fenster. Das schlechte Gewissen regte sich in mir. War ich zu forsch?

Nein. Elphias und Owen gehörten nicht zu der Art von Menschen, die ich für mein Vorhaben brauchte. Und diese Lucy erst recht nicht.

 

Beim Betreten der Eingangshalle eine halbe Stunde später, war ich erstaunt von dem Schwall behaglicher Wärme, die mir entgegenströmte. In Durmstrang hatte ich mich an regnerischen oder verschneiten Tagen unter drei Decken gelegt, um zu schlafen, ohne dabei zu erfrieren. Hogwarts schien mit Kaminfeuern im Gegensatz dazu nicht geizig zu sein.

Ich folgte dem Strom der anderen, passierte eine verzierte Flügeltür und fand mich in einem geräumigen Saal wieder, der mit Licht durchflutet war. Und mit Wärme.

Vier lange Tische – fünf, wenn man den mitzählte, der kürzer war und an der Wand gegenüber der Tür den Lehrern Platz bot – erstreckten sich durch die Halle. An jedem waren die jeweiligen Farben der Häuser, nach denen sie hier getrennt saßen, deutlich zu erkennen. Ratlos sah ich umher und war kurz davor, wahllos an irgendeiner Stelle platzzunehmen – da kam Albus auf mich zu. Ich atmete auf.

„Hallo Gellert“, sagte er lächelnd. An seiner Robe erkannte ich den Schulsprecher-Anstecker, den er vorhin nicht getragen hatte.

„Wenn du kurz mitkommst, können wir dich unauffällig in ein Haus einsortieren lassen. Dann musst du nicht zwischen den Erstklässlern stehen. Ich dachte mir, darauf verzichtest du bestimmt gern.“

Erleichterung und Dankbarkeit breiteten sich in mir aus. Hastig sah ich nochmals umher, um sicher zu sein, dass uns niemand zuhörte. „Einverstanden.“ Wie Albus gesagt hatte: Ich hatte kein Interesse daran, alle Blicke auf mich zu ziehen, wenn ich ... Ja, was? Mir wurde bewusst, dass ich keinerlei Kenntnis über den Ablauf der Auswahlzeremonie hatte.

Wir bahnten uns einen Weg durch sich begrüßende Schüler auf eine unauffällige Tür zu. Albus öffnete sie. Im selben Moment, als er hindurchtrat, entzündeten sich ein paar Kerzen auf einem Tisch und ebenso die Fackeln an den Wänden.

„Ich hätte dich eher informiert“, entschuldigte der Schulsprecher sich und sah sich um, „aber Black hat mir vor fünf Minuten erst Bescheid gegeben.“ Er schüttelte den Kopf. „Ihm ist hier so ziemlich alles egal, weißt du?“ Er schloss die Tür hinter mir. Ohne dass ich gesehen hätte, woher, zog Albus einen verschrumpelten alten Hut hervor. Ich verzog das Gesicht. „Was ist das denn?“

„Ich schätze: Das wird dir nicht gefallen.“

Ich befürchtete das Schlimmste. „Bitte sag nicht –“

„Ganz richtig. Du setzt den Hut auf und er ordnet dich einem Haus zu.“

„Klingt, als sei er für solch eine wichtige Entscheidung mächtig unterqualifiziert“, gab ich zu bedenken. „Findest du nicht?“

„Nicht, wenn du weißt, dass die Gründer ihn verzaubert haben.“ Er zwinkerte mir zu. „Und jetzt: Augen zu und durch.“ Er drückte mir den Hut auf die Haare. Sofort vernahm ich eine tiefe Stimme, die aus meinem eigenen Kopf zu kommen schien: „Ehrgeiz, viel Ehrgeiz, in der Tat. Scharfsinn, so viel, wie ich selten seh‘. Mutig bist du auch und wie, hältst nicht viel von Regeln, hm?“ Genervt stieß ich einen Schwall Luft durch die Nase aus. Dieses Theater war albern.

„Ja, so läuft das hier, Neuling“, antwortete der Hut auf meine Gedanken. „Gewöhn dich daran.“

„Komm‘ du lieber zum Punkt“, maulte ich ihn an. Albus grinste unverhohlen und ich warf ihm dafür einen verächtlichen Blick zu.

Ein bedächtiges Knurren war die Antwort des Hutes, ich rollte die Augen. Wenn das bei allen Schülern so lange dauerte, würde sich diese sogenannte Zeremonie gleich um Stunden handeln.

„Dann sei es so“, sprach die tiefe Stimme. „Slytherin!“ Das letzte Wort hatte er hörbar ausgesprochen.

 Albus griff nach dem Hut auf meinem Kopf und streifte dabei mein Haar. Täuschte ich mich, oder war da Enttäuschung in seiner Miene?

„Slytherin“, stellte er nüchtern fest. „Als Überflieger“, bei dem Wort warf er mir einen vielsagenden Blick zu, „wirst du da auf jeden Fall Anschluss finden.“

„Von dem, was ich mitbekommen habe“, setzte ich an und Albus blinzelte wachsam, „bist du ebenfalls ein Überflieger, so als Schulsprecher, und du bist keiner von den Slytherins.“

„Nein, ich bin keiner von euch.“ Er legte Gewicht auf das letzte Wort. Welcher Billywig hatte ihn denn gestochen?

„Wieso nicht? Ehrgeiz ist als Schulsprecher sicherlich voll dein Ding, oder nicht?“

„Vielleicht“, gab Albus zu. „Manchmal finde ich, die Entscheidung über das Haus wird ohnehin zu früh getroffen. Wie auch immer: Setz dich zu Ihnen. Ich spreche später mit Crawford, er wird –“

„Crawford?“

„Er ist einer der Vertrauensschüler von Slytherin und in deinem Jahr“, erklärte er.

„Ja, okay, aber was habe ich mit ihm am Hut?“ Hut, ha.

Albus seufzte. „Wie gesagt: Er ist Vertrauensschüler. Als solcher ist er für Erstklässler und Neuankömmlinge als Ansprechpartner zuständig. Ich rate dir außerdem, dich nicht allzu sehr gegen dieses System hier aufzulehnen, ja? Du hättest doch gern ein paar Freunde hier oder nicht?“

„Nein, danke“, entgegnete ich kühl. Anhänger ja, Freunde nein.

„Wie du meinst“, erwiderte Albus schulterzuckend. „Der Spitzhut gehört nebenbei angemerkt zur Uniform. Ich würde ihn aufsetzen, an deiner Stelle.“ Er musterte mich einen Augenblick lang und öffnete die Tür. Erst durch das Stimmengewirr, das zu mir durchdrang, bemerkte ich, wie drückend die Stille hier gewesen war.

Albus warf mir einen Blick zu und trat hinaus. Ich folgte ihm und setzte dabei genervt den Spitzhut auf.

Der Junge verhielt sich komisch – als hätte das Siegel, das dieser verschrumpelte, dreckige Hut mir ungefragt aufgedrückt hatte, seine Sicht auf mich verändert. Vermutlich hielt er nur sein eigenes Volk für würdig – die Gryffindors. Als würde das Wort eines gammligen Hutes irgendetwas über jemandes Fähigkeiten aussagen.

Ich suchte mir am hinteren Ende des Slytherin-Tisches einen Platz. Die verwirrten Blicke ignorierte ich demonstrativ. Stattdessen sah ich nach vorn und beobachtete Albus, der in diesem Moment den Hut auf einem Dreibeinhocker absetze und sich bei den Gryffindors niederließ.

Keine fünf Minuten später kam ein Schwall Knirpse durch die Flügeltür geschwemmt. Allen war die Aufregung anzumerken. Manche von ihnen zitterten. Ob vor Angst oder Kälte war nicht auszumachen.

Die Auswahlzeremonie zog sich in die Länge und ich nutzte die Zeit, um mich in der Halle umzusehen. Beeindruckt hob ich einen goldglänzenden Teller an, der vor mir stand, und begutachtete ihn. Von der Decke war ich am meisten fasziniert. Wer sie verhext hatte, hatte ein ganzes Stück Arbeit geleistet. Der Zauber ließ Jahrhunderte später nicht nach und zeigte Wirkung: Der Regen dort draußen drückte mir auf die Stimmung. Und die Auswahlzeremonie war weiterhin im Gange.

Ich war gewärmt von den behaglichen Kaminfeuern und saß in einer Halle, die einladend war, nicht kühl – so anders als in Durmstrang, heimeliger. Dennoch kam ich mir vor wie ein Eindringling, ein Fremdkörper. Ich gehörte hier nicht hin.

Und das war nicht relevant, oder? Ich kam nicht her, um Teil dieser öden Gemeinschaft zu sein, sondern um voranzukommen. Dafür brauchte ich andere Menschen. Zu ihnen zu gehören, war optional. Es würde ausreichen, wenn sie mich als ihren Anführer anerkannten. Und waren solche nicht im gewissen Maße außenstehend und ... im Stand gehoben?

Applaus erklang: Der letzte Schüler war zugeteilt worden – er eilte auf den Tisch der Ravenclaws zu – und jetzt erhob sich der Schulleiter: Phineas Nigelus Black. Ich hatte Gerüchte und Geschichten über ihn gehört – keine davon schmeichelnder Natur.

„Willkommen im neuen Schuljahr“, sprach er. Sein Gesicht war starr, seine Nase reckte er Richtung Decke. Seinen Blick ließ er schweifen, blieb dabei an dem ein oder anderen Schüler länger hängen und bei manchen sah er drein, als hätte ihm jemand in den Wein gespuckt.

„An die Erstklässler und alle Nichtsnutze, die im Sommer ihr Gedächtnis verloren haben:“, er ließ seinen Blick missbilligend durch die Halle schweifen. „Der Wald auf den Schlossgründen ist für jeden Schüler tabu. Verstoß bedeutet Verweis. Außerdem“, er hielt inne und sah über die Köpfe der Anwesenden hinweg, „habe ich eine weitere Ankündigung zu machen: Der Quidditch-Pokal fällt dieses Jahr aus.“

„Schon wieder?“

„Buh!“

„Das lassen wir nicht mit uns machen!“

Solch ein Aufstand wegen eines Spielchens um ein paar Bälle. Ungläubig schüttelte ich den Kopf und hinterfragte erneut meine Entscheidung für diese Schule.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass der Junge, der neben mir saß, mich intensiver musterte als jeder Schüler bisher. Sein Interesse verbarg er kaum.

„Ruhe!“, hallte Blacks Stimme durch die Luft. „Dieses Jahr findet ein anderes Sportereignis statt. Ein viel Wichtigeres. Wichtiger für Euch und für alle von uns. Ein Ereignis, welches uns enorm auf Trab halten wird, sodass wir für alle anderen Nebenbeschäftigungen – wie Quidditch – gar keine Zeit haben!“

„Nebenbeschäftigung“, knurrte ein Slytherin drei Plätze neben mir. „Was fällt ihm ein?“ Er erntete zustimmendes Brummen und Nicken von seinen Sitznachbarn.

Mein Herz schlug heftiger. War es denkbar ...

„Dieses Jahr“, setzte Black seine Ansprache ungeachtet des Chaos fort, „findet das Trimagische Turnier in Hogwarts statt.“

Eine Bombe explodierte – so kam es mir bei dem plötzlichen Ausbruch des Lärmes vor.

Das Trimagische – hier in Hogwarts? Ich hatte von dem Turnier gelesen, oft genug. Es gab ganze Bücher und Bände darüber. Die bewegten Bilder von Basilsiken und schlimmeren Biestern schossen mir durch den Kopf. Eines hatte sich dabei vor allen anderen eingebrannt: Ein Pokal, der von innen heraus leuchtete.

Meine Freude ebbte gleich wieder ab – als hätte sich ein Schatten über die Gedanken gelegt. Irgendeine Information, die ich nicht fähig war, zu greifen, ließ mich zweifeln. Was übersah ich hier?

„Trimagisches Turnier? Was ist das?“, raunte ein Schüler am Nachbartisch. Seine Stimme vermischte sich mit Hunderten anderen. Der Tumult um mich setzte sich fort.

„Mir egal, wenn es nicht Quidditch ist!“, rief jemand.

„Sind dabei früher nicht viele Menschen gestorben?“

Ja, die Unwürdigen starben bei diesem Wettstreit. Oft nach ein paar Minuten. Ich würde keiner von ihnen sein.

Black ließ seine Stimme anschwellen, um das Stimmengewirr zu übertönen, und sprach weiter: „Im Oktober werden die Delegationen von Durmstrang und Beauxbatons bei uns eintreffen. Sie werden das restliche Schuljahr unsere Gäste sein.“

Mein Herz sank. Durmstrang. Sie kamen her. Die Begeisterung, die mich bei dem Gedanken an das Trimagische Turnier durchströmt hatte, wich Unbehagen. Das war der Haken, der Schatten, der sich über die Freude gelegt hatte.

„Hier meine Warnung“, sprach Black weiter. „Solltet Ihr euch nicht benehmen, Unfug jeglicher Art planen, oder den Gastschülern zeigen, was für Taugenichtse ihr seid, rechnet mit Strafen außerhalb eurer Vorstellungskraft. Verstoß bedeutet Verweis.“

Ein paar der Kleineren zogen die Köpfe ein, die älteren Schüler waren unbeeindruckt, manche grinsten. Ich registrierte es am Rande. Meine Sinne waren wie benebelt.

Mit finsterer Miene klatschte Black zweimal in die Hände. Seine Rede war vorbei. Augenblicklich füllten sich die goldenen Teller, Schüsseln, Krüge und Karaffen mit Unmengen an Speis und Trank. Ich ließ meinen Blick über den Tisch schweifen und nickte anerkennend.

„Die Menge an Essen bist du aus Durmstrang nicht gewohnt, hm?“, sprach mich der Schüler neben mir an, dessen Aufmerksamkeit ich vorhin wahrgenommen hatte. Das hatte sich rasch herumgesprochen. Oder man sah es mir an. Die Anmut aus Durmstrang besaß hier kein anderer.

Ich sah zu dem Jungen. Er war mager und kurz geraten, sein braunes Haar hing ihm verfilzt in die Stirn. Den verwahrlosten Eindruck machten seine Augen wieder wett: Hellbraun leuchteten sie mir entgegen, voller Neugier und Wachsamkeit.

„Lieber wenig Auswahl bei den Speisen als bei der Bildung“, gab ich gelassen zurück.

Der Braunhaarige hob die Augenbrauen. „Vielleicht unterschätzt du uns“, gab er zu bedenken.

„Vielleicht. Oder aber du unterschätzt mich.“

„Denkbar. Wobei ... Jemanden aus Durmstrang zu unterschätzen ... Nein, das würde mir nicht einfallen.“ Er grinste süffisant.

Ein eiskalter Schauer kroch mir den Rücken hinauf. Irgendetwas hatte dieser Kerl an sich, das mich verunsicherte und ich war es nicht gewohnt, verunsichert zu sein.

„Vergiss nicht, dass der Feuerkelch die Champions wählt“, säuselte er. Das Unbehagen verstärkte sich. War mir das Verlangen so deutlich anzusehen? Meine Emotionskontrolle ließ zu wünschen übrig.

Das Trimagische Turnier schien ihm zudem nicht neu zu sein. Vielleicht hatte er nachgeforscht, wie ich vor einigen Jahren.

„Der Feuerkelch wählt aus, wen er für würdig erachtet.“ Demonstrativ sah ich mich um. „Es ist niemand hier, der das Zeug zum Champion hat. Bis auf meine Wenigkeit.“ Das war dick aufgetragen, wies den Kerl aber hoffentlich in seine Schranken.

„Ich habe dir eines voraus, Neuer: Ich kenne diese Schule in- und auswendig. Daher weiß ich, wie das hier abläuft.“

„Ach und wie läuft das hier ab?“, erkundigte ich mich herausfordernd.

Mit dem Kinn deutete der Junge zu dem Tisch der Gryffindors hinüber. „Siehst du ihn? Den Großen mit den rötlichen Haaren?“

Ich wandte meinen Kopf und erkannte den Schulsprecher wieder. „Albus?“

Der Junge schnaubte. „Wie süß, ihr seid per du? Aber ja“, seine Miene verfinsterte sich, „Albus ... Dumbledore.“

„Dumbledore“, echote ich und eine Erinnerung schoss mir durch den Kopf. „Einen Augenblick ...“

Ein grimmiges Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Slytherins aus. „Geistesblitz?“

„Ist er der Dumbledore, der die drei Muggel gelyncht hat?“

Der Junge lachte. „Oh, Merlin, nein. Er ist sein Sohn – Percival Dumbledores ältester Sohn.“

„Ich dachte, diese Schule sei muggelfreundlich.“

„Ist sie. Und Dumbledore ist das am allermeisten, jedenfalls spielt er das so gut, dass es ihm jeder abkauft, vor allem die Lehrer. Er ist ihr Liebling. Die Hälfte der Auszeichnungen und Pokale im Trophäenraum gehört ihm. Und deswegen sage ich dir: Wenn er seinen Namen in den Feuerkelch wirft, dann wird er der Champion. Nicht weil er groß, mächtig oder begabt ist. Er ist schlichtweg die beste Schaustellerfigur.“

„Die Schaustellerfigur wird sich noch wundern, wenn du mich fragst“, murmelte ich angriffslustig.

„Und ich kann es kaum erwarten. Grindelwald.“ Er lächelte verschmitzt, was mir erneut einen Schauer den Rücken hinauf jagte. Was war es, dass mich so aus der Ruhe brachte? Es kam mir vor wie ein Instinkt: Wenn man eine Schlange sah, reagierte der Körper, weil er sie als Gefahr einstufte. Nur sah mein Mitschüler nicht aus, als würde er mir oder irgendjemandem gefährlich werden. Wie war gleich sein Name?

„Und du bist ...?“

Das Grinsen des Jungen vertiefte sich und seine Augen blitzten abermals auf, als er sprach: „Gaunt. Marvolo Gaunt.“

Chapter 3: Unterricht

Chapter Text

Gaunt. Der Name hallte in mir nach und fühlte sich an, wie eine lang vergessene Erinnerung, die in mein Bewusstsein zurückgekehrt war. Ein Schatten einer Vorahnung legte sich über mich. Er würde noch eine Rolle spielen. Zum Guten oder Bösen.

„Ein Gaunt also“, sagte ich wie nebenbei, um diesen inneren Vorgang zu überspielen.

„Ganz recht“, versicherte er mit gehobenem Kinn. „Einer der wenigen hier auf Hogwarts, die echte Reinblüter sind und das wird so bleiben, wenn niemand dem Schlammblut-Wahnsinn Einhalt gebietet.“ Ja, er war eindeutig ein Gaunt.

„Blut ist das eine“, wandte ich ein. „Es garantiert weder Begabung noch Macht.“

„Das klingt wie etwas, das ein Halbblut sagen würde“, hauchte Gaunt angriffslustig. „Bist du eines?“

„Nein.“

„Wieso hab ich dann noch nie von Grindelwalds gehört?“, fragte er. Seine Stimme klang beiläufig, seine Augen verrieten Interesse.

„Weil du in einer englischsprachigen Blase lebst“, gab ich bissig zurück.

Gaunt setzte zu einer Erwiderung an, da erhob der Schulleiter sich räuspernd. „Mir scheint es“, sprach er, „als hattet ihr genug Zeit, zu mahlen. Der Abend ist weit fortgeschritten.“ Ein Moment verging, niemand rührte sich.

„Ich sagte: ‚Der Abend ist weit fortgeschritten.‘!“, wiederholte er mit mehr Nachdruck. Verwirrt sah ich mich um und beobachtete, wie sich nach und nach Schüler von den Tischen erhoben. So viel Zeit konnte nicht vergangen sein.

„Niemand wandert während der Nachtruhe umher! Verstoß bedeutet Verweis!“, fügte Black rasch hinzu. Wie hatte es solch ein alter Griesgram auf den Posten des Schulleiters geschafft?

„Das macht er jedes Mal“, erzählte Gaunt und stand ebenfalls auf. „Indirekte Befehle geben. Und uns am ersten Abend keine Zeit fürs Essen lassen.“

„Slytherins, folgt mir“, rief ein Junge mit schulterlangem schwarzen Haar und marschierte auf den Eingang der Großen Halle zu. Gaunt und ich schlossen uns der Gruppe an.

Wir passierten die Flügeltür, da flog Gaunts Kopf zur Seite. „Das ist jetzt nicht wahr!“, knurrte er. Ich folgte seinem Blick, erkannte aber nicht gleich, worauf er es abgesehen hatte.

„Geh mit den anderen. Ich habe hier etwas zu erledigen.“ Er löste sich aus der Gruppe und steuerte auf ein Slytherin-Mädchen zu, das an der Wand stand und offenbar jemanden suchte, denn sie reckte den Hals und sah umher.

Hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Wunsch, endlich zu schlafen, blieb ich einen Augenblick lang stehen.

„Hey, Grindelwald“, rief der Junge, der die Gruppe anführte von vorn. „Mitkommen.“ Ich hatte keine andere Wahl, als den Slytherins zu folgen – hinab in Richtung der Kerker.

Mit jedem Stockwerk, das wir hinabstiegen, wuchs mein Unbehagen. Mittlerweile waren wir tief unter der Erde. Auf echtes Tageslicht war hier nicht zu hoffen – maximal auf ein verzaubertes Fenster, das eine Illusion davon bot. Aus Durmstrang war ich Kälte und Nässe gewohnt – kein Leben Untertage.

Endlich blieb der Anführer unserer Gruppe stehen und drehte sich zu uns um. Dabei erkannte ich das Vertrauensschüler-Abzeichen an seinem Umhang. War das dieser Crawford, den Albus erwähnt hatte? Das würde erklären, wieso er meinen Namen gewusst hatte.

„Und hier sind wir“, verkündete er und lächelte, als wüsste er, wie gespannt die Kinder waren und wie verwirrt. Eine Tür war nicht zu sehen und nichts anderes, was darauf hinwies.

„Wenn ihr das Passwort sprecht, offenbart sich euch die Tür zu unserem Gemeinschaftsraum.“ Der Vertrauensschüler deutete verheißungsvoll hinter sich. „Es lautet: ‚Basilisk‘.“ Bei diesem Wort schälte sich eine dicke schwarze Schlange aus dem Boden und wölbte sich an der Wand empor, sodass sie einen Bogen bildete. Und da war die Tür.

Ich hörte die Erstklässler erstaunt nach Luft schnappen. Hogwarts war nicht so einfältig, wie ich gedacht hatte.

Ich folgte den anderen durch die Tür, an die sich eine gewundene Treppe anschloss. Unten angekommen verteilten sich die Neuankömmlinge um den Vertrauensschüler. Die Alteingesessenen bogen links und rechts zu weiteren Türen ab, hinter welchen ich die Schlafsäle vermutete.

Mein Blick glitt umher und blieb an einer Stelle hängen: Da war ein Fenster, es ragte empor bis zur Decke des Raumes. Dahinter war es nahezu finster, aber irgendetwas schimmerte, als würde die Luft draußen ... schwimmen.

Das war Wasser. Ein Schauer kroch mir den Rücken hinauf – ähnlich wie vorhin bei Gaunts unheimlichem Blick. Ich wich einen Schritt zurück und stand dicht an der Wand, die sich anfühlte wie eine eisige Hand, die sich um meinen Körper schloss, um mich hier festzuhalten.

„Ist das Fenster da echt?“, fragte einer der Erstklässlerinnen mit geweiteten Augen.

„Oh ja“, antwortete der Vertrauensschüler. „Manchmal sieht man von hier den Riesenkraken vorbeischwimmen. Ihr müsst nur genau hinsehen. Manche sagen sogar, sie würden Wassermenschen vorbeiziehen sehen – das halte ich aber mehr für ein Gerücht als für eine Tatsache.“

Zwei Mädchen, die aussahen wie höchsten acht oder neun Jahre alt  – obwohl sie ja mindestens 11 Jahre alt sein mussten –, warfen sich angsterfüllte Blicke zu.

„Seid unbesorgt, das Glas ist verzaubert und hält jedem Druck stand. Das Frühstück morgen früh beginnt ab 7 Uhr“, sprach der Vertrauensschüler weiter. „Der Unterricht startet 9 Uhr. Die Stundenpläne bekommt ihr Morgen früh von Professor Sharp – das ist unser Hauslehrer. Ab ins Bett mit euch und genießt eure erste Nacht hier.“

Die Ansammlung löste sich auf. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Kälte der Wand drang weiter durch den Umhang in meine Haut. Ich sah die Treppe hinauf, die wir vorhin hinabgestiegen waren. Sie führte in die Freiheit.

„Sei kein Feigling, Gellert“, murmelte ich mir zu, stieß mich von der Wand ab und bog zu dem Gang ab, in dem der mir zugeteilte Schlafsaal lag.

Der Schlaf kam bald in seichten Wellen, die heranrollten und sich wieder verzogen und am Morgen war ich davon überzeugt, nicht geschlafen zu haben, müde wie ich war. Das Tageslicht, das durch ein verzaubertes Fenster in der Decke fiel, widersprach diesem Gefühl.

Ächzend stand ich auf und begab mich in den Waschraum, der so überfüllt war, dass ich kaum Platz an einem Spiegel fand, um meine Locken zu richten. Durmstrang war Luxus dagegen.

Auf dem Weg nach oben kam ich durch den Gemeinschaftsraum. Kurz sah ich zum Fenster: Dahinter schimmerte das Wasser in der Morgensonne. Mich wärmte der Anblick nicht. Stattdessen kroch Kälte in jeden Winkel meiner Gedanken.

Fünf Minuten später betrat ich die Große Halle, die von Lärm erfüllt war. Beim Frühstück erhielten wir unsere Stundenpläne. Ich war erleichtert um den Freitag und das anstehende Wochenende. Ich hatte Zeit, mir die Bibliothek anzusehen oder das Schloss und die Umgebung zu erforschen, freien Himmel über dem Kopf zu haben.

Einen Moment lang streifte mich der Gedanke, den Unterricht zu schwänzen und die Ruhe in den Korridoren für eine erste Erkundung zu nutzen oder in die Bibliothek zu verschwinden. Ich verwarf die Idee. Die Schulstunden boten die Gelegenheit, mir einen Eindruck der anderen Schüler und Anerkennung für meine Fähigkeiten zu verschaffen. Ich war nicht hier, um Neues zu lernen. In Durmstrang war ich seit Jahren unterfordert, Hogwarts bot mir keine zusätzliche Herausforderung. Ich hatte wichtigere Ziele.

„Ich werde auf jeden Fall am Turnier teilnehmen“, verkündete ein Drittklässler an unserem Tisch und holte mich damit zurück in die Gegenwart. Das Trimagische war neben der Demonstration meiner Fähigkeiten die beste Gelegenheit, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erregen.

Welche Kreaturen ließen sie dieses Jahr auf die Champions los? Mit Basilisken probierten sie es nicht erneut, da war ich mir sicher. Was war mit Drachen? Mit ihnen kam ich problemlos zurecht. Chimären wären eine weitere Möglichkeit. Wenn es dem Komitee  gelang, einen Basilisken aufzutreiben, war eine Chimära unproblematisch.

Kein Tierwesen auf dieser Welt war eine Herausforderung für mich – vorausgesetzt ich war auf alles vorbereitet. Und das würde ich sein, um jeden Preis.

Ich sah auf die Uhr: 10 Minuten blieben mir bis zum Unterrichtsbeginn. Eilig schob ich mir den letzten Bissen Toast in den Mund, putzte meinen Umhang ab und begab mich auf den Weg zum Unterricht für Verwandlung.

Der Verwandlungsunterricht war eine Zumutung: Zu Beginn erklärte die Lehrerin der Klasse, dass der Lehrplan ab dem sechsten Schuljahr verlangte, nonverbal zu zaubern. Mir war das nie schwergefallen und in Durmstrang hatten wir in den ersten Jahren unserer Ausbildung damit angefangen. Auf anderen Schulen war das ähnlich. Hogwarts war die Ausnahme – zur Verzweiflung von Professor Weasley.

Sie kam der Klasse mit dem Thema ‚Verwandlung am eigenen Körper‘ zum Start ins neue Schuljahr entgegen. Die anfängliche Begeisterung wich jedoch Chaos: gespaltene Augenbrauen, versengte Haare, Schnittwunden. Bis auf mich gelang es nur einem anderen Schüler, die Aufgabe zu erfüllen. Ich schaffte es mühelos beim ersten Versuch, die Augenbrauen zu verfärben, und stierte eilig wieder unter den Tisch, wo ‚Tödliche Flüche und warum du sie einsetzen solltest‘ auf meinen Knien ruhte.

Unsere Lehrerin kam auf mich zu. Im Kopf bereitete ich eine Reaktion auf die folgende Schelte vor – es folgte keine. Stattdessen sah sie entzückt drein. „Oh, seht einmal her, wie Mister Grindelwald das macht“, schwärmte Professor Weasley. Mit Mühe verkniff ich es mir, die Augen zu verdrehen.

„Bitte wiederholen sie das für uns“, forderte sie mich auf.

Ohne über einen Zauberspruch nachzudenken oder den Zauberstab dafür zu heben, verfärbte ich erneut meine Augenbrauen.  Einen Moment lang sah Professor Weasley mich verdutzt an. Rasch fing sie sich wieder. „Bravo!“, lobte sie lächelnd. „Damit machen Sie unserem Genie aus dem Siebten Jahr Konkurrenz! Nonverbal und ohne Zauberstab! 20 Punkte für Slytherin!“

Genie aus dem Siebten Jahr? Gaunt hatte recht mit Dumbledore: Der Junge war ein Stiefellecker und ein Hochstapler, wenn ein simpler Verwandlungszauber ausreichte, um eine Lehrerin über ihn ins Schwärmen zu bringen.

Eine Gryffindor hinter mir stöhnte genervt. „Wieder einer von denen!“, nörgelte sie.

Ich reagierte nicht auf ihren Kommentar, wandte meinen Kopf nur ein Stück zur Seite, um das Mädchen aus den Augenwinkeln im Blick zu haben. Ihre Haare verfärbten sich pink und wuchsen rückwärts, bis krelle Stoppeln auf ihrer Kopfhaut zurückblieben, die mich an einen Fwuuper erinnerten. Sie sah in ihren Handspiegel und das Spiel ihrer Mimik war köstlich mit anzusehen. Sie kreischte erschrocken auf. Ich grinste selbstgefällig.

„Professor Weasley!“, schrie sie. Diese kam sofort herbeigeeilt. „Wie haben Sie das denn angestellt?“

„Ich weiß es nicht“, jammerte die Schülerin hysterisch. „Es ist einfach passiert!“

„Ganz ruhig, das haben wir gleich.“ Mit einem Schwenk ihres Zauberstabs versetzte die Lehrerin das Mädchen wieder in ihren Ursprungszustand und der Höhepunkt der Stunde war verflogen.

Nach dem Ende des Unterrichts war ich dabei, den Klassenraum zu verlassen, da rief Professor Weasley: „Mister Grindelwald, auf ein Wort bitte.“ Genervt wandte ich mich wieder um und ging zurück.

„Ich möchte betonen“, sprach sie mit bemüht gelassener Stimme, „dass das Verhalten, das Sie heute an den Tag gelegt haben, hier nicht geduldet wird.“

Ich kam vor ihr zum Stehen. „Ich –“

Professor Weasley schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. „Dass Sie weit fortgeschritten sind und das hier alles unterfordernd finden, rechtfertigt nicht solch eine Unverschämtheit!“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Professor.“ Ich setzte eine unschuldige Miene auf.

„Für wie beschränkt halten Sie mich, Mister Grindelwald?“ Ich verdrehte genervt die Augen. Eine hysterische, in die Jahre gekommene Lehrerin hatte mir gefehlt.

„Und da Punktabzüge Sie sicherlich kalt lassen“, fügte sie kühl hinzu, „bitte ich Sie heute Nachmittag um halb vier in mein Büro, hier direkt nebenan. Haben Sie das verstanden?“

„Ja, Ma’am“, antwortete ich monoton.

Skeptisch betrachtete Professor Weasley mich mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ich hielt ihrem Blick stand und nach ein paar Augenblicken winkte Sie mich hinaus. „Sie können gehen.“

Ich neigte übertrieben höflich den Kopf und verließ das Klassenzimmer.

Zauberkunst war anstrengender als Verwandlung, was an dem Lehrer lag, der solch einen Enthusiasmus an den Tag legte, dass es wehtat. Kaum hatte ich mit betont begeisterungsloser Miene seine Aufgaben erledigt, brummte er mir Sonderaufgaben auf. Erst nachdem ich diese ohne jegliche Probleme erfüllt hatte, ließ er mich in Ruhe unter dem Tisch mein Buch lesen. Nicht ohne mich vor der ganzen Klasse zu loben. Aber das kam mir zugute.

Zwei Reihen vor mir erkannte ich einen weißblonden Haarschopf, der mir leider bekannt vorkam. Zu gern hätte ich dem Kerl aus dem Zug verhext. Nicht mit pinken Haaren – eher mit dem Densaugeo-Fluch. Aber von hinten? Nein, ich war kein Feigling.

Nach Zauberkunst begab ich mich zum Nordturm, wo sich der Unterrichtsraum für Wahrsagen befand. Auf dem Weg dachte ich darüber nach, ob Professor Onai genauso nervig war wie unser Zauberkunstlehrer; ob sie sich bei ihrem Unterricht an pseudowissenschaftlichen Büchern orientierte. Am meisten beschäftigte mich die Frage, ob sie eine wirkliche Seherin war oder sich als eine solche ausgab. Vielleicht bat sie uns, gegenseitig Horoskope zu schreiben. Auf diese Art Hochstapler war ich in meinem Leben oft genug getroffen und es bereitete mir nie Mühen, diese Betrüger zu entlarven. Ich wusste, was es hieß, zu sehen – auch wenn die Steuerung dieser Fertigkeit mir nach wie vor Kraft abverlangte. Ich wagte nicht, zu hoffen, dass mich dieser Unterricht weiterbrachte.

Mir bot sich eine Überraschung: Anstatt mit Teeblättern oder astrologischen Sternenkarten zu winken, erwartete uns Professor Onai mit einem ernsten Blick. Sie besah sich jeden Einzelnen, der an ihr vorbei in den Klassenraum kam und sich auf einen der gepolsterten Stühle setzte.

Wir waren zu fünft. Die meisten schienen das Fach entweder abgewählt zu haben oder durchgefallen zu sein. Ich sah mich um. Drei Mädchen waren hier – zwei aus Hufflepuff und eines aus Gryffindor. Am Rand saß ein Ravenclaw-Schüler. Aus Slytherin war ich der Einzige.

„Ich freue mich, dass Sie den Weg hierher gefunden haben“, sprach Professor Onai gedämpft. „Ich bin sehr zufrieden mit Ihrer aller Ergebnisse aus den ZaG-Prüfungen.“ Nacheinander besah sie sich die Anwesenden, mich als Letzten.

„Und wir haben ein neues Gesicht unter uns“, sagte sie und sah zu mir. „Gellert Grindelwald, richtig?“

„Richtig“, bestätigte ich.

„Wenn ich korrekt informiert bin, haben Sie dieses Fach an ihrer alten Schule nicht belegt, die ZaG-Prüfung aber trotzdem angetreten und erfolgreich absolviert?“

Ich nickte.

„Sie verstehen, dass ich mir einen Überblick darüber verschaffen möchte, wie weit fortgeschritten Sie sind. So ganz ohne Unterricht.“

„Natürlich, Ma’am“, versicherte ich.

„Nun gut, Mister Grindelwald: Inwiefern sind Sie bisher mit Wahrsagen und Vorhersagen in Berührung gekommen?“

Die Frage traf mich unvorbereitet. Was sagte ich, das nicht gelogen war und nicht das preisgab, was ich um jeden Preis geheim hielt?

„Im Fach der Dunklen Künste“, setzte ich zögerlich an.

„Du meinst Verteidigung gegen die Dunklen Künste“, unterbrach der Ravenclaw-Schüler, um mich vermeintlich zu berichtigen.

„Nein“, widersprach ich. „In Durmstrang habe ich das Fach ‚Dunkle Künste‘ belegt.“

Die anderen warfen sich vielsagende Blicke zu. Ich sprach unbeirrt weiter: „In diesem Fach haben wir uns am Rande mit Legilimentik beschäftigt und wie diese auf eine Art und Weise modifiziert werden kann, dass man sie als Waffe gebrauchen kann. Wir haben einen Aufsatz darüber geschrieben, in welchem ich den Zusammenhang und die Unterschiede zwischen Legilimentik und Weissagen beleuchtet habe. Banal gesagt geht es bei der Weissagung darum, sich die Fakten und Fäden des Schicksals, auf die man keinen Zugriff hat, zugänglich zu machen. Hätte man Einblick auf alle Fäden, Gedanken und Entscheidungen, könnte man die Zukunft vollends voraussagen, so die Theorie. Menschen mit der Gabe des Zweiten Gesichts können intuitiv auf diese Fäden zugreifen, so wie Legilmentoren auf die Gedankenströme ihres Gegenübers. Mir gelang es im Zuge meiner Recherchereise diesen Sommer, gezielt schwache Vorhersagen zu treffen. Was mir dabei schwerfällt, ist den richtigen Faden zu greifen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Es war totenstill im Raum, abgesehen von der Uhr an der Wand, deren Ticken im Kontrast zu der Stille an Lautstärke zuzunehmen schien.

„Das haben Sie eindrucksvoll zusammengefasst, Mister Grindelwald“, stellte Professor Onai mit einem anerkennenden Blick fest. „Zufälligerweise“, – ein Lächeln kräuselte ihre Lippen und sie sah umher, als wäre das der beste Witz, den sie je erzählt hatte –, „ist das exakt der Punkt, an dem ich heute ansetzen möchte. Die Fakten sind da, man kann sie nur nicht sehen. Wie also gelingt uns das auch dann, wenn uns die Gabe des Zweiten Gesichts – wie Mister Grindelwald das richtig erläutert hat – verwehrt bleibt?“ Sie ließ den Blick von einem zum anderen schweifen und wies uns an: „Bitte öffnet die Lehrbücher im zweiten Kapitel.“

In der restlichen Stunde lasen und besprachen wir das gesagte Kapitel des Buches ‚Im Auge der Zukunft – Teil I‘. Ich war zufrieden über die Wahl des Faches. Die anderen Schüler arbeiteten langsam und Professor Onai war gezwungen, die Kernaussagen des Textes für die beschränkte Hälfte des Kurses zu übersetzen. Abgesehen davon war ich positiv überrascht – nicht von dem Unterricht, viel mehr von der Art wie unsere Lehrerin ihre Sicht vertrat und damit das Lehren gestaltete.

Am Ende der Stunde verließ ich das Klassenzimmer. Professor Onai nickte mir mit der Spur eines Lächelns zu. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, hier in Hogwarts am richtigen Ort zu sein. Nicht nur für meine Vision einer besseren Welt, sondern für meine persönlicheren Ziele.

Chapter 4: Trophäen

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Zum Mittagessen begab ich mich in die Große Halle. Zu dieser Zeit war sie erfüllt von Hunderten Stimmen und Gelächter – es kam mir schlimmer und intensiver vor als gestern. Nach dem ersten Schultag tauschten sich vor allem die Erstklässler lautstark über ihren Unterricht aus.

Mir stand Geschichte der Zauberei bevor und der Gedanke daran dämpfte die Hochstimmung, die ich aus der Wahrsagen-Stunde mitgenommen hatte. Ich hatte überlegt, das Fach abzuwählen: Jedes Thema, das der Lehrplan abdeckte, hatten wir entweder in Durmstrang durchgenommen oder ich hatte es mir im Selbststudium angeeignet. Diese Stunde war reine Zeitverschwendung und ich hatte Besseres vor, Wichtigeres: Recherche zum Trimagischen Turnier. All die Bücher in der Bibliothek warteten darauf, von mir entdeckt und gelesen zu werden.

Ich war bei meiner zweiten Portion Pastete angelangt, da näherte sich jemand unserem Tisch. Das war nichts Verwunderliches in der Mittagspause und bei allen anderen hatte ich das ausgeblendet. Bei Gaunt gelang mir das nicht. Ich spürte seine Gegenwart vielmehr, als ihn zu sehen.

Er setzte sich mir mit einem Grinsen gegenüber. „Wie wütend war Professor Weasley?“, eröffnete er belustigt das Gespräch und lud sich dabei etwas auf seinen Teller, das aussah wie Erbrochenes und roch wie Trollpopel.

„Du hast es gehört?“

„Ich habe gehört, dass du nach dem Unterricht dableiben musstest. Bei Weasley heißt das entweder Lobpreisung – wobei die bei ihr nur einer erhält – oder eine Standpauke. Ich tippe auf Letzteres.“

Es gelang mir nicht, ein Grinsen zu verkneifen. „War im Rahmen, würde ich sagen – ihr Ausrasten. Wie die aussieht, kann sie so wild werden, dass ein Erumpent-Horn nichts dagegen ist, wenn es explodiert.“

„Richtig liegst du da“, bestätigte Gaunt. „Hast bestimmt Nachsitzen bekommen, hm?“

„Sie lädt mich zu sich ins Büro ein, die alte Furie.“

„Was hast du eigentlich angestellt?“

„Ich habe die Haare dieses einen Gryffindor-Mädchens etwas ... aufgepeppt.“

„Da kommst du aber glimpflich davong“, schmatze der Slytherin mit vollem Mund. „Ich musste letztes Jahr eine Woche lang jeden Abend die Trophäen im Trophäenraum in einem Register kategorisieren und vermerken. So oft ‚Dumbledore‘ zu lesen, hältst du nur aus, wenn du vorher zehn Gläser Feuerwhiskey getrunken hast. Und dann bist du tot.“

Ich lachte und verschluckte mich dabei an dem letzten Stück Pastete. „So schlimm?“

„Ich sag’s dir: Das hältst du nicht aus.“

„Den Feuerwhiskey oder Dumbledores Vermächtnisse?“

Gaunt schnaubte abfällig. „Vermächtnisse“, spottete er, nachdem er sein Essen hinuntergeschluckt hatte. „Das klingt bedeutsam. In Wirklichkeit sind diese Auszeichnungen nicht ungewöhnlicher als ein Niffler, der eine Bank ausraubt. Ich zeige es dir, dann siehst du, was ich meine.“

„Klar, wieso nicht?“, stimmte ich zu – nicht aus Interesse an Dumbledores Trophäen, zumindest nicht vordergründig. Viel mehr, weil von Gaunt eine Welle von Hass zu mir herüberschwappte, jedes Mal, wenn er Albus erwähnte. Und ich wollte verstehen, warum. Er verpasste keine Gelegenheit, ihn schlechtzureden. Das ließe sich auf Neid zurückführen. Oder auf Tiefergehendes. Ob zwischen ihnen irgendetwas vorgefallen war?

„Kommst du gleich mit?“, durchbrach Gaunt meine Überlegungen.

„Ich habe noch Unterricht. Geschichte der Zauberei.“

Der Slytherin winkte ab. „Das kannst du dir sparen. Der alte Binns würde nicht einmal merken, wenn die ganze Klasse fehlt. Vielleicht ist es ihm sogar lieber so. So kann er seine Vorträge ungestört halten.“ Ich erinnerte mich: Professor Binns war der einzige Lehrer in Hogwarts, der ein Geist war. In diesem Fall konnte ich mir das Fach doppelt sparen.

„Gut, ich komme mit“, entschied ich und leerte meinen Kürbissaft in einem Zug.

Im Anschluss verließ ich gemeinsam mit Gaunt die Große Halle. Wir stiegen die Treppen weit nach oben und kamen im Trophäenraum an.

„Willkommen!“ Gaunt breitete theatralisch die Arme aus und drehte sich ausgelassen im Kreis.

„Welche Art Auszeichnungen stehen hier denn so?“, erkundigte ich mich und ließ meinen Blick durch den zirkularen Raum schweifen.

„Auszeichnungen für besondere Verdienste um die Schule beispielsweise. Die stehen dort in der Vitrine an der Säule.“ Er deutete auf die Mitte des Raumes, in der sich eine Marmorsäule bis zur Decke erstreckte. „Dann natürlich die ganzen Quidditch-Trophäen, eine Liste aller Schulsprecher, die ein paar Hundert Jahre zurückgeht. Da steht der alte Dumbledore jetzt natürlich auch ganz oben.“ Er rollte übertrieben mit den Augen.

„Und dann“, er ging mit bedeutungsvoll langsamen Schritten zu einer Vitrine, die unter einem der hohen Bogenfenster stand. „Haben wir Blacks und Dumbledores ganzen Stolz: Die Medaille des Barnabus-Finkley-Preises für Außergewöhnliche Zauberei.“

Überrascht hob ich die Augenbrauen und kam näher. „Wofür hat er den bekommen?“

„Weiß der Augurey, wofür er den bekommen hat, ehrlich“, schnaubte Gaunt. „Der braucht nur mit dem Zauberstab zu wedeln und alle sind ganz begeistert. Aber soll ich dir etwas verraten?“

Ich sah ihn abwartend an und nickte, als mir die Pause zu lang wurde.

„Ich weiß etwas über unseren Albus, das hier nicht zu finden ist“, tat er kund und reckte dabei seine Nase in die Luft, als sei er stolz darauf.

„Und das wäre?“

„Er ist ein Halbblut. Mit einer Squib-Schwester.“

Was?“ Albus Dumbledores Schwester war eine ...

Gaunt grinste. „Ganz recht. Der Liebling der ganzen Schule ist ein Halbblut.“ Er konnte nicht wissen, dass das nicht der Fakt war, der mich bestürzte. „Aber so lange er ‚der genialste Schüler ist, den Hogwarts jemals gesehen hat‘, kümmert das natürlich niemanden. Alle fragen sich nur: Wann wird er Zaubereiminister werden?“

Mit meinen Gedanken war ich bei Albus‘ angeblicher Squib-Schwester hängen geblieben. „Woher würdest du das aber wissen? Dass seine Schwester eine Squib ist?“, fragte ich argwöhnisch. „Einer wie er würde damit nicht hausieren gehen.“

„Natürlich nicht. Seine Familie sperrt sie sogar ein und verbreitet den Irrglauben, sie sei ‚zu zart für die Schule‘. Alles Humbug, wenn du mich fragst.“ Stimmte es, was Gaunt sagte, und sie war eine Squib ... war dieser Umgang vielleicht das Beste für sie.

„Und woher willst du das wissen?“, hakte ich erneut nach.

„Ich habe meine Quellen“, erwiderte er wichtigtuerisch. „Und ich habe eine dumme Schwester, die zufälligerweise auf Dumbledores kleinen Bruder steht, den Halbblut-Abschaum.“

„Er hat einen Bruder?“

Ich sah Gaunt an, wie er mein Unwissen und die Möglichkeit, sich wichtigzumachen, genoss. „Und ob. Aber hier brauchst du nicht nach ihm zu suchen, er ist ein totaler Reinfall. Ich schätze, ihre Eltern haben alles Potenzial schon bei dem Ältesten verschossen. Bei Aberforth war dann kaum etwas übrig und das arme Squib-Ding... Naja, schade.“ Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde wieder breiter und bereitete mir allmählich erneut Unbehagen. Eine innere Stimme riet mir, abzuhauen – weg von dem Kerl. Ich war bemüht, mir das nicht anmerken zu lassen. Gaunt war bestens über Albus informiert und nicht nur über ihn. Das Wissen würde mir nützen und dafür durfte ich es mir mit ihm nicht verscherzen.

„Also wie du siehst“, fuhr er fort, ohne auf eine Reaktion von mir zu warten, „Dumbledore ist der perfekte Kandidat für das Trimagische Turnier.“

„Aber im Turnier geht es wirklich um magisches Können“, warf ich ein. „Da kommt man mit ein paar Zaubertricks nicht weit.“

„Eben“, lachte Gaunt, wobei seine Augen gehässig blitzten. „Falls Hogwarts das Pech hat und ihn zum Champion bekommt, haben wir wenigstens etwas zu lachen, wenn er draufgeht.“

„Denkst du, er würde wirklich abschmieren?“, fragte ich zweifelnd, um mir Zeit zu verschaffen, Gaunt und den Hass in seinen Augen zu mustern. Albus Dumbledore heimste nahezu alle Anerkennung ein, die einem Hogwartsschüler möglich war. Reichte das für Gaunt, ihm den Tod zu wünschen?

„Auf jeden Fall. Ansonsten helfe ich nach.“

Das ließ mich aufhorchen. „Ach ja?“

„Ja“, gab er kurz zurück, seine Gehässigkeit wich Argwohn. Dachte er, ich würde ihn verraten, wenn er Albus über den Jordan schickte?

„Also dann“, sagte er abrupt. „Ich muss gleich zum Nachsitzen. Habe den Kessel von Midgens kleiner Schwester heute schmelzen lassen. Die hat vielleicht geflennt, als ihr die Blutegelessenz über die Arme gelaufen ist. Wir sehen uns später.“

Und Gaunt verschwand, ohne ein weiteres Wort. Was war das denn für ein Abgang? Ich starrte ihm hinterher und blieb verwirrt zurück: Was hatte er davon, solche abfälligen Gerüchte über Albus zu verbreiten, ja, ihm obendrein nach dem Leben zu trachten? Ich glaubte nicht, dass seine Schwester eine Squib war. Das passte nicht.

Ziellos sah ich mich im Trophäenraum um und schritt erneut die glänzenden Vitrinen und mit Goldrahmen behangenen Wände ab. Bei dem Rundgang und der Suche nach weiteren Zeugnissen Dumbledores Existenz, erregte eine der gewölbten Außenwände meine Aufmerksamkeit: Ausschnitte von Zeitungsartikeln waren dort in goldenen Rahmen an der Wand befestigt. Ich trat näher, um die Über- und Unterschriften zu lesen.

In der Mitte und in der meistverzierten Einfassung war ein Deckblatt einer Ausgabe der Zeitschrift ‚Verwandlung Heute‘ zu erkennen. Ich überflog das Blatt und blieb in der oberen Hälfte der Seite hängen: Lässt Transspezies-Transfiguration die Grenzen zwischen Identitäten verschwimmen? – ein Artikel von Hogwarts-Schüler Albus Dumbledore.

Ich hob den Rahmen von der Wand und drehte ihn um, um den besagten Text herauszunehmen und zu lesen. Ich löste den vermeintlichen Artikel aus der Einfassung – eine einzige Seite hielt ich in der Hand und die war das Deckblatt.

Ich schnaubte. Es war ein Sinnbild unserer Gesellschaft, dass die Titelseite eines Journals als Lobpreisung ausgestellt war, der Inhalt und damit der Grund für diese ‚Ehre‘ hingegen fehlte.

„Alle fragen sich nur: Wann wird er Zaubereiminister werden?“, hallte Gaunts Stimme in meinem Kopf nach. Ich fügte das Deckblatt sorgfältig wieder in den Rahmen ein und hing diesen zurück an die Wand.

Ich stellte mir Albus als Zaubereiminister vor: Auf der Titelseite des Tagespropheten lächelte er einnehmend, darunter ein Text voller leerer Worte. Er war diplomatisch und in gewissem Maße charmant. Die Menschen himmelten ihn an, manche hassten ihn, wie Gaunt. Das entsprach dem klassischen Bild eines Politikers, nur eines fehlte: das abgründige Geheimnis, das hinter seiner makellosen und idealisierten Fassade steckte. Wie eine Squib-Schwester, die er totschwieg. Wer sagte mir, dass er die Muggel nicht genauso sehr hasste, wie sein Vater? Dass er das alles nicht spielte?

Und war er damit nicht exakt der, den ich brauchte? Hochgelobt und verehrt wie er war, könnte er, auf der richtigen Seite stehend, von unschätzbarem Wert für mich sein. Die Menschen vertrauten und folgten ihm. Wenn ich ihn von mir überzeugte, ließ sich dieses Ansehen, das er innehatte, nutzen, um die Welt zu erobern!

Ich verließ den Trophäenraum. Die Lösung eines solchen Problems fand sich nicht beim Herumstöbern in bedeutungslosen Auszeichnungen. Ich würde mir meinen eigenen Eindruck von dem Liebling der Schule verschaffen. Das Wochenende stand an und womöglich wusste Gaunt, wo Albus sich herumtrieb.

Langsam stieg ich die Stufen der gewundenen Treppe wieder nach unten. Mir blieb eine Viertelstunde bis zu meinem Termin bei Professor Weasley. Wenn die Alte mich nicht lang bei sich behielt, hatte ich vor dem Abendessen Zeit für einen Abstecher in die Bibliothek.

Ich schritt den Korridor entlang, der zum Unterrichtsraum für Verwandlung führte. Zwei mir bekannte Jungen kamen aus der entgegengesetzten Richtung.

„Hallo Gellert“, grüßte Elphias und blieb vor mir stehen. Sein Freund Owen stand schräg hinter ihm, als erwartete er, sich zwischen uns werfen zu müssen.

„Hallo“, erwiderte ich neutral.

„Wie war dein erster Tag?“

„Ziemlich langweilig, wenn du mich fragst“, antwortete ich. „Deiner?“ Innerlich schlug ich mir an den Kopf: Ich hatte mich in die Hölle manövriert.

„Alle Lehrer haben mindestens eine halbe Stunde über die Bedeutung der UTZs referiert. Nach zwei Stunden war das auch nur noch ermüdend“, erzählte Elphias munter.

„Wenn die UTZs so leicht sind wie die ZaGs, dann bestehe ich sie im Schlaf.“

Owen holte Luft für eine Bemerkung, sein Freund stoppte ihn mit einem Tritt auf den Fuß. „Du bist wie Albus“, sagte er an mich gewandt. „Dem fällt das alles auch so leicht. Na ja ... Aber er ist nicht so überheblich wie du.“

„Inwiefern war das jetzt besser als das was ich gesagt hätte, El?“, flüsterte Owen ihm zu, deutlich genug, dass ich es hörte und ohne den Blick von mir abzuwenden.

„Nein, den Trophäen-Raum mit seinen Auszeichnungen zu tapezieren, ist keinesfalls überheblich“, murmelte ich, mehr zu mir als zu den beiden Gryffindors.

„Aber er hilft uns immer beim Lernen, weißt du?“, schob Elphias nach.

„Schön für ihn. Und euch. Ich muss jetzt los.“ Ich drängte mich an ihnen vorbei und steuerte den Klassenraum für Verwandlung an.

„Armer Albus“, hörte ich Owen noch murmeln, bevor die beiden um die Ecke bogen. Was sollte das heißen?

Ich kam vor der Tür zum Stehen und erhob meine Hand, um zu klopfen. In der Bewegung hielt ich inne. Stimmen drangen durch die Tür: „Ich bin gespannt darauf, was Sie als Nächstes in Reserve haben“, hörte ich Professor Weasley sagen. „Halten Sie mich gern auf dem Laufenden mit Ihren Forschungen, ob Verwandlung oder andere Gebiete, hören Sie?“

„Das werde ich, Professor“, antwortete eine männliche Stimme, die mir bekannt vorkam. War das ...

„Machen Sie weiter so, Mister Dumbledore“, flötete Professor Weasley und bestätigte meine Vermutung. Dumbledore. War ich verflucht oder wieso war mir keine einzige Stunde ohne diesen verdammten Namen vergönnt?

Ich klopfte drei Mal kräftig an die Tür, um Dampf abzulassen, und das Gespräch verstummte. Ich wartete auf ein ‚Herein‘, welches nicht kam. Die Stimmen setzten stattdessen wieder ein. „Ich muss Sie leider auf morgen vertrösten, ich habe gleich einen Termin“, hörte ich die Lehrerin sagen.

„Kein Problem, Professor. Vielen Dank für Ihre Zeit“, antwortete Albus. Ich seufzte genervt.

„Für Sie immer, mein Junge. Wir sehen uns morgen“, sagte Weasley daraufhin. Ich war im Begriff, erneut zu klopfen, um das Gespräch hinter mich zu bringen, da öffnete sich die Tür und Albus trat hinaus. Verwundert sah er mich an. „Bist du Professor Weasleys Termin?“

„Was geht dich das an?“, erwiderte ich schroff.

Albus‘ Lächeln verblasste um keine Spur. Er klopfte mir auf die Schulter. „Nachsitzen, hm? Da mussten wir alle durch. Du machst das schon.“ Klar, als ob der Musterschüler jemals nachgesessen hätte!

Er stolzierte an mir vorbei, hob die Hand zum Abschied und verschwand. Einen Moment lang sah ich ihm hinterher, betrat kurz daraufhin das Büro und schloss die Tür hinter mir.

Professor Weasley verschränkte mit finsterem Blick ihre Arme. „Was haben Sie davon, wenn Sie alle vor den Kopf stoßen? Und dann ausgerechnet die, die Sie am besten verstehen können!“ Ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Mitgefühl schwang in ihrer Stimme mit.

„Wieso sollte er mich am besten verstehen?“, fragte ich.

„Sie wissen, wovon ich rede. Setzten Sie sich.“

Ich schritt zum Schreibtisch und ließ mich ohne Widerworte auf den Stuhl sinken. Abwartend sah die Lehrerin für Verwandlung mich an. Ich hielt ihrem Blick stand und war gespannt darauf, wann sie das Schweigen brechen würde. Ich wartete umsonst: Sie war sturer, als ich angenommen hatte.

„Kann man das Haus noch wechseln?“, fragte ich aus purem Trotz in die Stille hinein.

Weasley schnappte empört nach Luft. „Natürlich nicht“, antwortete sie kühl. Ich zuckte mit den Schultern. Einen Versuch war es wert gewesen.

„Solange Sie keinen Reumut für ihr Verhalten zeigen, bleiben wir hier sitzen“, erklärte die Professorin mir wie beiläufig.

Es war Zeit, zu kapitulieren. „Bitte Entschuldigen Sie, Professor“, gab ich in dem reuevollsten Ton, der mir über die Lippen kam, nach. „Es ist schwer, mich hier einzufinden, wissen Sie?“ Augenblicklich wurden ihre Züge eine Spur weicher. Leichtgläubige Alte.

„Das rechtfertigt nicht ihrem Umgang, der – verzeihen Sie die Wortwahl – unsozial ist.“

„Ich kann mich nicht dumm stellen“, erklärte ich trotzig.

„Das verlangt niemand. Ihr Mitschüler, Albus Dumbledore ...“

Ich verdrehte überdeutlich die Augen.

„... war einigen UTZ-Schülern bereits als Zweit- und Drittklässler überlegen. Im Gegensatz zu Ihnen nutzt er sein fabelhaftes Talent dafür, diese Welt – und diese Schule – zu einem besseren Ort zu machen.“ Das war endgültig übertrieben.

„Was hat er Ihnen verabreicht, dass Sie alle ihn vergöttern, als sei er Merlin höchstpersönlich?“, platzte es aus mir heraus.

Professor Weasley bedachte mich mit einem scharfen Ausdruck in den Augen. Ich hielt ihrem Blick stand.

„Geben Sie ihm eine Chance. Ich kenne Albus seit vielen Jahren. Sie beide würden sich gut verstehen.“

„Ich glaube es kaum.“

„Sie lesen gern“, stellte sie fest.

„Ja“, bestätigte ich. „Das tun manche Muggel auch und anfreunden werde ich mich mit denen deswegen trotzdem nicht.“

„Vielleicht treffen Sie sich einfach in der Bibliothek und –“

„Die ist ein Ort zum Lesen und Lernen. Wenn er sich beliebt machen will, kann er das anderswo.“

Die Lehrerin seufzte resigniert. „Für heute vergesse ich ihr Benehmen. Sollten Sie sich solch ein Verhalten erneut leisten, rechnen Sie mit Disziplinarmaßnahmen. Und glauben Sie mir: Ich bin geübt darin, den Schülern das aufzubürden, was Sie am meisten verabscheuen.“

Unter ihrem Tisch ballte ich meine Hände zu Fäusten. Garstiger, alter Besen! „Verstanden, Ma’am“, bemühte ich mich um einen höflichen Ton.

„Dann können Sie gehen“, sagte sie kühl.

Rasch stand ich auf und verließ ihr Büro. Die Lust auf das Recherchieren in der Bibliothek war mir vergangen. Nicht, dass ich dort auf Albus traf, der fragte, wie das Nachsitzen verlaufen war. Vor allem wollte ich nicht, dass Gaunt mich mit ihm sah, nachdem was er erzählt hatte – nicht bevor ich ihn in meinen Plan, Albus von mir zu überzeugen, eingeweiht hatte.

Chapter 5: Bibliothek

Chapter Text

Mit dem ersten Licht, das durch das verzauberte Fenster in unserem Schlafsaal fiel, stand ich am nächsten Morgen auf. Aus den übrigen Betten kamen gleichmäßige Atemgeräusche – meine Mitschüler schliefen tief und fest.

Mehr als alles andere genoss ich die Ruhe im Waschraum: Die Jungen, die sich sonst lautstark über die Mädchen unterhielten, bei denen sie ohnehin keine Chance hatten, waren nicht da. Niemand stieß mich im Vorbeigehen an oder unternahm den Versuch, sich mit einem Fluch die Pickel wegzuhexen – was in den meisten Fällen grauenhaftere Entstellungen zur Folge hatte.

In diesem Moment herrschte vollkommene Ruhe und die nutzte ich, um meine Locken wieder in Form zu bringen. In den letzten beiden Nächten hatten sie darunter gelitten, dass ich nur unruhig geschlafen hatte.

In einem Anflug von innerem Frieden – ausgelöst durch die Ruhe, die im ganzen Schloss herrschte – begab ich mich auf den Weg zur Großen Halle.

Nicht mehr als ein Dutzend anderer Schüler saß zum Frühstücken an den Tischen. Zufrieden suchte ich mir einen Platz und fing an, zu essen. Rührei mit Speck, Brote, Porridge, Kuchen und Pasteten waren aufgetischt. Für die Zubereitung dieser Masse an Speisen brauchte es Hunderte Hauselfen – gesehen hatte ich bisher keinen und das, obwohl ich gestern einen beträchtlichen Rundgang durch das Schloss unternommen hatte. Die Bibliothek hatte ich dabei ausgelassen und mir für heute aufgespart.

Draußen stieg die Sonne langsam über die Berggipfel. Ihr Licht flutete die Große Halle. Ich schloss die Augen und genoss das Gefühl der Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Es würde ein schöner Tag werden.

Nach einem ausgiebigen Frühstück begab ich mich zurück zum Schlafsaal, um die Notizbücher zu holen. Mit ihnen im Gepäck verließ ich die düsteren Kerker und stieg die Treppen hinauf. In den höher gelegenen Stockwerken schien die Sonne durch die Fenster und tauchte die leeren Korridore in ein goldenes Licht. Auf dem Weg zum Bibliotheksflügel schlug ich einen Umweg ein, der draußen entlangführte und mir eine Sicht auf den See bot, wo die Vögel im Morgenlicht dicht über das Wasser glitten. Von hier oben gefiel mir der Anblick.

Nach meinem Spaziergang betrat ich bald die Bibliothek. Wärme umfing mich dort und der Geruch von alten Büchern. Tief atmete ich ein und schloss für einen Moment die Augen, um das Gefühl wirken zu lassen. Das hier war ganz anders als Durmstrang. Behaglich und lichtdurchflutet. Wie ein Zuhause – oder wie ein Solches sein sollte.

Ich öffnete die Augen wieder und sah mich um. Für einen Moment war ich überzeugt davon, im Himmel gelandet zu sein. Reihen um Reihen von Regalen ragten hintereinander auf. Über mir erkannte ich ein weiteres Stockwerk, zu dem sich ein paar spiralförmige Treppen nach oben wandten. Durch die Fenster drang wie in den Korridoren das Sonnenlicht hinein und zog lange Schatten auf dem holzgetäfelten Boden.

Ich bog in die nächstbeste Regalreihe ein und das Gefühl von Paradies verflog unmittelbar: Dort standen drei Schülerinnen beisammen und tuschelten. Eines der Mädchen deutete auf einen Jungen, der mir bekannt vorkam – Prewett. Lässig lehnte er an einem Regal. Dabei hielt er ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, ohne es zu lesen. Was hatte der Kerl in dieser Frühe hier zu suchen? Nein, das war nicht der Moment für eine Konfrontation.

Rasch und lautlos stieg ich die Stufen zum oberen Stockwerk hinauf. Es zog mich weg von den Treppen, hin in die hintersten Winkel, wo sich Dutzende Regalreihen überwiegend der Geschichte der Zauberei widmeten. Dabei kam mir meine Großtante in den Sinn: Erst in ihrem letzten Brief im Sommer hatte sie mir berichtet, dass sie aktuell an einem neuen geschichtlichen Werk arbeitete.

Ich durchstreifte die Gänge, war überwältigt von der Vielfalt, die sich mir bot: Dokumentationen magischer Ereignisse und Unfälle, die Jahrhunderte zurückreichten; Bände längst ausgestorbener Zaubererfamilien und mehr.

Ich fand eine Regalreihe, die voll von Büchern über Hogwarts berühmten Schülern und deren Errungenschaften waren. Hier war ich richtig, um einen Anhaltspunkt für das Trimagische Turnier zu finden. Es gab unendlich Lesestoff und mir blieben nur knappe zwei Monate.

Ich gab mir eine halbe Stunde, die gesamte Bibliothek zu durchstreifen und jedes Buch mitzunehmen, das sich nach der richtigen Richtung anfühlte. Auf meine Intuition war Verlass. Dabei fand ich Berichte vergangener Turniere, Geschichten und vergessene Orte in Hogwarts – denn ich war mir sicher, das würde eine Rolle spielen – und Leitfäden zu Tierwesen.

Und so balancierte ich mithilfe eines Zaubers zwei Dutzend Bücher zu dem Tisch, der im oberen Stockwerk in der hintersten Ecke an einem hohen Fenster stand, und lud sie dort ab. Ich sah mich um: Zu meinem Glück war kein Mensch zu sehen und ich sank zufrieden auf einem der zwei Polstersessel nieder.

Ich schlug das erste Buch auf. Es trug den Titel ‚Basilisken und andere Schlangenartige‘ und behandelte Verbreitung, Züchtung und Merkmale der Tierwesen. Ein Kapitel beschäftigte sich ausschließlich mit Basiliskengift und zog sich über zwei Dutzend Seiten. Es gab viele Abschnitte zu Zaubetrankzutaten und ich überflog sie lediglich, um mir Verweise auf andere Werke, die die Tiere ausführlicher behandelten, zu notieren.

Ich legte das gelesene Buch neben den Tisch und zog aus dem Stapel vor mir eines, worauf im ersten verwiesen worden war. Es trug den Titel ‚drei Köpfe, drei Morde – wie dir das Schlachten der Runespoor gelingt‘. Ein Wesen, welches sich in Zeiten innerer Zerrissenheit einen der Köpfe abbiss; ein Monster, dessen Eier hochgehandelt waren, wenn auch illegal.

Ich las über Runespoors, Basilisken, gehörnte Schlangen, Occamys und viele weitere schlangenartige Wesen. Dass die Zeit verging, erschloss sich mir durch die Sonne, die höher gestiegen war. Das Fenster, an dem ich saß, war nach Süden ausgerichtet und allmählich drang ihr Licht hindurch.

„Entschuldige bitte“, sagte jemand in meine Gedanken hinein und ich sah widerwillig auf: Es war Albus. Sein Haar fiel ihm locker auf die Schultern und fing dabei einen Sonnenstrahl ein, der durch das Fenster schien und seine Haare förmlich in Flammen setzte. Er lächelte.

„Hi“, sagte er und lenkte mich damit von dem Lichtspiel ab.

„Dumbledore“, stellte ich fest, bemüht um einen kühlen Ton.

„Du kannst mich Albus nennen. Darf ich mich zu dir setzen?“

Bevor ich den Mund für das ‚Nein‘ aufmachte, sprach er weiter: „Ich störe dich nicht. Ich möchte auch nur meine Ruhe. Sieh ... Unten ist die Hölle los.“

„Meinetwegen“, murmelte ich und wandte mich demonstrativ wieder dem Werk über Gehörnte Schlangen zu. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Albus sich setzte, ein schlabbriges Buch aus einer Ledertasche hervorzog und anfing, zu lesen. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich, mich auf die Lektüre zu konzentrieren. Es gelang mir nicht. Mein Blick glitt immer wieder zu Albus und mit Überraschung stellte ich fest, dass er sich ebenso tief in seine Bücher vertiefte, wie ich es von mir kannte.

Er schien bemerkt zu haben, dass ich ihn angestarrt hatte, denn er sah auf. „Was ist los?“, fragte er.

„Ich habe mich nur gefragt, was du gerade liest.“ Der Versuch, mich aus der peinlichen Situation zu winden, schlug fehl und ich setzte nach: „Das Ding sieht mitgenommen aus.“

„Dieses Werk hier“, er hielt mir das zerfledderte Buch entgegen, „beinhaltet Augenzeugenberichte aus Kerry, mehrere Jahrhunderte zurückgehend. Zauberer und Hexen betreffend. Ich weiß, das klingt langweilig –“

„Finde ich überhaupt nicht“, unterbrach ich ihn. „Nicht langweiliger als das Lehrbuch für Verwandlung. Darf ich es mal sehen?“

Er reichte mir das Buch und ich überflog die Seite, die aufgeschlagen war. Am Ende der Buchseite angekommen, hob ich den Blick. „Wie hast du das gefunden?“

„Es ist nicht von hier. Ich war im Sommer für eine Woche in Irland, vor allem in der Gegend um Kerry und habe es im örtlichen Archiv begutachtet und vervielfältig, damit ich es mitnehmen kann.“

„Ich glaube, ich habe dich ein wenig unterschätzt“, gab ich mit einem Lächeln zu.

„Ach ja?“

„Ich habe ‚ein wenig‘ gesagt. Bilde dir darauf nichts ein, klar?“

„Auf keinen Fall.“ Albus grinste und ich hatte Mühe dabei, mir meinerseits ein Grinsen zu verkneifen.

„Darf ich dich eine Sache fragen?“ Er sah wieder ernst aus.

„Darfst du. Ich darf mich aber dazu entscheiden, dir nicht zu antworten.“

„Bist du wegen des Turniers hier auf Hogwarts?“

Ich setzte einen unschuldigen Blick auf. „Wie kommst du darauf?“

Er deutete auf das Buch auf meinem Schoß und auf das, das neben mir lag. „Das spricht Bände.“

„Nein, ich bin nicht deswegen hier. Ich wusste bis zum ersten Abend hier nicht einmal davon.“

„Aber du wirst mitmachen“, stellte er fest.

„Du nicht?“

Albus zuckte mit den Schultern und seine Miene verriet Unschlüssigkeit.

„Da hättest du einmal die Chance, eine Auszeichnung zu gewinnen, die tatsächlich einen Wert hat“, stellte ich provokant klar, „und dann kneifst du. Wirft kein gutes Licht auf deine Schulorden.“

Albus legte das Buch auf den Tisch und verschränkte die Arme. „Wenn sogar der Neue über diese Auszeichnungen Bescheid weiß, scheinen sie gar nicht so wertlos zu sein. Ich hätte nicht gedacht, dass du mich so interessant findest.“

Ich schnaubte. „In deinen Träumen. Es gibt hier eben kaum einen Ort, an dem nichts von dir hängt“, verteidigte ich mich.

„Neidisch?“, fragte er geradeheraus.

„Darauf kannst du lang warten. Ich würde mir auf solche Sachen jedenfalls nichts einbilden.“

„Wieso möchtest du dann beim Turnier mitmachen? Wenn dir Anerkennung nichts bedeutet?“

„Aus Spaß an der Sache“, entgegnete ich leichthin.

„Das glaube ich dir nicht.“

„Warum nicht?“

Albus legte den Kopf schief. „Meine Menschenkenntnis ist zufriedenstellend gut. Du bist nicht der Typ, der etwas aus Spaß an der Sache macht.“

„Dann muss ich deine Menschenkenntnis enttäuschen. Gestern erst habe ich einer Gryffindor-Kollegin von dir die Haare neonpink gehext. Nur so aus Spaß an der Sache.“

Albus sah aus, als wüsste er nicht, ob er lachen oder mich tadeln sollte. „Sieh zu, dass du solche Sachen nicht machst, wenn ich dabei bin. Sonst bin ich gezwungen, dir Punkte abzuziehen.“

„Das heißt, du möchtest mir eigentlich keine Punkte abziehen?“

Albus‘ Mundwinkel zuckten. „Das hat Professor Weasley für mich erledigt, wie ich gehört habe.“

Ich verdrehte die Augen. „Oh ja, ich vergaß: Der allzeit informierte Schulsprecher. Was hattest du denn bei ihr zu suchen?“

„Wie du gesagt hast: Ich darf mich dazu entscheiden, nicht zu antworten“, gab er mit einem selbstgefälligen Lächeln zurück.

„Ich würde aufpassen, nicht auf der Schleimspur auszurutschen“, erwiderte ich und wandte mich wieder meinem Buch zu. Albus sah ich aus den Augenwinkeln das gleiche tun.

Ich hatte kaum eine Seite gelesen, da kam mir eine Idee – eine, die mein Herz schneller schlagen ließ. Der Gedanke an Kerry weckte eine Erinnerung in mir. Isolt Sayre, die Gründerin von Ilvermorny und Teil des Hauses Gaunt, war dort geboren worden, bevor sie in Amerika eine Zaubererschule gegründet hatte.

Ich wagte einen Schuss ins Blaue: „Wieso interessierst du dich für Isolt Sayre?“, fragte ich.

An der Art, wie Albus ruckartig seinen Blick hob und mich ansah, erkannte ich, dass ich einen Treffer gelandet hatte.

„Scheint, als hätte ich dich auch unterschätzt“, gab er scheinbar ungerührt zu.

„Hm“, machte ich. „Nett von dir, aber ... die Verbindung ist offensichtlich.“

„Ist sie das?“

„Ja.“

„Erleuchte mich“, verlangte Albus. Ich erkannte eine Spur Misstrauen in seinem Blick. Er traute mir nicht recht über den Weg.

„Ich weiß zwar nicht, was du dir von der Recherche um sie erhoffst und worin du verwickelt bist“, gab ich spitz zu, „aber ‚Augenzeugenberichte‘ und ‚Kerry‘ sprechen eine deutliche Sprache, findest du nicht?“

Albus schüttelte den Kopf. „Du würdest dich wundern, wie viele Schüler nicht einmal mit dem Wort ‚Ilvermorny‘ vertraut sind, ehrlich. Für Gründungsgeschichten interessiert sich hier kaum jemand – erst recht nicht, wenn sie nicht Hogwarts betreffen.“

„Dann sind die Schüler hier dümmer als ich dachte“, stellte ich fest.

„Das hat nichts mit Dummheit zu tun“, verteidigte Albus seine Mitschüler. „Vielmehr mit fehlender Wissbegierde. Das ist ein Unterschied.“

„Man kann sowohl dumm als auch nicht neugierig sein. Das eine schließt das andere nicht aus.“

„Jeder hat seine Stärken woanders, findest du nicht? Ich nutze meine, um anderen bei ihren Schwächen zu helfen. Vereint sind wir stärker als allein.“ Das klang so eingeübt, das meinte er nicht ernst. Oder?

„Du klingst wie meine Großtante“, gab ich abschätzig zurück. „Ich denke mal, deswegen bist du Schulsprecher geworden.“

Albus lachte und ich schlug mir innerlich an den Kopf.

„Also nicht weil du klingst wie meine Großtante“, schob ich hinterher – ein Schmunzeln konnte ich dabei nicht unterdrücken. „Eher weil du ... den Gemeinschaftsorientierten spielst. Ich finde das bemerkenswert. Dass du nicht auf die anderen herabschaust, egal wie beschränkt und unterlegen sie sind. Das ist wie mit den Muggeln.“ Den letzten Satz vermochte ich mir nicht zu verkneifen. Die Frage, wie Albus dazu stand – zu dem Mord an den drei Muggeln von seinem Vater – ließ mich nicht los.

Seine Augen verengten sich. Er hatte meinen Wink verstanden, wie ich gehofft hatte. „Worauf willst du hinaus?“, verlangte er zu wissen. Er ahnte, was als Nächstes kam, das spürte ich.

„Wie sehr stehst du hinter der Ideologie von deinem Vater?“ Ich wartete darauf, dass Albus mir widersprach. Er sah mich nur abwartend an.

„Das heißt, du bestreitest es nicht“, stellte ich klar.

„Mein Vater hat drei Muggel getötet. Wo ist dein Punkt?“

„Würdest du seinem Beispiel folgen?“

Albus Miene veränderte sich. Verachtung und Verletztheit spiegelten sich in seinen Augen.

„Entschuldige“, murmelte ich automatisch und war verwundert von mir selbst.

„Dafür, dass du mich für einen Muggel-Schlächter hältst oder dafür, dass du ein Idiot bist wie alle anderen?“ Der letzte Satz versetzte mir einen Stich. Albus sah sich scheinbar oft damit konfrontiert. Vor allem von seinen Mitschülern.

„Beides?“

Er schaute abwartend zu mir. Wartete er auf eine weitere Entschuldigung?

„Es hat ein Jahr gedauert, bis die anderen hier mich als eigenständiges Individuum gesehen haben und nicht als Nachkomme des Zauberers, der drei Muggel getötet hat“, erzählte Albus mit gedrückter Stimme.

„Und jetzt komme ich an und mache diesen inneren Frieden zunichte“, schloss ich.

„So wollte ich das nicht sagen“

„Aber du dachtest es.“

„Für einen Moment, ja. Aber wenn ich ehrlich bin, kann ich dich nicht dafür verurteilen. Diese Neugier kenne ich zur Genüge von mir selbst. Wenn man einmal einen losen Faden findet, muss man daran ziehen, hab ich nicht recht?“ Er lächelte zurückhaltend.

„Das trifft es ziemlich gut“, gab ich zu und erwiderte seinen Blick, der mich nachdenklich stimmte.

„Albus!“, erklang eine Stimme und wir beide schreckten hoch. Owen tauchte vor uns auf – zum ersten Mal ohne sein Anhängsel Elphias. „Habe ich doch gedacht, dass ich dich hier –“ Er stockte, als er mich sah. „Was machst du denn mit dem hier?“

„Reden, wonach sieht es denn aus?“

„Ja, das sehe ich. Aber warum?“

„Weswegen bist du hier? Sicherlich nicht, um mir vorzuschreiben, mit wem ich rede oder nicht.“

„Dein Bruder“, setzte Owen behutsam zu einer Erklärung an und warf mir einen kurzen Blick zu, als wünschte er sich, dass ich mich in Luft auflöste.

Albus seufzte entnervt. „Mit wem hat er sich angelegt?“

Owen räusperte sich. „Prewett. Diesmal konnte Ab wirklich nichts dafür.“

„Dem sollte mal jemand eine Lektion erteilen“, sagte ich leichthin. Owens Miene nach zu urteilen, konnte er sich nicht zwischen Zustimmung und Verachtung mir gegenüber entscheiden.

„Gewalt ist keine Lösung“, hielt Albus dagegen.

„Kalendersprüche auch nicht“, erwiderte ich leichthin. „Ich kenne solche Leute aus Durmstrang. Manchmal brauchen die einen ordentlichen Schlag.“

„Da gebe ich ihm ausnahmsweise recht“, murmelte Owen widerwillig.

„Ist gut jetzt. Was ist passiert?“

„Prewett kam in den Gemeinschaftsraum und ... warum auch immer hat der Idiot sich mit Aberforth angelegt. Ich habe es nicht mitbekommen. Jedenfalls ist der jetzt im Krankenflügel und ...“

Albus erhob sich. „Geht es ihm gut?!“ Eine Spur von Angst stand in seinem Gesicht geschrieben.

„Den Umständen entsprechend, würde ich sagen. Keine bleibenden Schäden sind zu erwarten. Aber besser, du kommst mit“, antwortete Owen.

„Nun gut“, gab Albus nach. Sein Blick glitt zu mir. „Tut mir leid.“ In seiner Stimme schwang Bedauern mit.

„Kein Problem“, erwiderte ich.

Er packte seine Sachen zusammen und stand auf. „Wir sehen uns“, sagte er und verschwand gemeinsam mit Owen. Ich sah ihm verwirrt nach. Was tat ihm leid?

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich endlich wieder dem Buch zu. Erst jetzt fiel mir auf, dass Albus meine Frage nicht beantwortet hatte. Wieso interessierte er sich für Isolt Sayre?

Chapter 6: Alchemie

Notes:

(See the end of the chapter for notes.)

Chapter Text

Drei Wochen waren vergangen seit Albus und ich uns in der Bibliothek unterhalten hatten. Seitdem zogen die Tage zäh dahin. Alltag war in die Abläufe eingekehrt und damit Langeweile.

Das einzig Bemerkenswerte in dieser Zeit war der Ausfall des Alchemie-Unterrichts: Drei Male in Folge war die Doppelstunde am Montag ausgefallen und erst gestern Abend hatte der Schulleiter verkündet, dass unsere Lehrerin für dieses Fach endlich zum Lehrkörper dazugestoßen war. Dabei hatte er versucht, den Eindruck zu erwecken, dass ihn das kümmerte. Es war Heuchelei: Erst vor zwei Wochen hatte Black der Ausfall unbeeindruckt gelassen. „Eine Vertretung?“, hatte er mit einem Schnauben gesagt und verächtlich das Gesicht verzogen. „Alchemie ist ein Wahlfach und nicht relevant für Ihre UTZs. Professor Selwyn wird irgendwann auftauchen und bis dahin obliegt Ihnen das Studium der Alchemie ganz selbst.“

Ich gab nichts auf Anweisungen des Schulleiters, dennoch hatte ich mich mit der Auffrischung der alchemistischen Grundlagen beschäftigt. Das Feld war endlos und ich hatte manchen Unterricht verpasst, weil ich im Selbststudium versank. Sobald ich ein Projekt hatte, ein Ziel, hatte der Rest keine Bedeutung mehr. Fokus. Beinahe hatte ich vergessen, dass Albus Dumbledore mir nach wie vor eine Antwort auf meine Fragen schuldig blieb. Hin und wieder ertappte ich mich in der Bibliothek dabei, wie ich meinen Kopf hob, wenn sich Schritte näherten – in der Erwartung, Albus gleich um die Ecke biegen zu sehen. Doch er tauchte nicht auf und mir boten sich keinerlei Gelegenheiten, unauffällig mit ihm zu sprechen. Er war allzeit von einer Traube Schülern – oder vielmehr Bewunderern – umgeben.

Vielleicht war das besser. Albus würde mich mit seinen Familiendramen und seinen Heimlichkeiten von dem ablenken, was von Belang war.

Ich blieb stehen. Ablenken war ein passendes Stichwort. Wo war ich? Die Korridore in den Kerkern – wo der Klassenraum für Alchemie angeblich lag – waren verzweigt und obwohl bald vier Wochen vergangen waren, fand ich mich hier unten nicht zurecht.

Vor dem letzten Abzweig hatten Fackeln die Gänge erleuchtet. Hier war es finster. Und hierhin verirrte sich niemand, bis auf mich. In jeder anderen Lage wäre ich dem Weg gefolgt, um herauszufinden, was am Ende wartete. Aber der Alchemie-Unterricht stand an und das war der Einzige, den zu verpassen ich nicht bereit war. Er war einer der Gründe für meinen Wechsel nach Hogwarts.

Ich zog meinem Zauberstab, um mich von ihm leiten zu lassen, und allmählich durchzog wieder das Flackern von Fackeln die Gänge und ließ Schatten an den Wänden tanzen. Ich begegnete niemandem auf dem Weg.

Überpünktlich – trotz meines Umweges – kam ich am Klassenraum für Alchemie an. Aus der geöffneten Tür drang diesiges und flackerndes Licht auf den Korridor.

Ich betrat den Raum und sah mich um: Die Tafel war umnebelt von verschiedenfarbigen Dämpfen: weiß, rot und golden. Davon angezogen schritt ich durch die Tischreihen nach vorn und blieb eine Armlänge vor dem Kessel stehen, aus welchem der weiße Dampf aufstieg. Er faszinierte mich.

Ich hörte kein Geräusch und hatte dennoch das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Ich wandte mich um. In der Tür stand eine gebeugte Gestalt. Die flackernden Schatten, die über ihr Gesicht tanzten, ließen die Züge faltiger erscheinen, als sie ohnehin waren. Die dichten schwarzen Haare waren von ersten grauen Strähnen durchzogen.

Grüßend nickte ich unserer Professorin zu. Sie lächelte. „Herzlich willkommen, Gellert“, sprach sie in einer Stimme, die älter klang als ihre Erscheinung.

Dass sie meinen Namen kannte, irritierte mich nicht. Dass sie mich mit meinem Vornamen ansprach, hingegen sehr. „Vielen Dank“, erwiderte ich.

Gemächlich schritt sie durch die Tischreihen hindurch zu mir nach vorn. Sie blieb stehen und betrachtete mich. Nicht wie viele – indem ihr Blick zwischen meinen beiden Augen hin- und her schnellte, um sich kurz darauf peinlich berührt abzuwenden. Eher, als kannte sie mich aus einem früheren Leben und wäre dabei, mich neu einzuordnen.

Ein weiterer Schüler betrat den Raum – eine Schülerin – und lenkte die Aufmerksamkeit von Professor Selwyn von mir weg. Das Mädchen hatte pechschwarzes und stumpfes langes Haar. Ihre Augen waren im Gegensatz dazu flink und voller Neugier.

„Ach, der Neue“, sagte sie in einem Tonfall, der lauernd und abschätzig klang. Ihr Mund verzog sich zu einer gehässigen Grimasse.

„So sieht es aus“, entgegnete ich.

„Dass sie dich dafür zugelassen haben ...“

„Du würdest dich wundern, wofür man mich alles zulässt.“

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie sich die Lippen unserer Lehrerin amüsiert kräuselten, bevor sie ihren Weg fortsetzte und sich zwischen die dampfenden Kessel und die Tafel stellte.

Das betrachtete ich als Aufforderung, mir einen Platz zu suchen, und setzte mich nach vorn. Das Mädchen war, wie ich jetzt an ihrem Vertrauensschülerabzeichen feststellte, ebenfalls aus Slytherin, aber ihr Gesicht kam mir nicht bekannt vor.

Fünf Minuten später stellte die Professorin sich vor die Klasse, die aus vier Schülern bestand, und räusperte sich kaum hörbar. Trotzdem verklang das letzte Geflüster.

„Meine Lieben“, sprach sie. „Für die, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Shani Selwyn. In diesem Jahr haben wir miteinander das Vergnügen. Alchemie ist ein Wahlfach, was euch nicht von einer Prüfung entbindet. Doch dazu später mehr.“

Die Lehrerin trat einen Schritt zur Seite und wies in einer fließenden Bewegung auf die drei Kessel vor sich. Sie betrachtete uns erwartungsvoll.

Ich wechselte einen irritierten Blick mit der Schülerin neben mir. Professor Selwyn ließ den Arm sinken. Ihr Lächeln blieb erhalten. „Was ist Alchemie?“, fragte sie in den Raum hinein, ohne irgendjemanden von uns anzuschauen. Ich verkniff mir ein Augenrollen.

Unsere Lehrerin drehte sich zur leeren Tafel und betrachtete sie, als ob sie darauf lesen würde. Das Gryffindor-Mädchen hinter mir meldete sich, und im selben Moment fügte Professor Selwyn hinzu: „Ich möchte keine auswendig gelernten Definitionen hören.“ Langsam und lautlos ließ die Schülerin die Hand wieder sinken.

Gab es darauf eine richtige Antwort? Oder testete sie uns? Bei jedem anderen Lehrer, den ich bisher kennengelernt hatte, hätte ich eine blödsinnige Bemerkung fallen gelassen. Professor Selwyns Aura reichte, um diesen Gedanken zu verwerfen und damit schien ich nicht der Einzige zu sein.

Sie wandte sich erneut uns zu. „Nun gut. Fangen wir anders an. Wo ist Euch in Eurer Schullaufbahn, hier in Hogwarts die Alchemie schon begegnet?“

Das Gryffindor-Mädchen meldete sich wieder und sprach nach dem Nicken von der Lehrerin zögerlich: „Professor Sharp hat im Zaubertrank-Unterricht den Stein der Weisen erwähnt, als wir über Elixiere gesprochen haben.“

Bedeutungsvoll nickte die Professorin. „Der Stein der Weisen, ja. Er ist ziemlich das Einzige, das bis in die Köpfe der Engstirnigen dringt, die sich mit diesem Fach nicht näher auseinandersetzen. Er bedeutet Unsterblichkeit und Reichtum. Zwei Eigenschaften, nach denen Mensch und Zauberer gleichermaßen gieren. Aber die ... Essenz“, sie hielt inne, musterte uns, „bleibt ihnen verborgen. So sind sie, die Zauberer. Sehen nicht, was direkt vor ihnen ist.“

Damit fasste sie meine Gedanken über die Schüler hier zusammen – nur schloss sie mich mit in ihre These ein und das gefiel mir nicht.

„Ja, sehr wohl auch du, Gellert.“ Wieder der Vorname. „Mir geht es darum, dass ihr die Augen für das schärft, was wesentlich ist. Die Wissenschaft der Alchemie mag Mittel zum Ruhm für manche sein. Für die, die dahinter blicken, ist es weit mehr als das. Was ist es für euch? Mit welchen Zweigen der Magie kommt es in Berührung?“

„Na mit Zaubertrank-Kunde“, antwortete das Slytherin-Mädchen neben mir. „Und vielleicht auch mit Pflanzen, so am Rande.“

„Damit sprichst du aus, was die Mehrheit der Zauberer denkt, Metis.“ Ich warf meiner Sitznachbarin einen Blick zu. Metis. Ungewöhnlicher Name.

„Wenn ihr mich fragt, ist viel spannender“, fuhr Professor Selwyn fort, „was die Alchemie und die Verwandlung verbindet – vor allem zum Beispiel die Transspezies-Transfiguration.“

Transspezies-Transformation. Dieses Wort weckte eine Erinnerung in mir, die ich nicht fähig war, zu fassen. Ich sah mich im Trophäen-Raum stehend. ‚Lässt Transspezies-Transfiguration die Grenzen zwischen Identitäten verschwimmen?‘ – ein Artikel von Hogwarts-Schüler Albus Dumbledore.

Ob Albus Alchemie belegt hatte? Ich stellte mir vor, wie er hier vorn saß und mit seinen blauen Augen gebannt die Professorin fixierte, förmlich an ihren Lippen hängend, ihm entging kein Wort. Später saß er in der Bibliothek, halb hinter Türmen aus Büchern verborgen, und schrieb seinen Fachartikel mit derselben konzentrierten Miene, mit der er seine irischen Augenzeugenberichte gelesen hatte.

Ich kannte mich nicht aus mit Transspezies-Transfiguration, zumindest nicht mit der Theorie. Anhand der Überschrift seines Beitrags ließ sich kaum einordnen, in welche Richtung der Text verlief oder wie überragend er war. Er musste überragend sein, wenn die berühmteste Fachzeitschrift ganz Großbritanniens seinen Artikel veröffentlichte. Hätte ich ihn doch nur gelesen!

„Du könntest Albus danach fragen“, schlug mir eine fiese Stimme in meinem Kopf vor.

„Nur über meine Leiche“, antwortete ich in Gedanken darauf. Sein Ego war ohne meine Hilfe groß genug für Hogwarts.

Und das war der Punkt! Hatte ich hier die Gründe vor mir, warum Albus mir meine Frage, wieso er sich für Isolt Sayre interessierte, nicht beantwortete und mir seitdem auswich?

Glaubte ich Professor Selwyn, gab es eine Verbindung zwischen Alchemie und Verwandlung und diese war der Schlüssel oder nicht? Es ergab Sinn, bedachte ich mir die Fähigkeiten der drei Heiligtümer: Der Unsichtbarkeitsumhang, der den Träger sogar vor dem Tod verbarg; der Stein, der die Toten auferstehen ließ; und der Zauberstab, der mächtigere Magie besaß als alle anderen. Das war nicht das Ergebnis von simplen Verwandlungszaubern, sondern von Wegen der Magie, die seitdem niemand mehr beschritten hatte, über die kein einziges Werk ein Wort verlor. Ich hatte zu eingeschränkt gedacht! Als ob Bücher mich zu den Heiligtümern führten, wo doch nur eines sie je beim Namen genannt hatte!

Wer in den Besitz aller drei gelangte, galt als Gebieter des Todes. Der Gedanke, dem Tod zu entkommen war nicht neu. Der Stein der Weisen war der beste Beweis dafür.

Und es würde mir einen Grund liefern, wieso Albus mir auf meine Frage nicht geantwortet hatte: Schülersprecher, die an Märchen glaubten, waren mit Sicherheit nicht gern gesehen.

„Mister Grindelwald?“ Ich schreckte auf und sah in das Gesicht von Professor Selwyn. „Können Sie dem Unterricht folgen?“

„Ich habe mich gefragt ...“, setzte ich zu einer Frage an, „was möglich ist, wenn man Alchemie und Verwandlung kombiniert – zwei solch mächtige Zweige der Magie.“

„Einfach alles“, antwortete die Lehrerin mit ehrfürchtiger Stimme. „Deswegen möchte ich, dass ihr das Wesentliche erkennt, euch nicht mit dem aufhaltet, was auf den ersten Blick als logisch erscheint. Das, was dahinter steht, das ist die Essenz.“

Totenstille im Klassenraum.

„Bis zur nächsten Stunde erwarte ich von jedem von euch 2 Fuß Pergament zur Bedeutung der Alchemie und ihrer Macht. Und ich möchte keine Definitionen oder ähnlich ermüdendes lesen.“

„Professor“, sagte das Gryffindor-Mädchen. „Sie haben uns nicht gesagt, was in den Kesseln ist.“

„Ganz recht“, antwortete unsere Lehrerin, schlang sich ihr Tuch um den Hals und verließ den Raum mit solch sanften Schritten, als würde sie schweben.

Es dauerte einen Augenblick, bis ich wieder zur Besinnung kam. Den anderen schien es ähnlich zu ergehen. „Die Frau ist schräg“, stellte meine Sitznachbarin frostig fest und erhob sich.

„Aber vielleicht“, hauchte ich, „müssen wir hinter diesen Eindruck sehen. Um das Wesentliche zu erkennen.“

Die Slytherin gluckste, was überhaupt nicht zu ihrer düsteren Erscheinung passte. Es schien, als müsste ich noch hinter viele Fassaden sehen, um das Wesentliche zu erkennen.

Notes:

Hello again.
Die letzten Stunden an diesem Kapitel waren sehr anstrengend. Stilistisch dürften sich hier noch einige Fehler finden, die ich in den nächsten Tagen ausbessern werde. (Ich möchte jetzt nämlich weiter Hogwarts-Legacy spielen.)
Ich hoffe das Kapitel gefällt euch trotzdem. Bis bald. :)

Chapter 7: Friedensangebot

Chapter Text

Ich saß am Nachmittag in der Bibliothek. Vor mir auf dem Tisch lag mein angefangener Aufsatz. Statt ihn fortzusetzen, starrte ich aus dem Fenster und beobachtete die Regentropfen, die an der Scheibe hinunterliefen.

 Ursprünglich hatte ich geplant, zu dieser Zeit einen Spaziergang zu unternehmen, in der Gegend um die Schule. Hier in der Umgebung gab es erstaunlich viele Stellen für Trankzutaten, die ich brauchte – Florfliegen zum Beispiel.

Abgesehen davon hielt ich nach verborgenen Orten im und um das Schloss Ausschau. ‚Hogwarts: ungelüftete Geheimnisse‘, ein Werk, das beim Aufschlagen fast auseinanderfiel und in Runenschrift geschrieben war, hatte meine Neugier geweckt.

Der Regen und der Alchemie-Aufsatz zwangen mich, hier zu versauern. Sonst saß ich gern zwischen den Büchern und las, nur nicht an Tagen wie heute, wo das Wetter jeden Schüler nach drinnen trieb. Ein stiller Ort war die Bibliothek lang nicht mehr und ich war es leid.

Vielleicht stellte ich mich dem hohen Fenster im Gemeinschaftsraum, hinter welchem der See lauerte, und arbeitete dort an dem Aufsatz? Das bot mir nebenbei Gelegenheit, nach Gaunt Ausschau zu halten. Er war der einzige Slytherin, mit dem ich regelmäßig sprach, doch ich sah ihn in der letzten Zeit seltener. An manchen Tagen verschwand er für Stunden und kehrte abends nicht in den Schlafsaal zurück. Ein Gespräch mit ihm – oder eine Beschattung – wären im Bezug auf verborgene und geheime Räume wohl aufschlussreicher als jedes Buch dieser Welt.

Ich war dabei, ‚Verwurzelte Zweige der Magie‘ in sein Regal zurückzustellen, da hörte ich Schritte, die sich mir näherten und ein paar Meter von mir entfernt stehen blieben.

„Ach du lässt dich auch mal wieder –“, setzte ich an, stockte jedoch: Ein blondes Mädchen stand da, zierlich und mit Sicherheit keine 15 Jahre alt. Das war definitiv nicht Albus.

„Ich dachte du wärst ... Nicht so wichtig.“

„Ich wollte dich nicht stören“, murmelte sie und trat dabei von einem Fuß auf den anderen.

„Suchst du etwas?“

„Ich ...“ Sie sah auf und betrachtete mich mit einem forschenden Blick – sie wägte ab, ob ich vertrauenswürdig war. Das Mädchen sah unschuldig aus und trotzdem verbarg es irgendetwas.

„Es ist so... Ich suche ein Buch zu ...“ Sie sah auf ihre Liste. „Basi- ... Basilisken.“

Ich hätte ihr alles zugetraut: Kräuterkunde-Ratgeber, Knuddelmuff-Handbücher oder Zaubertrankanweisungen für Amortentia, den Liebestrank. Aber das ...?

Sie schien meine Gedanken zu erraten, denn sie lächelte und strich sich dabei eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. „Das ist nicht für mich“, erklärte sie. „Ich helfe nur jemandem.“

„Verstehe“, gab ich zurück. Das war mehr als seltsam. „Wem denn?“

Die Schülerin sah sich um, bevor sie ein paar Schritte näherkam. „Michael hat gesagt, er hilft mir in der nächsten Saison, ins Quidditch-Team zu kommen, wenn ich ihm beim Recherchieren helfe“, flüsterte sie mir zu. Die arme Kleine.

„Okay“, gab ich nach. „Du bist schon richtig in dieser Abteilung. Wonach genau suchst du denn?“

Als Antwort reichte sie mir das Stück Pergament.

 

- Basilisken
- wie setzt man sie gegen andere ein?
- Mittel dagegen?
- Züchtung?

 

Die krakelige Schrift gehörte definitiv zu einem Jungen. Der Kerl hatte ihr ohne Erklärungen diese Liste in die Hand gedrückt und ...

„Weißt du, ob es dazu Bücher gibt?“, fragte sie flüsternd.

„Dazu gibt es Bücher, aber die sind in der verbotenen Abteilung und da dürfen nur ältere Schüler oder welche mit Genehmigung eines Lehrers ein Buch ausleihen.“

„Oh“, machte sie und strich sich dabei ihren Umhang glatt. „Dann ... dann gehe ich mal wieder. Danke.“ Eilig wandte sie sich ab und war gleich darauf verschwunden.

Einen Tag später war ich die Treppe aus dem oberen Stockwerk hinabgestiegen, um die Bibliothek für das Abendessen kurz zu verlassen, da sah ich das Mädchen wieder. Dieses Mal steuerte sie geradewegs auf die Bibliothekarin zu, die mit konzentrierter Miene Bücher entstaubte.

Ich huschte rasch hinter ein Regal und hielt mir meinen Zauberstab ans Ohr, um den Ton des Gesprächs mit einem Zauber zu verstärken. Ich wollte alles hören.

„Und du hast die Genehmigung von ...?“

„Von Professor Plummly.“

Die Bibliothekarin beäugte die Hufflepuff mit einem eiskalten Blick, bevor sie verschwand und mit einem dicken Buch wieder auftauchte. Widerwillig händigte sie es ihr aus.

„Vielen Dank, Ma’am“, hörte ich das Mädchen sagen und sah es auf den Ausgang zugehen. Ich folgte ihr, ohne darüber nachzudenken. Das stank bis zum Himmel!

Sie verließ die Bibliothek, wobei sie sich hektisch umsah. Sie schlug rasch den Weg zur Großen Treppe ein, wo im selben Moment, da ich ankam, eine Gruppe von mindestens zehn Slytherins die Stufen hinauf schlenderten. Das Mädchen wandt sich zwischen ihnen hindurch und wurde dabei nicht – wie sonst üblich – geschubst oder komisch angemacht. Sie verschwand die Treppe nach unten. Ich erhöhte mein Tempo, aber es half nichts. Ich verlor sie aus dem Blick.

In unseren Gemeinschaftsraum kam sie nicht als Hufflepuff, also suchte ich die Korridore abseits davon ab und hielt nach irgendeinem Hinweis Ausschau. Weder meine Augen, noch wiederholt variierte Aufspürungszauber, waren erfolgreich und ich gab die Suche auf, nachdem ich im Labyrinth hier unten auf eine Sackgasse gestoßen war.

Frustriert drehte ich mich um, um den Weg zurückzugehen. Dabei begegnete mir niemand. Traf das Mädchen hier im Dunkeln jemanden? Oder deponierte sie ihre Beute in einer Ecke, damit es ihr Auftraggeber später abholte? Wozu das Ganze? Ja, ein Buch über Basilisken auszuleihen, ließ einen nicht unbedingt vertrauensselig erscheinen, aber es war nicht verboten. Wieso kümmerte dieser Michael sich nicht selbstständig darum?

Ich war an der Wand angekommen, hinter der sich unser Gemeinschaftsraum verbarg. Gegenüber des Eingangs führte die Treppe zu dem Treppenkomplex nach oben. Ich hatte die Bibliothek ursprünglich zum Abendessen in der Großen Halle verlassen. Ich hatte Hunger und vielleicht sah ich dort entgegen meiner Erwartung das Hufflepuff-Mädchen.

Ich nahm zwei Stufen auf einmal und war fast an dem Absatz angekommen, nach dem ich zur Großen Halle gelangte, da packte mich jemand an der Schulter und drehte mich grob herum. Prewett. Seit dem Vorfall im Zug hatte ich ihn wöchentlich im Unterricht gesehen. Er war mir nie in die Quere gekommen. Warum jetzt?

„Oh, sieh mal einer an“, sagte der Gryffindor feixend. „Ist das nicht ... Grindeloh?“ Er lachte schallend über seinen eigenen Witz.

„Grindeloh!“, stimmte sein Kumpel in das Gelächter mit ein. „Genial, Michael!“

Michael. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass die beiden Gryffindors mir nicht zufällig in diesem Moment in die Quere kamen. Das war der Kerl, der dem kleinen Hufflepuff-Mädchen aufgetragen hatte, die Bücher zu besorgen, im Austausch für ...? Privates Quidditch-Training? Was für ein mieser Deal.

„Und er sieht wirklich so aus“, setzte Prewett nach. „Wie ein Grindeloh. Schau dir sein Gesicht an, Jadon!“

„Meinst du, er hat auch grüne spitze Zähne wie seine Verwandten?“

„Lass uns doch nachschauen!“ Prewett kam auf mich zu. Ich kannte diese Momente aus Durmstrang. Sie provozieren mich, damit sie mich hinterher anschwärzten. Ich atmete tief durch, um Ruhe zu bewahren, und streckte ihm meinen Zauberstab entgegen, als Warnung. Ansonsten rührte ich mich nicht von der Stelle.

„Oh, Grindeloh will angreifen“, spottete der Junge.

„Kein Zaubern auf den Gängen, Wasserdämon“, lachte sein Freund und Bodyguard, der Jadon hieß. „Der hält ganz schön viel von sich, oder? Vielleicht sollten wir ihn zu seiner Grindeloh-Familie bringen: Packen und in den See werfen!“

Der Film lief automatisch in meinem Kopf ab. Allein die Vorstellung davon, in diesem See zu landen, reichte, um mich aus meiner Starre zu holen. Die würden sich nicht mit Provokationen zufriedengeben. Ich war im Begriff, den Schockzauber zu wirken, da flog mir ohne Vorwarnung mein Zauberstab aus der Hand. Was ...

Prewett brüllte vor Lachen und zeigte auf mich. „Der entwaffnet sich selbst! Da hab ich wirklich mehr Angst vor den grünen Zähnen!“

Ich sah mich suchend um. Am unteren Ende der Treppe, die ich vorhin hinaufgestiegen war, erblickte ich den Jungen, den ich am allerwenigsten von allen Wesen auf dieser Erde sehen mochte: Albus Dumbledore. Mit meinem Zauberstab. Wie hatte er ...

„50 Punkte Abzug für Gryffindor“, sagte er betont gelassen an Prewett und dessen Freund gewandt und kam die Stufen hinauf.

Verwirrt drehten die beiden sich zu dem Neuankömmling um. „Du kannst nicht 50 Punkte von deinem eigenen Haus abziehen, Dumbledore!“, empörte sich dieser Jadon.

„Wie du siehst, kann ich das, Davies. Ich werde zudem Professor Weasley hierüber informieren.“

Prewett sah aus, als würde er Albus gleich ins Gesicht springen. „Er hat angefangen!“, schimpfte er und deutete mit dem Finger auf mich.

„Hat er nicht. Und jetzt Abflug“, forderte der Schulsprecher ihn auf. Es war ihm anzusehen, dass Prewett das Gehorchen extreme Mühen kostete. Fluchend zog er seinen Freund mit sich in Richtung der Großen Halle.

„Zieh mir ruhig Punkte ab, ist mir Scheiß egal!“, blaffte ich Albus an. Er streckte nur seine Hand aus und reichte mir meinen Zauberstab. Die Erkenntnis über meine Schmach stieg erst jetzt in mir auf: Er hatte mich entwaffnet. Ein Halbblut mit einer Squib-Schwester und einem Nichts-Könner-Bruder hatte mich entwaffnet!

„Wie hast du das gemacht?“, fuhr ich ihn an und konnte die Spur Bewunderung dabei nicht aus meiner Stimme verbannen.

Ein dezentes Lächeln umspielte seine Lippen, aber da war kein Hohn. „Zugegeben... So schwer fiel mir das auch noch nie. Du warst abgelenkt. In einem richtigen Duell hätte ich es vermutlich nicht so leicht geschafft. Und nein, ich ziehe dir keine Punkte ab. Den Zauberstab habe ich dir abgenommen, bevor du eine Dummheit begehen konntest.“ Seine Züge wurden weicher. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Der Ausdruck in seinen Augen verunsicherte mich. „Du musst deine lange Nase nicht in Dinge stecken, die dich nichts angehen, Dumbledore. Weißt du das?“

Entgegen meiner Erwartung wurde Albus nicht wütend. Er sah mich stattdessen abwartend an. Ich schwieg.

„Bist du jetzt fertig?“, fragte er nach einigen Augenblicken, in denen wir uns stumm angesehen hatten.

„Womit?“

„Damit, deine Laune an mir auszulassen. Dann können wir beide nämlich zum Abendessen gehen. Ich habe Hunger.“

Ich blinzelte, betrachtete Albus und ich verstand ihn nicht. Wo war seine Wut? Wo war der Hohn über meine Niederlage ihm gegenüber? Ich schüttelte den Kopf. „Du bist seltsam.“

„Normal ist auch langweilig“, antwortete er und grinste dabei.

„In einem richtigen Duell“, griff ich auf, was er gesagt hatte, „hätte ich dich mühelos besiegt.“

„Seine Gegner zu unterschätzen, ist nie klug. Es ist besser, sie zu kennen, um ihre Schwächen ausnutzen zu können. Wenn du also gegen mich eine Chance haben willst, solltest du mich vielleicht erst einmal kennenlernen.“

„Ist das eine Drohung oder eine Anmache?“, fragte ich provokant.

Albus lächelte charmant. „War zwar nicht so gedacht, aber wenn du willst ...“

Mein Herz geriet für einen Moment ins Stocken und ich sah ihn wortlos an. Sein blauer Blick lag auf mir, als durchleuchtete er mich und gab mir das Gefühl, dass er das bemerkt hatte. Ich fasste mich wieder. „Träum weiter.“

Wenn Albus enttäuscht war, ließ er es sich nicht anmerken. „Eigentlich war das ein Friedensangebot. Das mit dem Kennenlernen, meine ich.“

„Sind wir denn im Krieg?“, setzte ich voller Trotz dagegen.

„Sag du es mir. Du scheinst schließlich Krieg gegen jeden hier zu führen. Sogar gegen dich selbst.“

„Ja, du hast recht. Wir sind absolut im Krieg. Du nervst mich nämlich.“

„Dann plädiere ich für Waffenstillstand“, stellte Albus klar.

„Wenn du aufhörst, mir auf die Nerven zu gehen“, murmelte ich.

„Einverstanden. Du hast morgen früh auch zwei Freistunden, stimmt’s?“, wechselte er abrupt das Thema.

„Verfolgst du mich?“

„Ich weiß ziemlich sicher, dass du Muggelkunde nicht gewählt hast und das ist in deinem Jahr am Mittwochmorgen das einzige Fach.“

„Wieso denkst du, dass ich Muggelkunde nicht gewählt habe?“

„Ich bin da in der Bibliothek“, wich Albus unbeeindruckt aus. „Vielleicht magst du dazukommen.“

„Erst beantwortest du mir meine Fragen nicht. Dann sagst du ‚Wir sehen uns.‘ aber lässt dich nie blicken, und jetzt soll ich mich mit dir zum Kaffeekränzchen in der Bibliothek treffen?“, entrüstete ich mich.

„Lieber kein Kaffeekränzchen. Ich bevorzuge Tee. Außerdem macht uns die Bibliothekarin einen Kopf kürzer, wenn wir mit Kaffee vor den Büchern sitzen.“

„Du bist mir schon wieder ausgewichen.“

„Wenn du am Mittwoch kommst, weiche ich nicht mehr aus“, bot er mir an. Ich sah ihm an, dass er genau wusste, dass er mich damit überzeugt hatte.

„Ich kann dich und deine besserwisserische Art nicht ausstehen“, stellte ich fest.

„Dann ist die Frage, was stärker ist. Deine Neugier oder deine Sturheit. Bis Mittwoch.“ Mit diesen Worten ging Albus die restlichen Stufen der Treppe nach oben in Richtung der Großen Halle.

Chapter 8: Heiligtümer

Chapter Text

Es stand außer Frage, dass ich Albus am Mittwoch in der Bibliothek treffen würde. Er hatte recht: Meine Neugier siegte.

Ob er sich an sein Wort hielt? Mir verriet, wobei er sich solche Mühe gegeben hatte, es zu verbergen? Ob er hinter dem Geheimnis der drei Brüder her war, wie ich?

Die Nacht war eine Qual. Jede zweite Stunde wachte ich auf, seltsame Träume suchten mich heim. In einem tauchte ein grüngesichtiger Albus mit spitzen Zähnen auf. Um den Hals trug er eine Kette mit dem Symbol der Heiligtümer, die meiner eigenen nicht unähnlich war. Der Dumbledore-Grindeloh zog mich in den See hinab und ich fiel mit rasendem Herzen beinahe aus dem Bett. Ab da reichte es mir mit dem Schlafen.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, dennoch stand ich auf und schleppte mich in den Waschraum. Um diese Uhrzeit war der menschenleer, wodurch ich genug Zeit und Raum hatte, um die Spuren der letzten Nacht zu beseitigen.

Genervt sah ich in den Spiegel: Die Augenringe waren nicht das Problem, vielmehr meine Haare, die sich ausgerechnet heute nicht bändigen ließen. Die Locken, die mithilfe meiner Haartinktur sonst seicht waren und an meinem Kopf anlagen, waren kräftiger und standen teilweise ab.

Innerhalb einer halben Stunde gelang es mir, den Schaden zu begrenzen. Zufrieden war ich nicht, aber es half nichts.

Nach dem Frühstück beeilte ich mich, in die Bibliothek zu kommen. Dort angekommen, sah ich mich um und entdecke nur die Bibliothekarin, die an ihrem Pult saß und mit konzentrierter Miene Bücherdeckel polierte. Von Albus war keine Spur zu sehen.

Ich stieg die Treppe nach oben und begab mich zu der Ecke, in der ich jedes Mal saß – und an dem Tag gesessen hatte, an dem Albus und ich uns hier begegnet waren. Ich lud meine Tasche neben dem Tisch ab und setzte mich.

Mir blieb keine Zeit, meine Gedanken zu ordnen. Kurz nach mir traf der Schulsprecher bereits an unserem Platz ein. „Hi, Gellert“, begrüßte er mich mit einem Lächeln und ließ sich auf seinem Sessel nieder.

„Hi, Dumbledore“, grüßte ich betont kühl.

„Wirst du das jemals aufgeben?“, fragte er belustigt.

„Keine Chance“, gab ich zurück und grinste.

Albus legte seinen Kopf schief und musterte mich. „Deine Haare sind heute anders, oder?“

„Auch natürliche Schönheiten haben mal einen schlechten Tag“, erwiderte ich mit erhobenem Kinn. Meine Großmutter hätte mich für diesen Satz auf die Treppe verbannt.

„Das war eigentlich als Kompliment gemeint. Steht dir.“ Hitze stieg in meine Wangen. Ich hoffte, dass man ihnen das nicht ansah. Um meine Verlegenheit zu verbergen, schlug ich die Beine übereinander und sah mein Gegenüber abwartend an. „Also?“

„Ich habe mich geirrt: Deine Neugier hat dich zwar hergebracht, aber dein Sturkopf ist mit von der Partie.“

„Wenn du mir noch einmal ausweichst –“ Ich unterbrach mich: Vom unteren Stockwerk hörte ich eine Stimme, die mir bekannt vorkam. Ohne Erklärung, und den verwirrten Blick von Albus ignorierend, hielt ich mir den Zauberstab ans Ohr, um das Gespräch zu belauschen.

„Erst willst du, dass ich –“

Mit einer Handbewegung schnitt ich Albus das Wort ab.

„Miss Oakes, ich weiß, Sie haben eine Genehmigung, aber das kann ich nicht verantworten.“

„Wieso nicht? Professor –“

„Der Professor muss von Sinnen sein! Dämonenfeuer! Ich fasse es nicht! Ich kläre das zuerst mit ihm ab. Ende der Widerrede.“

Ich hörte Schritte, die sich entfernten und ein Zuschlagen der Bibliothekstür. Ich war aufgestanden, um dem Mädchen zu folgen. Da bemerkte ich Albus‘ Blick. „Was denkst du, was du da tust? Wie war das mit ‚Nase aus Dingen heraushalten, die einen nichts angehen‘?“

„Ach, sei ruhig!“, murrte ich. „Das hier ist etwas anderes.“

„Erleuchte mich“, forderte er und sah mir fest in die Augen. Ich setzte mich frustriert. Solch eine Gelegenheit bot sich nicht gleich wieder.

„Das hat sie jetzt schon mehrfach gemacht – Bücher aus der Verbotenen Abteilung abholen. Mit Genehmigung zwar, aber ... Gestern bin ich ihr nachgegangen, sie muss die Bücher irgendwo bei den Kerkern versteckt haben. Ich weiß nicht, wo, ich habe sie aus den Augen verloren. Aber als ich zurück nach oben ging, haben Prewett und der andere Kerl mich eingeholt. Das war kein Zufall, ich bin mir sicher.“

Albus‘ Miene verfinsterte sich. „Zugegeben: Das ist seltsam.“

„Ach ja: Und sie hat mich nach Büchern über Basilsiken gefragt und mir gesagt, sie mache das für einen gewissen Michael. Im Austausch dafür, dass er ihr hilft, nächstes Jahr ins Quidditch-Team zu kommen.“ Vielsagend sah ich ihn an.

„Anna im Quidditch?“, murmelte Albus. „Jedenfalls klingt das für mich danach, als ob Prewett sich auf das Trimagische vorbereitet. Das ist ja per se nicht verboten.“

„Du denkst mir zu diplomatisch.“

„Ich bin Schulsprecher, was erwartest du von mir?“

„Aber du kannst das doch nicht einfach ignorieren!“, entrüstete ich mich ungläubig.

„Ich werde dem nachgehen, in Ordnung?“

„Gut. Aber da ist noch eine Sache ... du Schulsprecher.“

„Du kannst mich immer noch gern Albus nennen“, beharrte er.

„Du hast mir meine Frage nicht beantwortet“, stellte ich in betont unbekümmerten Ton fest.

„Das wollte ich vor wenigen Minuten, aber da warst du dann abgelenkt“, verteidigte Albus sich.

„Gut.“ Ich verschränkte meine Arme. „Dann los.“

„Isolt Sayre hat mächtige und interessante Vorfahren. Deswegen recherchiere ich darüber.“

War das neu für ihn? Ich holte Luft, um ihm seinen Triumph über die Beziehung zu Slytherin zu zerstören, da unterbrach er mich: „Außer Salazar Slytherin.“

Albus hatte Kenntnis von den Peverells und deren Verbindung zu Isolt Sayre und ihrer Familie. Und wenn ihn das beschäftigte ...

„Du weißt es auch“, stellte er mit einem Lächeln fest. „Ich wusste es!“

„Ich weiß was?“, mimte ich den Ahnungslosen, um Albus unter Zugzwang zu setzen.

„Dass die Gaunts am ehesten für den Verbleib des Steines in Frage kommen.“

„Ich möchte deinen Aufsatz lesen“, verlangte ich, ohne erkennbaren Zusammenhang.

Albus blinzelte verwirrt. „Meinen ... Aufsatz? Wie kommst du jetzt darauf? Welchen Aufsatz?“

„Den zur Transspezies-Transfiguration, dessen Deckblatt im Trophäenraum hängt. Ohne den Aufsatz.“

„Oh. Ja, das ist total lächerlich. Aber Black meinte, dahinter schaut sowieso keiner. Offenbar hat er sich geirrt.“ Albus grinste. „Im Gegensatz zu mir.“

„Was soll das jetzt heißen?“, verlangte ich zu wissen.

„Du warst im Trophäen-Raum und hast dir meine Auszeichnungen angesehen. Ich hatte recht: Du interessierst dich für mich.“

„Ich interessiere mich für deine Forschung“, korrigierte ich ihn.

„Du kannst dir weiterhin einreden, dass du mich nicht leiden kannst, aber ich kann dir am Gesicht ablesen, dass du beeindruckt bist.“

„Ich bin beeindruckt davon, dass ein Schulsprecher an Märchen glaubt“, hielt ich dagegen.

„Oder davon, dass hinter dem Eindruck des langweiligen Schulsprechers etwas Wesentliches verborgen liegt.“

„Fängst du jetzt auch mit dem Geschwafel an?“, blaffte ich ihn an, weil es mich nervte, dass er mich so problemlos durchschaute.

„Ich mag Professor Selwyn und mit ihrer Rede über das Wesentliche hat sie nicht ganz unrecht.“

„Du magst jeden Lehrer“, konterte ich.

„Wir weichen vom Thema ab“, stellte Albus fest. Er bückte sich und griff in seine Tasche, aus der er ein Buch hervorzog: ‚Die Märchen von Beedle dem Barden‘ – ich erkannte es auf den ersten Blick. Es war das gleiche, welches ich von früher kannte – in alter Runenschrift verfasst. Er schob es mir zu. Ich streckte meine Hand aus und streifte dabei seine Finger.

Ich schaute von dem Buch auf in Albus‘ Augen, die leuchteten. Wir sahen einander an und ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Er erwiderte es.

„Ich hätte nicht gedacht, dass jemand wie du ...“

„An Märchen glaubt“, vollendete er meinen Satz. „Hätte ich von dir auch nicht erwartet, Gellert. Woher kennst du es?“

„Woher hast du das Buch?“, schob ich rasch hinterher, um auf seine letzte Frage nicht einzugehen.

Ich sah Albus an, dass er gern nachgefragt hätte, doch er schluckte es hinunter. „Familienerbe, so zu sagen“, antwortete er. „Darf ich dich etwas fragen?“

Ich nickte wachsam. Was kam jetzt?

„Welches von ihnen hättest du am liebsten?“ Es klang beiläufig. Das war es nicht, das war uns beiden klar und ich sah es in seinen Augen. Die Heiligtümer waren – vor allem gemeinsam – die mächtigsten bekannten Artefakte in unserer Welt. Welches von ihnen man den anderen vorzog, verriet viel über jemanden. Und deswegen zögerte ich mit meiner Antwort.

„Ich glaube, ich würde mich für den Umhang entscheiden“, gab Albus zu. Skeptisch sah ich ihn an. Er fuhr fort: „Ich weiß, was du denkst: ‚Kann er sich nicht ohne einen solchen Umhang unsichtbar machen?‘. Kann ich. Das Fantastische an dem Umhang ist doch, dass du seine Kraft auf andere ... übertragen kannst.“ Sein blauer Blick bohrte sich abermals in meinen.

„Das heißt, du willst ihn für jemanden, der sich nicht selbst schützen kann“, schloss ich. Dabei fiel mir wieder ein, dass Albus – Gerüchten zufolge – eine Squib-Schwester hatte. Das passte zusammen, fand ich. Da ich diese Information nicht von dem Schulsprecher persönlich hatte, und Gaunt nicht über den Weg traute, behielt ich diesen letzten Gedanken vorerst für mich.

„Und du? Du willst den Elderstab, hab ich recht?“, bohrte Albus nach und ignorierte meine Andeutung auf sein mögliches Geheimnis.

„Nur alle drei gemeinsam machen den Träger zum Bezwinger des Todes.“

„Und das möchtest du sein?“, fragte Albus.

„Du nicht?“

Er legte den Kopf schief und schien darüber nachzudenken. „Vielleicht? Aber es gibt Schlimmeres, als zu sterben, findest du nicht?“

„Wenn ich wählen könnte“, wich ich seiner Frage aus, „dann wäre es der Stab, ja. Auch wenn ich auch ohne ihn der beste Zauberer hier bin.“

Albus warf mir einen vielsagenden Blick zu.

„Das gestern zählt nicht, also bleibe ich dabei“, stellte ich mit einem Grinsen klar. „Jedenfalls ... Ich bin auch ohne einen großen Zauberstab mächtig. Aber der Elderstab ...“

„Er würde dir Türen zu noch höherer Magie öffnen, das leuchtet mir ein. Ich frage mich nur ... wofür?“

„Gerechtigkeit“, sagte ich schlicht. „Das müsste dir doch am allermeisten am Herzen liegen, oder? Nach der Sache mit ... deinem Vater.“

„Was meinst du damit?“, fragte er.

„Wenn ich es mir recht überlege, gibt es nur eine Erklärung für dein Verhalten. Du verteidigst ihn nicht. Du streitest nie ab, dass er die Muggel wirklich getötet hast. Aber du stellst dich auch nicht gegen ihn oder verurteilst ihn. Das heißt, dass er einen Grund hatte für das, was er getan hat. Und diesen Grund scheinst du zu kennen und verstehen zu können. Und wenn es dafür wirklich einen guten Grund gibt, dann wurde dir dein Vater umsonst genommen und ... damit verlangt es dir doch auch nach Gerechtigkeit, oder etwa nicht?“

Ich erkannte einen Schmerz in Albus‘ Augen, den ich von mir selbst kannte und ich sah, dass ich mit meiner Vermutung zumindest nicht komplett daneben lag. Das Abwägen zwischen Misstrauen und der Versuchung sich jemandem anzuvertrauen, war mir von mir selbst so vertraut, dass ich es ihm am Gesicht ablas.“

„Entschuldige“, sagte ich, bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte.

Albus lächelte. „Das ist schon in Ordnung. Mit der zu persönlichen Frage habe ich schließlich angefangen. Also sind wir quitt.“

Eine Weile sahen wir uns beide unschlüssig an. Die Sonne wanderte allmählich und schien durch das Fenster neben uns auf den Tisch. Ich betrachtete den Sonnenstrahl, in dem die Staubkörner tanzten, und erinnerte mich an das Lichtspiel in Albus‘ Haaren, das ich bei unserer ersten Begegnung hier beobachtet hatte. Mein Blick glitt zu seinem Gesicht, das mittlerweile gedankenverloren dem Buch zugewandt war. Ich wartete darauf, dass die Sonne sich erneut in Albus‘ Haar verfing. Das passierte nicht. Sie stand zu hoch am Himmel, um ihr Licht höher in den Raum hineinzuwerfen.

Die Schulglocke läutete und zerstörte den Moment der Ruhe. Nahezu gleichzeitig erhoben wir uns.

„Was hast du jetzt?“, fragte Albus mich und nahm sein Exemplar von den Märchen von Beedle dem Barden an sich.

„Zauberkunst“, brummte ich missmutig. „Der Lehrer geht mir schon auf den Nerv, wenn ich nur an ihn denke.“

„Ronen? Also ich mag ihn sehr gern.“

„Er ist mir lieber als die Weasley. Die sehe ich glücklicherweise erst am Freitag wieder.“

„Du wirst schon noch warm mit ihr.“ Albus trat zur Seite, um seine Tasche aufzuheben, die unter den Tisch gerutscht war. Als er sich bückte, leuchtete sein Haar für einen Augenblick im Licht der Sonne. Die Farbe erinnerte mich an einen Phönix.

Der Moment war so schnell, vorbei wie er gekommen war, und ich schüttelte den Kopf. Ich war eindeutig ein Spinner.

Albus wandte sich zur Treppe und drehte sich wieder um. „Wollen wir uns nächste Woche hier treffen? Um die selbe Zeit? Wir könnten noch weiter über ... du weißt schon was reden.“

„Von mir aus müssen wir damit nicht bis nächste Woche warten“, wandte ich eilig ein.

Albus‘ Mundwinkel sanken nach unten. „Glaub mir, mir wäre es auch lieber, wir könnten sofort weiter darüber sprechen, aber –“

„Vergiss es. Wenn du andere Prioritäten hast, komme ich auch allein klar. Ich dachte einfach, dir ist das auch wichtig.“ Ich setzte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck auf.

„Das ist nicht fair, Gellert.“ Er sah mich aufrichtig an. „Ich fand das schön heute, ehrlich.“ Er seufzte. „Aber ich habe Pflichten als Schulsprecher. Meine Freitagnachmittage gehen für Hausaufgabenhilfe mit Erstklässlern drauf und –“

„Was? Wieso lässt du dir so etwas aufzwingen?“

„Ich mache das freiwillig“, erklärte Albus.

„Du bist wirklich seltsam, Dumbledore.“

„Das macht wirklich Spaß. Komm doch mal dazu, wenn du magst. Die Kinder können bestimmt viel von dir lernen, wenn man den Gerüchten zu deinen Fähigkeiten Glauben schenken darf.“

„Die Gerüchte bleiben weit hinter dem zurück, wozu ich fähig bin“, stellte ich klar.

„Ich mag dich, Gellert, aber dein Ego ist so groß, das braucht bald einen eigenen Tisch in der großen Halle.“

„Dann isst mir wenigstens keiner mehr das Rührei weg“, scherzte ich und gegen meine Erwartung lachte Albus.

„Okay, okay. Keine Nachhilfe. Aber der Mittwochmorgen gehört ganz uns, einverstanden?“

Ich nickte. „Einverstanden.“

„Also dann ... Bis nächste Woche. Du willst Ronen doch nicht warten lassen.“

Ich verließ die Bibliothek, um mich zum Unterricht für Zauberkunst zu begeben. Einzig der Gedanke, mich in Zukunft öfter mit Albus auszutauschen, brachte mich zum Lächeln.

Chapter 9: Ziele

Chapter Text

Er hielt sein Wort: Jeden Mittwochmorgen trafen wir uns in der Bibliothek an dem Platz am Fenster und die Zeit gehörte uns.

Anfänglich sprachen wir über die Heiligtümer, tauschten uns darüber aus, wie wir auf sie gestoßen waren. Albus erzählte mir von dem Tag, an dem er erstmals in Erwägung gezogen hatte, dass das Märchen der drei Brüder mehr als ein solches war: Die Familie Dumbledore war kürzlich umgezogen und neu im Dorf Godrics Hollow. Aberforth hatte sich trotzig in seinem Zimmer eingeschlossen und seine Mutter war in dem neuen Haus beschäftigt gewesen. Albus hatte es derweil nach draußen gezogen, wo er das Umland erkundet hatte. Dabei war er auf den örtlichen Friedhof gestoßen und hatte auf dem verwitterten Grabstein von Ignotus Peverell das Zeichen der Heiligtümer des Todes entdeckt. Obwohl er das Symbol nicht gekannt hatte – es war in dem Märchenbuch nie erwähnt worden – hatte er vermutet, dass es eine Bedeutung hatte; dass mehr dahinter steckte. Durch tiefgehende Recherchen zur Familie Peverell hatte er bald darauf Aufzeichnungen gefunden, die seine Vermutungen bestätigt hatten.

Ich klärte Albus nicht darüber auf, wie ich auf die Heiligtümer gestoßen war. Es war nicht notwendig, dass er diesen Teil meines Lebens kannte. Stattdessen erzählte ich ihm davon, in Erwägung gezogen zu haben, das Peverell-Grab aufzusuchen. Meine Großtante, bei der ich unter diesen Umständen untergekommen wäre, ließ ich unerwähnt. Wenn sie Albus bekannt war, zog er im schlimmsten Fall Rückschlüsse auf meine Familie.

Er war bereitwilliger, Informationen über sich zu teilen. Nur eines erwähnte er nie, egal wie oft ich bohrte: seine Schwester – die Squib – wie Marvolo Gaunt gesagt hatte. Ich fragte Albus nie direkt. Wenn ich das Thema nur subtil in diese Richtung lenkte, wurde er einsilbig.

Ich beschränkte mich darauf, ihn zu seinem sonstigen Familienleben zu befragen. Der Schmerz, der bei dieser Thematik in seine Augen trat, war mir auf schaurige Art vertraut. Und mehr noch: Er stachelte mich an; bestärkte mich darin, dass ich auf dem richtigen Weg damit war, eine neue Weltordnung herzustellen.

Anfänglich hielt Albus dagegen. Er war nicht der Meinung, dass es eine vernünftige Idee war, das Geheimhaltungsstatut über Bord zu werfen, denn das gab es nicht umsonst. „Die Hexen und Zauberer sind in den Untergrund gegangen, weil die Muggel eine zu große Bedrohung waren“, argumentierte er. „Das Gesetz ist gut und wichtig. Das Abkommen ist dafür da, uns zu schützen.“

„Aber wen schützt es wirklich? Uns ...? Oder sie?“, stellte ich finster in den Raum und sah ihn bedeutungsschwer an. Das hatte die gewünschte Wirkung. Darauf antwortete er nicht mehr und verfiel in Schweigen. In seine Gedanken vertieft starrte er vorletzte Woche die restliche Zeit aus dem Fenster. Zum Abschied nickte er mir kurz zu.

Ich hatte mich die folgenden Tage darum gesorgt, dass Albus am nächsten Mittwoch nicht wieder auftauchen würde. Wie sich herausgestellt hatte, war das unbegründet: Letzte Woche war er vor mir da gewesen und hatte mir wortlos zwei ellenlange Stücke Pergament gereicht, die beschrieben waren von seiner geneigten und klaren Schrift, die sich geradlinig durch die Zeilen zog.

Nachdem ich seinen Aufsatz studiert hatte, hob ich meinen Blick und traf auf Albus‘ Augen, die mich gespannt musterten. Er sah mich wieder mit dieser Intensität an, die mir das Gefühl gab, er würde mich röntgen. Es hätte gruselig sein müssen, aber es war aufregend und ließ mein Herz schneller schlagen.

„Das ist genial, Albus“, sagte ich heiser. „Du bist genial.“

Das löste ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Ich finde auch, es ist ganz gut gelungen“, gestand er, um Bescheidenheit bemüht.

Sein Text legte in klaren und diplomatischen Worten dar, warum das Geheimhaltungsstatut veraltet war. Wieso es an der Zeit war, das Gesetz anzuzweifeln und nach anderen Wegen zu suchen. Er war derart wortgewandt, dass ich mir sicher war, dass selbst Ministeriumsmitarbeiter ihre Sturheit überdachten, wenn sie diesen Text lasen.

„Ich denke“, sagte er in die entstandene Stille hinein, „dass das was du letzte Woche gesagt hast, der entscheidende Punkt ist.“ Er bedachte mich weiterhin mit seinem eindringlichen Blick; diesem Blau, das mich in seinen Bann zog. „Dass die Dominanz der Zauberer über die Muggel für ihr eigenes Wohl ist. Mit unseren Fähigkeiten kommt Macht einher und ja, die gibt uns das Recht, über sie zu herrschen. Aber sie bringt auch Verantwortung mit sich – über die Beherrschten. Das müssen wir betonen, das ist unser Grundstein, auf dem wir bauen, Gellert. Wenn es Widerstand gibt – und den wird es geben – dann muss das die Basis unserer Argumente sein. Wir übernehmen die Kontrolle – für das Größere Wohl! Und daraus folgt, dass wir, wo wir auf Widerstand stoßen, nur die Gewalt einsetzen, die nötig ist und nicht mehr.“ Seine Augen leuchteten bei dieser Rede und mir verschlug es Augenblicke lang die Sprache.

„Du bist genial, Albus“, wiederholte ich.

„Ich weiß“, antwortete er.

Eine Woche war vergangen und seine Worte hatten sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich begutachtete erneut die Stücke Pergament mit Albus‘ Aufsatz und strich über die filigranen Linien seiner Schrift. Ich brauchte ihn, mehr als ich je angenommen hätte.

Und das nicht nur bei der Neugestaltung dieser Welt, sondern hier. Es war wieder Mittwoch-Morgen, unsere Zeit, und bereits halb 10. Sonst trafen wir uns um 9, zu Beginn der ersten Stunde. Ich hatte ihn überredet, dass wir das letzte Treffen vor dem endgültigen Start des Trimagischen Turniers als Vorbereitung darauf nutzten. Wir hatten in den vergangenen Wochen darüber gesprochen, aber das Thema gefiel ihm nicht sonderlich und er wehrte sich strikt dagegen, teilzunehmen, ohne mir zu erklären, warum.

Die Bibliothekstür unten quietschte und schloss sich hörbar. Ich horchte auf: War er das? Es näherten sich Schritte und in einigen Sekunden würde ich meine Gedanken, die mir seit einer Woche im Kopf umher schwirrten, mit ihm teilen und –

Das war nicht Albus. Ich kannte den Namen des Schülers nicht, der die Treppe herauf und auf mich zukam, doch sein Gesicht kam mir bekannt vor. Ich schätzte ihn auf um die 15, nicht in meinem Jahr, eine Stufe unter mir? Das Auffälligste an ihm war sein Haar, das dem von Albus ähnelte. Es hatte diesen rötlichen Unterton, doch das Braun war dunkler. Ob das sein Bruder war, dieser Aberforth?

„Bist du Gellert?“, fragte er direkt und kam vor mir zum Stehen.

„Der ... bin ich? Wer will das wissen?“

„Ich soll dir ausrichten, dass Albus heute nicht kommt“, verkündete er mir in einem demonstrativ gleichgültigen Ton. Dabei sah er mir nicht in die Augen. Er ließ seinen Blick durch die Gegend und über die Regale schweifen, als wäre es das erste Mal für ihn, dass er eine Bibliothek von innen sah.

„Und wieso?“, fragte ich scharf.

Er zuckte mit den Schultern. „Weil er zu faul ist, selbst zu kommen und es dir zu sagen, nehme ich an.“

Ich verdrehte die Augen. „Nein. Wieso er nicht kommt, will ich wissen.“

„Keinen Schimmer. Das musst du ihn selbst fragen.“

„Wie denn, wenn er nicht –“

„Was interessiert mich das? Ich bin nur der Botenjunge. Unbezahlt. Albus tut, was er will und geht davon aus, dass alle nach seiner Pfeife tanzen. Machst du besser auch oder du lässt es eben sein. Schönen Tag noch.“ Der Junge wandte sich von mir ab und steuerte wieder auf die Treppen zu.

„Idiot“, murmelte ich und er drehte sich um.

„Was hast du gesagt?“, fragte er mit einem drohenden Unterton und verengten Augen.

„Idiot“, wiederholte ich gelassen.

Er kam mit betont langsamen Schritten zurück zu mir. „Du nennst mich einen Idioten, ja?“

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte ich. „Ich meine Albus.“

Der Junge grinste schief und lachte trocken. „Da sind wir einer Meinung.“ Damit ließ er mich verwirrt zurück.

Ob das Albus‘ Bruder Aberforth war? Abgesehen von der Haarfarbe war er ihm kaum ähnlich, in seinem Verhalten schon gar nicht. Albus drückte sich dezenter aus, hatte eine Ruhe inne, die auf seine Umgebung abstrahlte. Das genoss ich. Der Junge, der mir begegnet war, war grob, wie er sprach und auftat, angriffslustiger.

Es war egal, ob der Kerl sein Bruder war. Der war nicht hier! Was, in Merlins Namen, war zu diesem Zeitpunkt relevanter als die Heiligtümer und die weitere Absprache zu dem Trimagischen Turnier? War er deswegen nicht gekommen? Weil er sich gegen das Thema wehrte?

Für Sonntag war die Ankunft der Gastschüler geplant und am Montag, zu diesem peinlichen Halloween-Fest, fand die Wahl der Champions statt. Dieser Mittwoch war die letzte Chance für eine Absprache.

Ich hatte Albus erklärt, wieso meine Teilnahme an dem Turnier unabdingbar für mich war. Wenn ich gewänne, läge die Aufmerksamkeit auf mir, jeder hörte mir zu. Denn in den Zeitungen würde es Berichte geben. Zumindest in den Einzugsgebieten der Schulen. Und für den Anfang reichte das.

„Wer sagt denn überhaupt, dass du gewählt wirst, Gellert? Wir brauchen eine Alternative“, hatte er argumentiert.

Wir brauchten vor allem den heutigen Tag, um über meine Strategie zu sprechen! Und da half er Erstklässlern bei dem Erlernen von Zauberstab-Bewegungen! Nicht einmal auf das Wort eines Schulsprechers war Verlass. Dabei war seine Unterstützung entscheidend. Alle schätzten und vergötterten ihn, erkannten in ihm eine Art Anführer. Albus war in einer Position, für deren Erreichung ich Monate oder Jahre brauchen würde. Und diese Mühen sparte ich mir, wenn er auf meiner Seite war. Vertrauten sie ihm, bauten sie Vertrauen zu mir auf. Das stand außer Frage.

Es half nichts. Ich war auf mich gestellt und es war egal. Ich brauchte ihn nicht für meinen Sieg. Erstrecht nicht, wenn er sein Wort brach.

 

Je näher der Tag der Ankunft rückte, desto verrückter verhielten sich alle. Getuschel auf den Gängen, illegale Duelle in Nischen und der Unterricht war sinnloser als ohnehin, denn nicht einmal den Lehrern gelang es, die Schüler auf Linie zu halten.

Am Sonntagmorgen erwachte ich vor der Morgendämmerung und fand keinen Schlaf mehr. Meine Gedanken kreisten und schwangen hin und her. Zwischen dem Turnier und der bevorstehenden Begegnung mit meinen früheren Mitschülern. Auf die ich gern verzichtet hätte.

Ich erhob mich aus dem Bett und schlenderte in den Waschraum. Der Anblick meines Spiegelbilds versetzte mir einen Schlag.

Ich stand in dem großräumigen Bad, vor dem kleinen Spiegel, den Papa extra für mich in Höhe des Waschbeckens angebracht hatte. Hilflos versuchte ich, meine Haare zu glätten. Dabei hallte die Stimme von Ahndl in meinem Kopf wieder: „Diese Locken sind scheußlich! Eine Schande, dass dein Vater dir ausgerechnet die vererbt hat!“ Und heute Nachmittag würde sie kommen.

Was ich probierte, egal wie viel Haartinktur von Papa ich benutzte, es half nichts. Vielmehr verschlimmerte es sich mit der Zeit, je mehr ich es versuchte.

„Die Energie, die du als Zauberer hast, kannst du noch nicht kontrollieren, Gellert. Deswegen lenkt sie sich so zu sagen manchmal um und macht deine Haare lockiger. Vor allem wenn du aufgeregt bist, weil du dich so auf Weihnachten freust“, hatte Papa später erklärt.

Ich war kein Kind mehr. Und dennoch schien es, dass meine Emotionen und die fehlgeleitete Magie meine Haare aufscheuchten. Papas Enttäuschung wäre riesig, hätte er gesehen, dass sein Sohn 10 Jahre später seine magischen Fähigkeiten nicht im Griff hatte.

„Grindelwald!“, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken und ich wandte mich um. Gaunt hatte soeben den Waschraum betreten, stellte sich neben mich ans Waschbecken und sah mich abwartend an.

„Hallo Fremder“, erwiderte ich. „Du lebst also noch, ja?“

Gaunt grinste sein fieses Grinsen mit seinen verkommenen Zähnen. „Ich hab dich doch nicht vergessen, Grindelwald. Ich hatte nur viel zu tun, weißt du?“

Ich nickte knapp. „Und am Tag des Feuerkelches fällt dir das plötzlich wieder ein?“

„Du wirst mir noch danken, mein Freund. Aber sag mal ...“ Seine Miene verfinsterte sich. „Was läuft da eigentlich zwischen dir und Dumbledore?“

Verfluchter Mist.

„Was soll da laufen?“

„Meine Quellen berichten von regelmäßigen Treffen. Und intensiven Blicken.“

„Keine Ahnung, woher du deine Informationen beziehst, aber sie stimmen nicht. Ich bin lediglich darauf aus, die Gefährdung meines Planes, die von ihm ausgeht, einzuschätzen und einzudämmen. Und ich bin gut darin. Er wird nicht mitmachen beim Turnier.“

„Hat er dir das gesagt?“

„Ich habe ihn dazu bekommen, Gaunt“, zischte ich.

Einen Augenblick lang schwieg er. Bis sich wieder sein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete. „Was hast du eigentlich mit deinen Haaren gemacht? Sieht scheußlich aus. So gehst du hoffentlich nicht zur Begrüßung deiner Leute.“

In meinem Ärmel schlossen sich meine Finger um meinen Zauberstab. „Das sind nicht meine Leute.“

„Im Gegensatz zu Dumbledore?“

„Langsam frage ich mich, ob du auf den stehst, so besessen wie du von ihm bist, Gaunt.“

Sein Gesicht verzog sich so fürchterlich, dass selbst ein Irrwicht vor ihm davongelaufen wäre. Ekel und Empörung spiegelten sich in seinen Augen. „Ein dreckiges Halbblut würde ich nicht mal meinen Hauselfen als Strafe anfassen lassen.“

Ein plötzliches Feuer loderte in mir auf. Aufsteigende Wut. Ich verfestigte den Griff um meinen Zauberstab.

„Aber ...“, murmelte Gaunt und ein selbstgefälliger Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. „So wie es aussieht, würde ich mir mal Gedanken machen, ob du nicht scharf auf ihn bist. Seine großen blauen Augen machen doch jedes Mädchen schwach, dich anscheinend auch. Nicht, dass du noch mit ihm zum Ball gehst.“

„Ich will nichts von einem dreckigen Halbblut“, spuckte ich ihm entgegen. „Deine Schwester war doch die, die auf den Hohlkopf Aberforth steht!“

„So gefällst du mir besser, Grindelwald. Und Punkt für dich. Sie wird schon noch sehen, was sie davon hat. Aber deine Haare musst du in den Griff kriegen. So läuft kein Champion herum.“

Mit einer variierten Version meiner Haartinktur gelang es mir, meine Locken weitestgehend zu bändigen. Es reichte dafür, dass Gaunt am Abend auf dem Weg nach oben in die Große Halle keinen Kommentar diesbezüglich abgab.

Der Empfang der Gastschüler war ursprünglich vor dem Schloss geplant. Der Regen ließ Black diese Entscheidung anpassen. Also waren wir alle aufgefordert, pünktlich zur Abendessenszeit an den Tischen zu sitzen, und auf unsere Gäste zu warten. Ohne Essen.

Gaunt und ich waren vor der Flügeltür der Großen Halle angekommen, – er erklärte mir, dass er einen „bombastischen Plan“ hatte – da versperrte Albus mir den Weg.

„Gellert! Ich habe dich gesucht.“

Gaunts Blick lag auf mir. „Was willst du?“, blaffte ich ihn daher an.

„Mit dir reden“, antwortete er. Seine Augen huschten kurz zur Seite. „Allein.“

„Wie bedürftig du doch bist, Dumbledore. Um dir den Schmerz zu ersparen: Grindelwald hat schon eine Verabredung für den Ball.“

Albus‘ Blick war von Verwirrung und Verärgerung gekennzeichnet.

„Welcher –“, versuche ich, einzuhaken.

Gaunt unterbrach mich: „Der Weihnachtsball“, erklärte er kurz angebunden an mich gewandt und drehte sich wieder zu Albus. „Mach dir keine Hoffnungen, Dumbledoof. Ein minderwertiges Halbblut wie du kann gegen sein Date nur abstinken.“

„Hörst du dir eigentlich selbst zu?“, fuhr der Schulsprecher ihn an. Seine Augen waren verengt und der Anblick verunsicherte mich: Ich hatte ihn nie derart aufgebracht gesehen.

„Gellert, du solltest dir wirklich überlegen, ob du mit dem Kerl deine Zeit verschwenden willst“, wandte Albus sich an mich.

„Ich hätte meine Zeit ja mit dir verschwendet, aber du warst ja nicht da“, konterte ich giftig. „Aber worüber wolltest du –“

„Lass den Spinner doch stehen! Los, das Essen wird kalt.“ Gaunt packte mich am Arm und zog mich mit sich durch die Tür in die Großen Halle.

Chapter 10: Ankunft

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„Was sollte das?“, fragte ich Gaunt aufgebracht, sobald wir außer Hörweite waren. „Ich habe kein Date! Erst recht nicht für irgendeinen Ball!“ Er ließ mich los und ich blieb stehen. Unbeeindruckt schlenderte er zur Tafel der Slytherins.

Ich schaute eilig über die Schulter: Albus war schon in der Menge verschwunden. Resigniert folgte ich Gaunt zum Haus-Tisch und ließ mich gegenüber von ihm nieder. In mir brodelte es und ich sagte nichts.

Im Gegensatz zu sonst unterhielten sich heute alle im Flüsterton. Gelegentliches Kichern durchbrach ab und an die Stille, niemand aß, da der Anlass es gebührte, das Essen erst auf den Tisch zu bringen, wenn die Gäste anwesend waren.

Vorn am Lehrertisch bemerkte ich in diesem Moment zwei unbekannte Gesichter. Nach genauerem Hinsehen identifizierte ich zumindest einen von ihnen: Kendall Bones, den Kopf der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit. Er war festlich und dennoch muggel-tauglich gekleidet, genauso wie der andere Zauberer, den ich nicht kannte. Black legte keinen Wert darauf, die beiden vorzustellen.

„Erstens“, griff Gaunt unsere Unterhaltung mit gesenkter Stimme wieder auf und ignorierte meinen Unmut, „Doch, du hast ein Date, danke mir später. Zweitens: Sag mir nicht, dass du alles über das Trimagische Turnier weißt, wahrscheinlich zu jedem Champion, den es jemals gab, einen Steckbrief hast, aber den Weihnachtsball vergessen hast.“ Gespielt tadelnd sah er mich durch seine verklebten Wimpern an.

Mehr als ein genervtes Schulterzucken brachte ich nicht über mich.

Gaunt seufzte. „Der Weihnachtsball ist Tradition im Trimagischen Turnier und ein ganz großes Ding.“

„Da muss ich ja nicht hingehen“, argumentierte ich. „Warum interessiert mich das also?“

Gaunt grinste. „Die Champions geben gemeinsam mit ihren Tanzpartnern den Eröffnungstanz. Verpflichtend.“

„Was?!“

Er genoss meine Bestürzung. „Ganz recht. Aber mach dir keine Sorgen, ich habe das perfekte Date für dich. Du musst dich gar nicht mit Dumbledore herumschlagen.“

„Mit dir gehe ich ganz sicher nicht hin“, platzte es aus mir heraus. Er setzte mir ungefragt eine Verabredung vor – und das in Anwesenheit von Albus! Nicht dass ich mit ihm auf den Ball ginge. Er sollte nur nicht annehmen, ich würde mit einem anderen daran teilnehmen. Diese Veranstaltung würde ohne mich auskommen.

„Natürlich gehen wir nicht zusammen hin. Wir sind keine Schwuchteln“, erwiderte er entschieden.

„Jetzt pass‘ mal auf: Homophobie ist etwas für die Muggel. Wenn du dich über sie erheben willst, dann solltest du auch ihre Prinzipien ablehnen. Menschen zu verbrennen, weil sie ‚anders‘ lieben, zum Beispiel.“

„Oh“, grinste Gaunt. „Da scheine ich einen Nerven getroffen zu haben. Ist es Dumbledore?“ Er wackelte provokant mit den Augenbrauen.

„Ich will nichts von Albus!“, fuhr ich ihn mit gehobener Stimme an. Unangenehmerweise erregte das die Aufmerksamkeit anderer Schüler, die in unsere Richtung sahen.

„Was gibt es da zu glotzen?“, blaffte ich einen Slytherin an, der sich daraufhin mit hochrotem Kopf wegdrehte.

„Wie dem auch sei“, fuhr Gaunt unbekümmert fort. „Metis wird dein Date sein.“

„Metis? Wie kommst du auf das schmale Brett? Ich will nichts von Metis. Ich kenne sie ja kaum, bis auf die Stunden in Alchemie sehe ich sie nie. Ganz abgesehen davon werde ich nicht zu diesem Ball gehen.“

„Metis und du seid wie füreinander geschaffen.“

„Weil wir ... reinblütig sind?“

„Genau.“

„Und warum mischst du dich in Metis‘ Liebesleben ein?“, hakte ich nach.

„Weil mein Vater nicht nur sie verprügelt, wenn sie auf dem Ball vor aller Augen mit Aberforth flirtet, sondern auch mich“, erklärte er derart emotionslos, als redete er über die Konsistenz von Blutegelessenz.

„Eine Sekunde ... Du hast gesagt, deine ‚kleine Schwester‘ stehe auf Aberforth“, erinnerte ich ihn. „Metis ist älter als du.“

„Nur 13 Monate“, antwortete er schulterzuckend. „Und außerdem muss ich mich um sie kümmern, als wäre sie meine kleine Schwester. Das läuft so ziemlich auf dasselbe hinaus.“

„Dann kannst du den Wunschtraum, dass Metis mit mir zum Ball geht aber begraben“, lachte ich. „Metis wirkt nicht wie jemand, der sich das vorschreiben lässt – schon gar nicht von ihrem kleinen Bruder. Und ich übrigens auch nicht.“ Bei den Worten ‚„on ihrem kleinen Bruder“ zuckte ein Muskel an seinem Kiefer.

„Ich gebe dir noch Bedenkzeit, Grindelwald. Und was Metis angeht ... Sie hat keine Wahl. Und solange sie mit Aberforth nicht ernst macht, hat sie ohne ihn auch kein Date.“

„Also sind sie kein Paar?“

„Sehe ich so aus, als würde ich es soweit kommen lassen?“, knurrte er.

Ich seufzte. Wie zurückgeblieben konnte jemand sein?

Ein winziger Gryffindor-Schüler kam durch die Flügeltür gerannt und erlöste mich von dem Gespräch. Das letzte Flüstern verklang, Stille breitete sich in der Halle aus.

Mein Magen fühlte sich bei dem Gedanken an das Wiedersehen mit meinen früheren Mitschülern an wie ein heißer Klumpen. Hätte ich mich besser darauf vorbereiten sollen? Schatten tauchten vor der Tür auf und ich fasste mich auf alles.

Eine Gruppe von etwa 30 Schülern – geführt von einem Lehrer, der keine 40 war – trat durch die Tür und ließ mich aufatmen. Sie trugen komplett durchnässte hellblaue Uniformen. Das waren unsere Gäste aus Beauxbatons. Sie gewährten meinem Wiedersehen mit den Durmstrangs einen willkommenen Aufschub.

Kurz hinter der Tür blieben sie stehen und sahen sich unschlüssig um. Ich war davon ausgegangen, dass Black sich jetzt erhob, um die Neuankömmlinge zu begrüßen, und sie bat, sich zu setzen. Das passierte nicht und ich war nicht der Einzige, der darüber verwirrt zwischen der Eingangstür und dem Podium der Großen Halle hin und her schaute.

Der Schulleiter blieb wie angewachsen auf seinem thron-ähnlichen Stuhl sitzen und schien gänzlich unbeteiligt. Der Lehrer, der mit seinen Schülern aus Beauxbatons einen langen Weg hinter sich hatte, schüttelte entrüstet den Kopf. „Mon Dieu!“, hörte ich ihn murmeln. Zwei Schülerinnen neben ihm tuschelten aufgebracht miteinander.

Ohne dass ich gesehen hatte, woher, kam Albus auf die Gruppe Neuankömmlinge zu und blieb vor ihnen stehen. Nicht gehetzt, sondern mit erhobenem Kopf und Würde. „Ich möchte Sie“, setzte er mit weicher Stimme an, wobei er erst zu dem Lehrer sah, folgend zu den Schülern, „im Namen von uns allen herzlichst in Hogwarts willkommen heißen. Verzeihen Sie das Wetter.“ Albus lächelte und das hatte die gewünschte Wirkung: Ein paar erwiderten es, die Stimmung lockerte sich.

Der Lehrer vollführte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir sind doch niescht aus Zucker“, sagte er mit einem merklich französischen Akzent.

„Natürlich nicht“, antwortete der Schulsprecher und es lag kein Spott darin. Eher ehrliche Anerkennung und Respekt. Wie gelang ihm das, dass er all die Emotion und Botschaft in seine Stimme legte?

„Trotzdem dürfen Sie sich setzen, egal wohin Sie alle wollen. Und dann können Sie sich erst einmal an den Kaminen wärmen.“ Er deutete in einer ausladende Handbewegung auf die Tafeln. „Ich sitze da hinten“, fügte er hinzu. „Setzt euch gern zu uns.“ Mit diesen Worten schlenderte er gelassen zurück zu seinem Platz und tatsächlich folgten ihm ein paar Schüler – hauptsächlich Mädchen. Warfen sie sich da Blicke zu? Ich verübelte es ihnen nicht: Albus‘ Auftritt hinterließ Eindruck.

„Wenn du mich fragst“, murmelte Gaunt sich über den Tisch beugend mir zu, „kam ihm das gelegen. Der steht doch drauf, wenn er Gefolgschaft hat, die ihn anhimmelt.“ Ich hätte dasselbe gedacht, wäre ich mit ihm in den letzten Wochen keine Zeit zu zweit verbracht.

Vier oder fünf der Beauxbatons-Schüler setzten sich sogar zu uns an den Tisch, blieben aber schweigsam.

Gemächlich taute die Stimmung auf. Ich beteiligte mich nicht an den ersten Kontaktaufnahmen und sah besorgt zum Eingang der Großen Halle. Es war eine Frage von Minuten, dass ich sie wiedersehen würde, meine Mitschüler. Wer von ihnen würde dabei sein? Im Kopf zählte ich die Optionen durch: Vik. Ilves. Clarksen, ganz klar. Sie hatte sich nie eine Chance darauf entgehen lassen, im Mittelpunkt zu stehen. Und Champion beim Trimagischen Turnier zu sein, war dafür eine Garantie.

Schrittgewirr, das aus der Eingangshalle her hallte, unterbrach meine Gedanken. Es war soweit.

Professor Levski war der Erste, der die Tür passierte und sich missbilligend umsah. Sofort war unser Schulsprecher wieder bei ihm. „Im Namen der ganzen Schule möchte ich Sie willkommen –“

„Gibt es hier auch etwas zu essen?“, blaffte mein früherer Lehrer genervt, ohne Albus anzusehen. Wie hatte ich seine Art vergessen? Er und Black kamen sicher blendend miteinander aus.

Albus blinzelte verwirrt, fing sich aber rasch wieder. „Natürlich. Das Essen wird gleich aufgetischt. Sie können sich setzen, wohin sie wollen.“ Er wiederholte die ausladende Handgeste.

„Fein“, brummte Levski und stapfte so knapp an Albus vorbei, dass er ihn an der Schulter anrempelte. Der beschwerte sich nicht und steuerte auf eine Gruppe Durmstrangs zu, die ihn mit unverhohlenem Missfallen musterte.

„Herzlich willkommen. Wollt ihr euch zu uns setzen?“, fragte er lächelnd.

Ich entdeckte Clarksen, die ihre beste Freundin Schmidt verschwörerisch angrinste. Pures Gift. Sie ignorierte Albus und ließ ihren Blick über die Anwesenden gleiten – auf der Suche nach mir. Und sie fand mich, wobei ihr Lächeln sich auf eine ungeheure Art vertiefte. Gezielt kam sie auf mich zu, meine Muskeln spannten sich an, bereit für alles.

„Grindelwald!“, rief sie. War das Schadenfreude, Gehässigkeit oder irgendetwas anderes in ihrer Stimme? Köpfe wandten sich in unsere Richtung, Stille. Die gesamte Aufmerksamkeit lag auf mir – und auf Clarksen, die vor mir zum Stehen kam.

„Oh, schön habt ihr es hier in Hoggywarty Hogwarts“, säuselte sie und grinste. Ich sah, dass Schmidt zu ihrer Freundin stieß, sich unmittelbar hinter ihr hielt – mit demselben gehässigen Grinsen.

Ich zuckte die Schultern. „Wenigstens haben wir es hier warm. Lernen kann ich auch alleine.“

„Oh, ja, das wissen wir doch, Gelly“, flötete sie provokant und wuschelte mir durchs Haar. Prompt erhob ich mich, packte ihren Arm und drehte ihn ihr auf den Rücken. Clarksen schrie auf.

„Hast du es kapiert? Finger weg von mir, du dummes Halbblut“, knurrte ich und stieß sie von mir. Ihr Blutstatus war ihr wunder Punkt, der sie in den meisten Fällen dazu brachte, nachzugeben oder abzuhauen. Nicht heute.

„Besser Halbblut als Freund von Schlammblütern“, konterte sie und warf abfällige Blicke nach links und rechts.

„Da wir gerade bei Schlammblütern sind: Wie geht es deiner Mutter?“

Das Gesicht des Mädchens verzog sich zu einer wutverzerrten Grimasse. Bevor Sie mir einen Fluch auf den Hals hetzte, stand einer der Ravenclaw-Vertrauensschüler zwischen uns, flankiert von – wem sonst – Albus Dumbledore. Der war von unserem lautstarken Wortgefecht angezogen worden wie eine Motte vom Licht.

Sein Blick traf mich mit einer Kälte, die ich von ihm nicht erwartet hatte, und wandte sich rasch wieder von mir ab. Der Ravenclaw war der, der sprach: „Darf ich euch darum bitten, euch hinzusetzen und still zu sein? Wenn ihr euch bekämpfen wollt, nehmt am Turnier teil.“

„Oh, keine Sorge, das werden wir“, verkündete Clarksen und sah zu ihrer besten Freundin. Sie grinsten sich selbstgefällig zu.

„Dann wäre das ja jetzt geklärt“, beendete unser Schulsprecher die Diskussion und wartete darauf, dass Clarksen sich zurückzog. Gemeinsam mit Schmidt verzog sie sich widerwillig an den Tisch der Ravenclaws.

Albus warf mir einen kühlen Blick zu. Er wandte sich ab und setzte sich erneut an seinen Platz zurück. In mir brodelte es, dennoch ließ ich mich wieder am Tisch nieder.

Ich beobachtete meine ehemaligen Mitschüler, die beeindruckt die Teller musterten – so wie ich an meinem ersten Abend hier.

Dem Anlass zu Ehren standen heute exotischere Speisen auf dem Tisch. Die Abwechslung war mir willkommen, die Gerichte, die ich aus Durmstrang kannte, rührte ich dennoch nicht an. Überhaupt aß ich kaum an diesem Abend. Der heiße Klumpen, der mein Magen war, verdarb mir den Appetit.

Alle anderen bedienten sich hungrig an den Speisen. Teller leerten und füllten sich mehrmals. Nach einer Weile erhoben sich Bones und der zweite Ministeriumszauberer. Black folgte ihrem Beispiel.

„Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten“, rief er durch die Halle. Mir kam es vor, als hielten alle den Atem an.

„Das Trimagische Turnier“, setzte Black an. Die zwei Fremden unterbrachen ihn mit Räuspern.

„Ach ja“, seufzte der Schulleiter, als sei es ihm eben erst eingefallen. „Wir haben neben den Schülern und Lehrern von Durmstrang und Beauxbatons noch zwei weitere Gäste: Kendall Bones, Leiter der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit und Robert Rookwood, Leiter der Abteilung für Magische Spiele und Sportarten. Sie werden ebenfalls bis zum Ende des Schuljahres bei uns bleiben und neben den Lehrern der anderen Schulen“, er deutete auf sie, „und mir, Teil der Wertungsrichter sein, die die Champions in ihren Aufgaben bewerten werden“, ratterte er emotionslos herunter. „Darf ich jetzt weitermachen?“

Er tippte mit seinem Zauberstab beiläufig eine Truhe an, die zu seinen Füßen stand. Die öffnete sich und er entnahm ihr einen hölzernen Kelch, in dem bei seiner Berührung blau-weiße Flammen aufzüngelten.

„Jene von euch, die gewillt sind“, sprach er monoton, den Feuerkelch in die Luft streckend, „an dem Trimagischen Turnier teilzunehmen, werfen ein Stück Pergament, beschrieben mit ihrem Namen und ihrer Schule, in das Feuer des Kelches. Von jeder Schule wird ein Schüler ausgewählt, Trimagischer Champion zu sein. Dieser Champion wird in drei Aufgaben über das Jahr verteilt gegen die anderen antreten; sich in Mut, Geschick und Wissen beweisen. Einmal ausgewählt, ist er an den Feuerkelch gebunden. Ein Rücktritt von der Teilnahme ist dann ausgeschlossen. Die, die gewillt sind, anzutreten, haben ab jetzt 24 Stunden Zeit, ihren Namen in den Feuerkelch zu werfen. Er wird heute Abend in der Eingangshalle platziert werden. Morgen Abend werden die Namen derjenige verlesen, die als Champions von dem Kelch auserwählt werden.“ Er setzte sich wieder.

Ein Summen erfüllte die Große Halle nach Blacks Rede. Ich beteiligte mich nicht an den Gesprächen, das alles war mir lang bekannt. Stattdessen sah ich umher, um die fähigsten Konkurrenten auszuloten. Bei meinem Rundumblick begegnete ich Albus‘ Augen, die mich musterten. Ich legte den Kopf schief. Er erhielt seinen Blick aufrecht. Intensiv, durchdringend und ... besorgt?

Gaunt drehte sich um. Ein Grinsen überzog sein Gesicht beim Anblick von Albus. „Er ist der Einzige, der dir Konkurrenz machen könnte, was die Teilnahme angeht“, stellte er klar und sah mich wieder an. „Und du bist sicher, dass er nicht mitmachen wird?“

„Ziemlich“, antwortete ich. „Wie kommt es, dass du nicht mitmachen willst? Willst du doch nicht, oder?“

„Keine Angst. Ich agiere lieber im Hintergrund“, gab er zur Antwort. „Aber die auch“, fügte er verächtlich hinzu und deutete in Richtung des Gryffindor-Tisches. Owen hatte angefangen, heftig auf Albus einzureden.

„Sieht so aus, als wollte er wirklich nicht mitmachen“, stellte Gaunt mit Genugtuung fest.

„Ja“, murmelte ich. „Sieht so aus.“

„Dann ist er dumm.“

Oder schlau, flüsterte ein Teil von mir und ich fragte mich, woher diese Stimme kam.

„Vielleicht überreden die anderen ihn“, wandte ich ein. „So sieht es zumindest aus.“

„Sollen sie doch“, meinte Gaunt. „Meinst du wirklich, der Feuerkelch würde ihn auserwählen, wenn er eigentlich gar nicht antreten will?“

Ich hob ratlos meine Schultern. „Möglich. Ich kenne seine Kriterien nicht.“

„Selbst wenn“, lenkte Gaunt ein. „Dann machen wir ihm das Leben zur Hölle und sehen dabei zu, wie er sich bloßstellt.“ Er lachte boshaft.

Widerstand gegen seine Worte regte sich in mir. Ich sagte nichts, um ihm das Gefühl zu geben, dass ich auf seiner Seite war. Meine Chancen darauf, herauszufinden, ob seine Familie im Besitz des Steines der Auferstehung war, standen so besser.

Mir fiel auf, dass allmählich mehr Schüler die Große Halle in Richtung der Eingangshalle verließen. Natürlich! Ich beschloss, es hinter mich zu bringen. Aus meiner Tasche zog ich eine Rolle Pergament, riss ein Stück davon ab und kritzelte mit fahrigen Händen „Gellert Grindelwald, Hogwarts“ darauf. Ich erhob mich und steuerte auf die Flügeltür zu. Ich durchschritt sie und betrat die Eingangshalle. Dort wartete der Feuerkelch auf mich.

Chapter 11: Feuerkelch

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Eine Menschentraube hatte sich um den Feuerkelch versammelt. Ich kam in Sichtweite und ein paar Köpfe wandten sich zu mir um. In meiner zur Faust geballten Hand kam mir das Stück Pergament brennend heiß vor. Ich ließ mir nichts anmerken: Mit einem erhabenen Grinsen überbrückte ich die letzten Meter zu dem Podest, auf dem der Feuerkelch stand und warf den Schnipsel in die blauen Flammen, die daraufhin aufloderten. Der erste Schritt war erledigt und ich trat von dem Kelch zurück.

Ein Gryffindor-Mädchen – ich erinnerte mich daran, dass es aus Albus‘ Jahrgang war – schob sich an mir vorbei und warf ihren Namen in die Flammen, da rief jemand hinter mir: „Sieh mal einer an. Grindelwald hat ja doch Eier!“

Genervt wandte ich mich um. Clarksen – wer sonst – bahnte sich gemeinsam mit ihrer Gefolgschaft einen Weg durch die versammelten Schüler, die eilig beiseite stoben. Mit unbewegter Miene war sie die Nächste, die ihren Namen in den Feuerkelch warf und darauf folgten Schmidt und Vik. Ilves war nirgends zu sehen. War er nicht mitgekommen?

Ich wandte mich den beiden Anhängseln zu. „Fühlt es sich nicht mies an, nur als Background-Sänger für eure Ikone hier zu sein und keine Rolle zu spielen?“, fragte ich herausfordernd an Vik und Schmidt gewandt.

„Das musst du gerade sagen“, gab Vik zurück. „Als ob deine Mickrigkeit in diesem Haufen aus Taugenichtsen eine Rolle spielen würde!“

„Und dieser Dumbledoof – so heißt er doch oder nicht?“ Clarksen grinste gehässig. „Wie man hört, ist er der Favorit für die Wahl des Kelches.“

„Ich glaube, da überschätz ihr ihn“, erwiderte ich. „Er ist sich dafür sicherlich zu schade, wisst ihr?“ Die Worte schossen aus meinem Mund, bevor ich sie abgewägt hatte. Es war nicht fair, was ich da sagte. Der Druck, unter dem ich stand, ließ mich alles andere vergessen.

„Ach ja, bei dem schnuckeligen Gesicht kein Wunder“, lachte Vik, der Idiot und grinste zwischen seinen zwei Freunden hin und her. Ich atmete durch, weil ich vorhersah, was kommen würde.

„Hast du ihn schon angebaggert, Gaylord?“, feixte Vik und die anderen beiden stimmten boshaft in sein Gelächter ein.

„Da wird Ilves aber traurig sein“, fügte Clarksen hinzu. „Da ist er doch extra noch mitgekommen. Apropos ... wo ist er eigentlich?“ Sie sah sich demonstrativ um. Dabei kümmerte ihr Mitschüler sie nicht im Geringsten.

„Vielleicht wartet er in Gaylords Schlafzimmer?“, schlug Schmidt grinsend vor.

„Das wird es sein, Lou“, erwiderte ihre Freundin mit Genugtuung. „Scheint als müsste sich euer Dumble-Irgendwas hinten anstellen.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Gaylord. Das war der Spitzname, den ich vor zwei Jahren von Clarksen verpasst bekommen hatte. Zum einen, weil das Gerücht umgegangen war, ich würde auf Ilves stehen, zum anderen wegen der unverkennbaren Ähnlichkeit zu meinem Namen.

„Oh, Gaylord hat es die Sprache verschlagen!“, setzte Schmidt erneut zum Angriff an.

„Gaylord?“, echote jemand. Michael Prewett teilte die Menge. Er grinste und sah dabei zwischen mir und meinen früheren Mitschülern hin und her. „Dass mir das nicht eingefallen ist! Deine Freunde sind ja genial.“

Meine Geduld war ausgereizt. Ich zog meinen Zauberstab und feuerte einen ausgedehnten Schockzauber ab, der Prewett und die Durmstrangs erfasste und in hohem Bogen von mir schleuderte. Mit einem dumpfen Knall landeten sie auf dem Boden. Ich sah zwischen ihnen umher, unschlüssig, um wen ich mich zuerst kümmern würde.

Ich bemerkte eine Präsenz in meinem Rücken. Jemand war im Begriff, mich anzugreifen. Ohne die Zeit dafür zu verschwenden, mich umzudrehen, richtete ich meinen Zauberstab hinter mich und feuerte einen zweiten Schockzauber ab, härter als den ersten. Ich hörte, dass er sein Ziel gefunden hatte, bevor ich mich umdrehte.

Die übrigen Schüler, die um den Feuerkelch herum gestanden hatten, wichen zurück – manche rannten davon. Angezogen von Ärger – wie sich das für einen Schulsprecher gehörte – war es nicht Albus, der dazwischenging, sondern das schwarzhaarige Mädchen. In ihrem runden Gesicht stand einen Ausdruck, als wäre sie bereit, zu töten. In jedem anderen Moment hätte mich das beeindruckt.

„Fallen lassen!“, forderte sie mich auf und deutete mit ihrer freien Hand auf meinen Zauberstab.

„Sonst was?“, setzte ich dagegen.

Sie versuchte einen Entwaffnungszauber, den ich blockte und direkt auf sie zurückschoss. Er verfehlte sie um Haaresbreite.

„Dumm, dass dein Freund nicht da ist, wenn du ihn brauchst, hm?“, lachte ich trocken. „Ohne ihn scheinst du ganz schön nutzlos zu sein.“

Am Rande meines Sichtfelds registrierte ich eine Bewegung: Clarksen und die anderen hatten sich erhoben und ebenfalls ihre Zauberstäbe gezückt. Das löste keine Angst in mir aus. Es verstärkte meine Entschlossenheit.

„Noch so eine Aktion und ein Schockzauber wird eure geringste Sorge sein!“, drohte ich den Anwesenden und blockte nebenbei die erbärmlichen Angriffe von Clarksen und Vik.

„Was ist hier los?“, mischte sich jemand ein, und ich war versucht, einen nächsten Zauber abzufeuern. Da erkannte ich, dass ich in Schwierigkeiten steckte: Professor Weasley sah mich aus schmalen Augen an. „Mitkommen, Mister Grindelwald.“

„Ich –“

„Ihre Ausreden sparen Sie sich für die Unterredung in meinem Büro auf. Abmarsch.“ Sie packte mich am Arm und zog mich mit sich. Die schwarzhaarige Giftspritze folgte ihr mit Genugtuung. Ich sah mich nach Albus um – er würde mich verteidigen, da war ich sicher. Er war nicht hier.

In dem Büro der Lehrerin für Verwandlung angekommen, drückte sie mich auf den Stuhl vor ihrem Tisch. Die Schulsprecherin blieb an der Tür stehen wie eine Wache für einen Gefangenen und Weasley setzte sich mit einer Miene mir gegenüber, die mir einen Schauer den Rücken hinaufjagte.

„Erklären Sie sich“, verlangte sie kühl.

„Ich habe mich verteidigt“, antwortete ich.

„Er hat zuerst angegriffen, Professor“, mischte sich die Gryffindor-Schülerin ein.

„Dich hat keiner gefragt, du –“

„Schweigen Sie!“, schnitt mir Weasley das Wort ab. Ihr Blick war eiskalt. Sie zog nicht in Betracht, dass ich im Recht war!

„Sie gehen also einfach davon aus, dass ich –“

„Es ist mir vollkommen egal, was die Durmstrang-Schüler gesagt haben, darum kümmert sich Professor Levski.“

Ich lachte bitter auf. „Sie denken also, Professor Levski bestraft seine Schüler dafür? Welche Kröte haben Sie denn verschluckt?“

„Ich bin mir sicher, Professor Levski wird tun, was er für nötig hält“, presste sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Das glaube ich auch. Er wird nichts tun. Eben weil er es nicht für nötig hält.“

„Ich habe Ihnen bei unserer ersten Unterredung gesagt, dass ich ein Talent dafür habe, den Schülern als Strafe genau das aufzubürden, was am meisten schmerzt“, fuhr sie fort, ohne auf meinen Einwand einzugehen.

„Ach, Sie wollen mich im See ertränken?“, spuckte ich unüberlegt aus und biss mir rasch auf die Zunge.

„Nachhilfestunden für die Erstklässler. Jeden Freitag die nächsten zwei Monate.“

„Das ist nicht ihr Ernst!“, rief ich empört.

Sie lächelte freudlos. „Sie haben mich gehört.“

„Also ich halte das für eine gute Idee, Professor, aber sollten Sie ihn nicht lieber vom Turnier –“

Unsere Lehrerin warf ihr einen Todesblick zu. „Sie machen hier nicht die Regeln. Sie können gehen.“

„Aber –“

Weasleys Blick ließ die Schulsprecherin verstummen und den Raum verlassen.

„Mister Grindelwald. Ich gebe ihnen jetzt die Gelegenheit, mir genau zu erklären, was passiert ist. Ihre Strafe bleibt bestehen, denn Gewalt wird hier auf Hogwarts nicht geduldet. Auch nicht als Antwort auf Provokation.“

Ich war versucht, Professor Weasley davon zu erzählen, dass Clarksen und ihre Bande mir Jahre lang das Leben zur Hölle gemacht hatten und dass ich mich wehrte, weil sie nur eine Sprache verstanden: Gewalt. Ich erkannte, dass das zwecklos war, und schüttelte den Kopf.

„Falls Sie es sich anders überlegen, wissen Sie, wo Sie mich finden können. Ich werde mit Professor Levski sprechen.“

„Es wird ihn nicht interessieren. Und haben Sie dort irgendjemanden gesehen, der für mich aussagen würde? Wohl kaum.“

Ich bemerkte einen Zwiespalt in ihren Augen, Unschlüssigkeit. Zumindest zog sie in Erwägung, dass ich die Wahrheit sprach. Ohne Beweise würde sie dennoch nicht in der Lage sein, mir zu helfen. Das war uns beiden klar.

„Sie können gehen“, sagte sie Momente später. Ich stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Büro.

In dieser Nacht fand ich kaum Schlaf. In meinem Kopf tobte ein Feuersturm aus Hass und Wut, den nicht einmal das Wasser des schwarzen Sees draußen hätte löschen können.

Wenn ich wegdämmerte, erwachte ich kurze Zeit später aus verstörenden Träumen von Basilisken und Nundus, die mit Köpfen von Clarksen und Vik über mich herfielen. Und von Gaunt, der mir in einer seltsam geisterähnlichen Gestalt erschien, um mich zu töten.

Der nächste Tag dämmerte. Hatte ich überhaupt geschlafen? Ächzend setzte ich mich auf. Monate hatte ich auf den Moment gewartet, meinen Namen in den Feuerkelch zu werfen, und wenn alles glatt lief, war ich in zwölf Stunden Trimagischer Champion. Lang hatte ich mich vorbereitet und darauf hingefiebert. In diesem Moment war da nur Leere. Hatte es Sinn, am Turnier teilzunehmen; hier zu sein?

Ich war hierhergekommen, um voranzukommen, oder? Vielleicht hatte ich mich belogen, war geflohen vor der Kälte Durmstrangs und derer, die dort lebten.

Sie holte mich wieder ein trotz all der Meilen, die ich zwischen mich und dieses verfluchte Schloss gebracht hatte. Davonrennen half nicht. Das Wasser fand seinen Weg und durchbrach die Fensterscheiben; begrub einen unter sich, egal wie weit man rannte.

Bei der Vorstellung dieser Wassermassen durchfuhr ein Ruck meinen Körper. Es gelang mir, aufzustehen und mich in den Gemeinschaftsraum zu schleppen. Von dort aus stieg ich die Treppe nach oben und registrierte kaum jemanden, der an mir vorbeiging.

Den ganzen Tag lang blieb alles eine dumpfe Welt. Ich kämpfte mich durch die Stunden und dabei war Gaunt mir eine Hilfe.

„Du machst sie fertig, Grindelwald. Den Durmstrang-Abschaum erst recht!“ Mit seiner Wut und seiner Gehässigkeit stachelte er mich an, setzte mich wieder in Gang. Er hatte recht: Ich würde ihnen zeigen, was sie davon hatten. Dieser Tag würde mir gehören!

„Und sieh mal an, du hast heute sogar deine Haare im Griff!“, warf Gaunt ein – wir waren am Abend auf dem Weg zum Halloween-Fest in der Großen Halle. Sie waren glanzlos, haltlos und dünn.

Meine Mundwinkel zuckten abfällig bei dem Anblick der in Halloween-Thema dekorierten Halle. Dass sie das hier feierten, war lächerlich genug. Dass man es nicht beiseiteschob, in Anbetracht des Ereignisses heute Abend, das begriff ich nicht.

Gelassen schritt ich auf den Tisch der Slytherins zu und setzte mich – näher an der Tafel der Lehrer als sonst. Ich lud mir eine Menge auf den Teller und fing an, zu essen.

„Da kommt er!“, flüsterte Gaunt mir eindringlich zu. Ich brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass er von Albus sprach.

„Hast du etwas mitbekommen?“, fragte ich zwischen zwei Bissen Pastete. „Ob er seinen Namen eingeworfen hat?“

Feierlich wuchtete er sich ein riesiges Steak auf den Teller. „Ich konnte leider nicht die ganze Zeit über Wache halten, aber Metis war auch eine Zeit lang da  – natürlich wegen Aberforth, der macht wohl auf jeden Fall mit. Jedenfalls sagt sie, sie haben Albus nicht in der Nähe des Kelches gesehen. Tja, er ist zu feige. Und das als Gryffindor und Schulsprecher.“ Er schnalzte mit der Zunge. „So eine Witzfigur braucht Hogwarts wirklich nicht.“

„Sei doch lieber froh. So stehen die Chancen höher, dass jemand mit Würde uns vertritt“, gab ich mit einem Lächeln zu bedenken.

„Schon“, murmelte Gaunt, der anfing, sein Steak zu zerschneiden. „Aber wenn er es geworden wäre, hätten wir wenigstens einmal Gelegenheit gehabt, uns über ihn lustig zu machen.“ Er zuckte die Schultern und sah mir wieder in die Augen. „Wer weiß, vielleicht wäre er sogar draufgegangen?“ Er schob sich ein Stück seines Steaks in den Mund.

„Ich glaube nicht, dass er so ungeschickt wäre“, wandte ich kühl ein und nippte an meinem Kelch.

„Das war der Junge, der durch den Basilisken umgekommen ist, bestimmt auch nicht“, erklärte Gaunt kauend. „Aber manchmal ... da hat man eben Pech, weißt du?“

Ich verschluckte mich an meinem Kürbissaft. Das klang, als hätte jemand nachgeholfen.

Er verdrückte unbeeindruckt sein Steak und ich beobachtete ihn dabei aus den Augenwinkeln. Er war mir nicht geheuer, absolut nicht – heute weniger als sonst. War es seine Art, eine düstere Befürchtung meinerseits oder ... war es mehr?

Gaunt würgte seinen letzten Bissen hinunter und erinnerte mich dabei an eine Schlange, die Beute vom doppelten Umfang ihres eigenen Körpers verschlang.

Ich schüttelte den Gedanken ab und konzentrierte mich stattdessen auf das, was vor mir lag: das Trimagische Turnier.

Das Geschnatter wandelte sich urplötzlich in einen Chor aus flüsternden Stimmen. Ich sah auf und erkannte Mister Moon, den Hausmeister, der zwischen den Tischen nach vorn schritt – in der Hand den Kelch. Mit Vorsicht stellte er ihn auf der Kiste ab, aus der Black ihn gestern geholt hatte. Er trat zur Seite und begab sich an den Rand des Lehrertisches.

„Nun“, fing der Schulleiter an zu sprechen und wartete darauf, dass das letzte Geflüster verstummte. „Der Feuerkelch wird jetzt drei Namen, jeweils einen Namen für eine der teilnehmenden Schulen, auserwählen. Wessen Name genannt wird, kommt nach vorn und stellt sich hier hin.“ Er deutete neben sich, wo Levski und der Beauxbatons-Lehrer standen. „Nach der Auswahl der Champions versammeln diese sich gemeinsam mit dem Kampfgericht.“ Black zeigte auf den Raum, den ich am ersten Abend mit Albus betreten hatte, um meine persönliche Zuteilungszeremonie zu erhalten. Das war bald zwei Monate her.

„Nun gut, bringen wir es hinter uns“, murmelte Black halblaut. Mit diesen Worten schritt er auf den Feuerkelch zu, dessen bläuliche Flammen sich im selben Moment veränderten. Eine Art Stichflamme schoss aus dem Holz des Kelches hervor und Funken sprühten. Mit ihnen flog ein Fetzen gelblichen Pergaments durch die Luft direkt in Blacks Hand.

„Der Beauxbatons-Champion ist“, setzte er an und las den Zettel, „Maël Auclair.“

Ein Junge mit einem auffällig roten Haarschopf erhob sich aus der applaudierenden Menge seiner Mitschüler am Ravenclaw-Tisch und schritt nach vorn, um sich neben seinen Lehrer zu stellen. Dieser klopfte seinem Schüler anerkennend auf die Schulter und flüsterte ihm Worte zu, die den Jungen zum Grinsen brachte.

Alle anderen applaudierten dem frisch Erwählten ebenfalls. Black war wieder dem Feuerkelch zugewandt. Erneut spuckte dieser einen Namen aus. Der Schulleiter fing den Zettel auf und sagte mit erhobener Stimme, um den Lärmpegel zu übertönen: „Der Durmstrang-Champion ist: Vivien Clarksen!“

Ich stöhnte auf. Ich hatte es kommen sehen ... Immerhin hatte ich damit die Chance, ihr auf legalem Wege das Gesicht zu verhexen.

Im Vorbeigehen warf meine ehemalige Mitschülerin mir einen triumphierenden Blick zu und wandte sich rasch wieder nach vorn, um sich siegessicher neben meinen früheren Lehrer zu stellen. Mit einem Kopfnicken nahm sie Jubel und Applaus entgegen.

„Und zu guter Letzt“, rief Black über den Beifall und die Stimmen hinweg und die wachsende Anspannung in der Halle flimmerte wie heiße Luft.

Ein letztes Mal züngelte das Feuer des Feuerkelchs auf und spie einen Pergament-Fetzen in die Hand des Schulleiters.

„Der Hogwarts-Champion ist“, setzte er an und versuchte das erste Mal, die Spannung in die Länge zu ziehen. Alle sahen ihn gebannt an. Bevor Black den Namen las, wusste ich, dass es nicht meiner war.

„Albus Dumbledore!“

Chapter 12: Misstrauen

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In mir breitete sich schlagartig Kälte aus. Black hatte sich verlesen! Ich war der Champion!

Aus den Augenwinkeln sah ich Gaunts finstere Miene. Er hatte es gehört, kein Zweifel. Es stimmte: Albus Dumbledore war der Auserwählte.

Widerwillig drehte ich meinen Kopf, um ihn in der Menge der Gryffindors ausfindig zu suchen. Es gelang mir, denn er war der Einzige, der nicht jubelnd herumsprang. Nahezu träge und mit einem starren Blick auf den Schulleiter, schritt er nach vorn und stellte sich neben ihn.

„Damit stehen die Teilnehmer fest“, rief Black – als sei das nicht für jeden klar. „Ich möchte Sie“, er sah die frischgebackenen Champions an, „nun bitten mit mir zu kommen.“ Er drehte sich um und steuerte auf die Tür zu.

Mit vor Hass glühender Brust sah ich dabei zu, wie die drei Erwählten in die Menge winkten, sich abwandten und Black zu der Kammer folgten. Ich stierte auf den rotbraunen Haarschopf, der im selben Augenblick durch die Tür verschwand. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Einen Moment länger und ich hätte die Haare dieses aufgeblasenen Schulsprechers in Brand gesetzt!

Dass Clarksen für Durmstrang antrat, kam mir gegenüber Albus‘ Aktion wie eine Belanglosigkeit vor. Es war klar, wieso er am Mittwoch nicht aufgetaucht war: Er hatte geplant, seinen Namen in den Feuerkelch zu werfen, und war obendrein zu ehrlos, das zuzugeben!

„Mieser kleiner Hornschwanz, dieser Dumbledore, nicht wahr?“ Ich sah auf und in Gaunts Augen, die von Hass erfüllt waren.

„Ist er“, bestätigte ich mit zusammengebissenen Zähnen und wandte meinen Blick wieder der Tür zu, hinter der Albus und der Rest verschwunden war.

„Sieh es mal so“, warf Gaunt mit öliger Stimme ein. „Wir werden anders unseren Spaß haben. Dumbledore wird sich blamieren. Vielleicht verletzt er sich sogar oder ... geht drauf.“ Er grinste. „Dann haben wir eine Menge zu lachen und vielleicht halten die Gryffindors sich dann endlich zurück.“

„Vielleicht.“

„Zur Not helfe ich ein wenig nach. Den Spaß lasse ich mir doch nicht entgehen. Du etwa?“ Für wen hielt er sich, dass er sich in der Lage sah, das Trimagische Turnier zu manipulieren?

„Wie willst du das denn anstellen, hm?“, fuhr ich ihn an. „Du hast keinen Einfluss auf die Aufgaben. Und auf die anderen Champions erst recht nicht.“

„Das kommt ganz darauf an ...“, flüsterte er mit seinem schiefen Grinsen. Wovon redete er da? „Ich habe meine Mittel. Ich kenne dieses Schloss in und auswendig. Wenn Aberforth die Finger von meiner kleinen Schwester lässt, bin ich vielleicht so gnädig und lass seinen Bruder einen ansehnlichen Tod sterben.“

Mein Gewissen regte sich und ich schlug es mit Gewalt nieder. „Und wenn sie dich erwischen?“, setzte ich dagegen.

„Die Missbilligung der Feinde ist das Lob der Tapferen“, flüsterte er und bleckte die Zähne. Der heiße Klumpen Wut, der hinter meinem Brustbein gepocht hatte, erkaltete schlagartig. Ein Schauer kroch mir – nicht zum ersten Mal – über den Rücken. Der Kerl war geisteskrank!

„Hey, ihr da“, blaffte uns ein Vertrauensschüler aus Gryffindor an und kam auf uns zu. „In zehn Minuten ist Nachtruhe!“ Ich sah auf und erkannte, dass die meisten Schüler dabei waren, die Halle zu verlassen.

„Und was ist mit denen da?“, fragte ich und deutete auf die verschlossene Tür, hinter der Albus und die anderen eine Party schmissen.

„Sondergenehmigung. Und jetzt Abmarsch, wenn ihr keine Punkte verlieren wollt.“

Widerwillig schloss ich mich den letzten Schülern an, die die Große Halle verließen. Mir wäre es lieber, ich hätte Albus‘ Rückkehr abgewartet, um ihn seine verfluchte Nase zu brechen!

Ich folgte meinen Mitschülern bis hinunter in die Eingangshalle. An dem Abzweig angekommen, der die Treppen hinab zu unserem Gemeinschaftsraum führte, presste ich mich kurzerhand an die Wand und vollführte meinen vertrauten Desillusionierungszauber. Ich wartete, bis die Schritte der Slytherins unten verhallt waren, und stieg die Stufen zurück nach oben, um bei der Tür der Großen Halle auf Albus‘ Erscheinen zu warten.

Ich verlor mein Zeitgefühl. Waren zehn Minuten vergangen oder eine Stunde? Die Flügeltür öffnete sich und gemeinsam mit den anderen beiden kam der Schulsprecher heraus, in Schweigen gehüllt. Clarksen und der Champion aus Beauxbatons, dessen Namen ich wieder vergessen hatte, stiegen die Treppen der Eingangshalle hinunter und traten durch die hohe Eichentür nach draußen. Albus blieb stehen, schloss die Tür zur Großen Halle und lehnte sich erschöpft an sie.

„Das war ganz schön geschickt von dir“, sagte ich und löste den Desillusionierungszauber auf. Wenn er erstaunt war, zeigte er es nicht. „Deswegen bist du nicht gekommen am Mittwoch, oder? Du hast still und heimlich beschlossen, am Turnier teilzunehmen und mich deswegen sitzen gelassen!“

Albus schien unendlich müde. „Ich hätte dir erklärt, wieso ich nicht kommen konnte, aber –“

„Kommen wolltest“, unterbrach ich ihn.

„Lässt du mich auch nur einmal ausreden?!“, fuhr er mich mit einer Schärfe in der Stimme an, die mich zurückweichen ließ.

Ich verschränkte trotzig die Arme. „Gut, dann rede.“

„Ich habe meinen Namen nicht in den Feuerkelch geworfen“, erklärte Albus um Gelassenheit bemüht.

Ich schnaubte. „Ja, klar.“

„Ich meine es ernst, Gellert. Seit mein Vater ...“ Er sah sich um. „Du weißt schon. Seitdem habe ich in unserer Familie Verantwortung zu tragen, der ich nicht gerecht werden würde, wenn ich am Turnier teilnehme. Ich würde dich nicht anlügen. Mir wäre es lieber gewesen, wenn du der Champion geworden wärst.“ Er sah mich eindringlich an. Beinahe war ich überzeugt.

„Man kann keinen fremden Namen in den Feuerkelch werfen“, argumentierte ich – nicht, um ihn zu überzeugen, viel mehr mich.

„Anscheinend schon“, entgegnete Albus kühl. „Es ist schwierig, den Feuerkelch auszutricksen, aber nicht unmöglich. Am Ende ist er auch nur ein magisches Artefakt, das beeinflussbar bleibt.“

„Vergiss es. Sag mir wenigstens, warum du mitmachen willst. Jetzt so plötzlich.“

Ein Ausdruck trat in Albus‘ Augen, eine Mischung aus Verzweiflung und einer Emotion, die ich nicht fähig war, zu greifen. „Ich war das nicht, Gellert. Bitte, glaube mir das.“

„Ich glaube dir nicht. Schon gar nicht, nachdem du mich am Mittwoch hast sitzen lassen!“

„Wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen?“, fuhr er mich an. „Du wirst ausfallend und rassistisch vor versammelter Menge und greifst dann meine Mitschüler an.“

„Oh, ja, deine armen Mitschüler!“, fauchte ich. „Und was ist mit mir? Bist du einmal auf die Idee gekommen, dass ich mich nur verteidigt habe?“

„Das rechtfertigt nicht, dich so zu verhalten. Und erst recht nicht jemanden wegen seines Blustatus zu beleidigen – ganz egal ob Hogwarts- oder Durmstrangschüler. Und ich möchte dir eines in Erinnerung rufen, Gellert: Ich bin auch ein Halbblut.“

„Mir ging es nie um den Blutstatus von irgendjemandem. Die meisten hier sind Taugenichtse, selbst die Reinblüter. Mir geht es einfach nur darum, dass du mich im Stich gelassen und dann verraten hast!“

„Ich habe dich bitte was?!“, empörte Albus sich. „Verraten? Merkst du eigentlich noch, was du da redest, Gellert?“

„Wieso bist du am Mittwoch nicht gekommen, hm?“

Er schloss die Augen für einen Moment, öffnete sie wieder und sah sich verstohlen um. Befürchte er, dass uns jemand belauschte? Mit gesenkter Stimme sprach er: „Es gab einen Notfall in meiner Familie.“

„Mit Aberforth?“, hakte ich nach.

Er schüttelte hastig den Kopf. „Nein, nicht mit Aberforth.“

„Mit wem dann?“

„Gellert, das hier ist weder der richtige Ort, noch der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen. Vertrau mir.“

„Ich soll dir vertrauen?“, schoss ich zurück. „Du kommst nicht, schickst nur deinen Bruder vor und lässt mich dann noch ins Messer rennen!“

„Wovon redest du?“

„Von Professor Weasleys Strafe für mich. War wahrscheinlich deine Idee, oder? Mich so bloßzustellen!“

Albus atmete durch. „Ich war nicht dabei bei deinem Angriff und kann dich deswegen auch nicht verteidigen, Gellert, so leid es mir tut. Und deine Strafe dient auch nicht zur Bloßstellung. Sei doch froh darüber. Dann können wir beide abseits von unserem Mittwoch ein wenig Zeit verbringen. Na ja, mit den Erstklässlern, aber die sind wirklich ganz nett.“ Er versuchte, zu lächeln, und scheiterte kläglich.

„Zeit verbringen?“, echote ich.

„Ja. Ich betreue doch die Erstklässler bei der Nachhilfe am Freitag.“

„Diese verfluchte Furie ...“, knurrte ich und verhexte in Gedanken Weasleys faltiges Gesicht. Mir diese beleidigende Aufgabe zuzuweisen – gemeinsam mit ihrem Lieblingsschüler! Sie hasste mich eindeutig.

„Gellert, jetzt beruhige dich bitte. Es hätte dich wirklich schlimmer treffen können. Wenn Professor Weasley wüsste, dass wir uns treffen, hätte sie dir den Gefallen sicherlich nicht getan.“

„Oder gerade deswegen! Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich nach der Aktion mit dir Zeit verbringen will?“, warf ich ihm entgegen.

Seine Miene verfinsterte sich. „Dein Pech. Die Freitage sind Pflicht. Und verlass dich darauf, dass ich es melde, wenn du nicht da bist. Auch wenn ich für dich nur ein dummes Halbblut bin!“ Er wandte sich ab und steuerte die Große Treppe an.

„Dass du beim Turnier mitmachst, ist nur die Rache dafür, hab ich nicht recht?“, rief ich ihm hinterher und eilte bis zu den ersten Stufen. „Dafür, dass ich dein Halbblut-Ego gekränkt habe!“ Er drehte sich nicht um und war kurz darauf ein Stockwerk höher im nächsten Gang verschwunden.

Mit ihm verschwand meine Wut. War ich zu hart mit ihm?

Ich ließ mich auf der Treppe nieder. Hatte er die Wahrheit gesagt? Hatte er seinen Namen nicht in den Feuerkelch geworfen? Wer sonst? Und welcher Notfall war bedeutsamer als unser Treffen?

Mein Kopf schmerzte, pochte im Rhythmus meines Herzschlags. Albus‘ Schritte waren verklungen und in mir regte sich der Impuls, ihm hinterherzugehen. Ihm nachzurufen. Ja, mich zu entschuldigen.

Ich erhob mich wieder und stieg schwerfällig die Treppe hinauf. Im nächsten Stockwerk fiel mir ein, dass ich den Weg zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors nicht kannte. Und wenn ich ihn fand, würde ich nicht hineinkommen und ich würde nicht draußen warten, bis Albus auftauchte.

Unschlüssig sah ich mich um. In der Ferne vernahm ich ein Klappern und Scheppern, gefolgt von einem Aufschrei und einem gehässigen Lachen. Besser ich zog mich zurück. Peeves dem Poltergeist wich ich um jeden Preis aus.

Zehn Minuten später betrat ich den Gemeinschaftsraum der Slytherins: Das Feuer im Kamin loderte, die Stühle und Sessel waren unbesetzt – bis auf einen.

„Ich habe mich schon gefragt, wann du kommst“, erklang Gaunts kühle Stimme. „Wo warst du?“ Er hatte sich nicht zu mir umgewandt. Er hatte mich gehört. Oder gewittert, wie eine Schlange.

„Ich hatte noch etwas zu erledigen“, antwortete ich und stieg betont gelassen die Stufen hinab.

Im Zwielicht sah ich, dass Gaunt den Kopf hin und her wog. „Mit Dumbledore.“ Keine Frage, eine reine Feststellung.

Es war sinnlos, zu lügen. „Mit Dumbledore“, erwiderte ich. Ich schritt auf ihn zu und setzte mich in den Sessel neben ihn, dicht beim Feuer.

„Hast du ihm wenigstens die Nase gebrochen?“ Es war Zufall, dass er diesen Gedanken erraten hatte. Ganz klar. Oder?

„Ich kam leider nicht dazu.“

„Mach dir nichts daraus, mein Freund. Wir alle sind schon auf ihn hereingefallen und von ihm verraten wurden. So fängt es immer an.“ Er wandte seinen Blick nicht vom Feuer ab.

„Ich finde, es ist Zeit, dass du mich in deinen Plan einweihst.“

„Findest du das, ja?“

Ich schwieg. Er hielt mich nicht für vertrauenswürdig genug. Oder sein Mund war größer als das, was dahinter steckte.

„Sagen wir es so“, hob er an. „Alle werden Schlange stehen, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen. Werden sie ohnehin. Aber wenn sie wüssten ...“ Er ließ seine Worte im Nichts verlaufen.

„Das klingt nach etwas, das man von langer Hand planen muss“, warf ich ein.

„Du unterschätzt uns Gaunts maßlos, Grindelwald.“ Er erhob sich von seinem Sessel, strich sich den Umhang glatt und sah mich an. In seinen Augen lagen Berechnung und Hass. „Wir werden unseren Spaß haben. Das ist, was zählt oder nicht?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich ab und verschwand in dem Schatten des Ganges, der zu den Schlafsälen führte.

Mein Blick glitt zurück zu den Flammen, die in dem Kamin loderten. Ich starrte hinein und ließ Gaunts Worte nachwirken. „Alle werden Schlange stehen“, hallte seine Stimme in meinem Kopf wider.

Die Flammen vor mir züngelten, als wären sie erbost, wandelten sich. Sie stiegen höher empor, verbanden sich miteinander zu einer Art Stichflamme. Aus dieser wuchsen drei weitere Flammenausläufer hervor, die sich nach mir ausstreckten und mich rückwärts über die Lehne des Sessels springen ließen, auf dem ich gesessen hatte.

Ich blinzelte und betrachtete das Feuer mit Abstand. Es loderte normal vor sich hin.

Entweder ich wurde allmählich wahnsinnig, oder – und ich vermochte nicht, zu sagen, was mir lieber war – ich hatte einen flüchtigen Blick auf die Zukunft erhascht.

Chapter 13: Zugzwang

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Die Flammenzungen hatten mich bis in meine Träume verfolgt und mich nicht mehr losgelassen. Nahezu in jeder Nacht erwachte ich, schreckte auf und war wie in Brand gesteckt: Mir war heiß und das Atmen fiel mir schwer.

Am schwierigsten war es für mich, mit niemandem darüber zu reden. Gaunt kam spätestens seit dem Halloween-Abend nicht mehr infrage. Er hatte das alles erst ausgelöst. Und Albus? Ihn sah ich freitags zur Nachhilfe der Erstklässler – gezwungenermaßen. Wir sprachen kaum miteinander. Es gab nichts zu sprechen.

Zweieinhalb Wochen waren vergangen, seit der Feuerkelch die Champions auserwählt hatte. Ich verübelte es Albus nach wie vor, dass er gewählt worden war und nicht ich. Und dabei war mir egal, ob er seinen Namen eingeworfen hatte oder nicht. Es änderte nichts an meiner Lage: Ich stand wieder bei null. Nicht komplett am Anfang, nein, aber weit zurückgeworfen. Leerlauf. Wohin führte mich meine Reise ohne das Trimagische Turnier?

Albus war nicht fies oder garstig zu mir. Wenn er meinen Blick auf sich bemerkte, sah er mich an, abwartend. Er wartete auf eine Entschuldigung, ein Einlenken meinerseits, auf meinen nächsten Zug. Und ich auf seinen.

Heute Nachmittag stand die dritte Nachhilfestunde an. Egal, wie oft ich es gedreht und gewendet hatte, einen Ausweg aus dieser Bestrafung hatte ich nicht gefunden. Ich beugte mich der alten Weasley so weit wie nötig und war jeden Freitag von 16 – 17 Uhr in der Großen Halle, um Albus‘ Nachhilfe beizuwohnen. Ich saß an meinem Platz und stierte ihm Löcher in den Kopf, was er die meiste Zeit ignorierte. Den Kindern schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Was hätte ich ihnen denn beibringen sollen? Wie man den Zauberstab korrekt hielt? Wutschen und Wedeln? Welch  ein Humbug!

Zu meiner Überraschung hatte Albus Professor Weasley nicht verraten, dass ich ihm kaum half. Zumindest hatte sie mich nicht darauf angesprochen, obwohl ich in jeder Stunde, die wir mit ihr Verwandlungsunterricht hatten, damit rechnete. Heute Vormittag war ich wieder aus dem Raum entkommen, ohne von ihr zurückgerufen worden zu sein. Das verbuchte ich als Erfolg.

Der Hauch von Zuversicht verflog, sobald ich auf dem Weg in die Große Halle war, um meiner verfluchten Pflicht nachzugehen: mich den unfähigen Erstklässlern auszusetzen. Und dem nervigsten Nachhilfelehrer der Welt.

Ich durchschritt die Flügeltür zehn Minuten zu früh. Albus sah mir wartend entgegen. Heute schien er es nicht bei einem grüßenden Kopfnicken zu belassen, auf das wir uns bisher jede Woche beschränkt hatten.

„Hallo Gellert“, grüßte er mich. Ich nickte wortlos und setzte mich ihm gegenüber. Er räusperte sich und zog meinen Blick dadurch wieder auf sich.

„Was gibt es?“, fragte ich schroffer als nötig.

„Es wäre gut, wenn du heute mitmachst. Oder immerhin aufmerksam zuschaust“, sprach er behutsam.

„Und warum?“

„Weil du die Nachhilfestunde nächste Woche allein halten wirst.“

Ich schnaubte. „Vergiss es, Albus!“

„Hör zu: Ich hab Professor Weasley gesagt, dass du sehr fleißig mithilfst und sehr lieb zu den Kindern bist, damit du nicht noch mehr Ärger bekommst. Sie hätte es fast durchschaut. Du und lieb zu Kindern.“ Er zog eine Grimasse. „Ich habe meine Lehrerin angelogen. Da wirst du über deinen Schatten springen und den Schülern helfen können.“

„Was hast du denn so Wichtiges vor, dass du deine kleinen Lieblinge nicht betreuen willst?“, stichelte ich.

„Nächste Woche Samstag steht die erste Aufgabe des Trimagischen Turniers an“, erklärte er nüchtern.

„Und der große Dumbledore braucht natürlich extra Zeit, um sich darauf vorzubereiten, weil er nie geplant hatte, am Turnier teilzunehmen“, erwiderte ich sarkastisch.

Albus seufzte und wandte seinen Blick ab. „Denk, was du willst. Wenn du nächste Woche nicht hier bist und den Schülern hilfst  – und dabei freundlich bist –, wird Professor Weasley davon erfahren.“

Da betraten die ersten zwei die Große Halle und kamen auf uns zu. Sie setzten sich jeweils links und rechts neben den Schulsprecher und fingen an, ihm von ihren Fortschritten zu erzählen. Ich schaltete ab und bemerkte am Rande, dass er Rest zu uns stieß und Albus mit seiner Stunde anfing.

Er sprach über Zaubertränke und Zutaten; Techniken, die es einem vereinfachten, Tränke zu brauen. Das, was er sagte, war derart präzise und simpel erklärt, dass ich seinen Worten widerwillig wieder meine Aufmerksamkeit schenkte.

„Es ist wichtig, dass ihr euch an die Anweisungen haltet, die in der Zaubertrankanweisung beschrieben sind“, erläuterte er. „Aber auch Bücher sind nicht fehlerfrei. Wenn ihr das Gefühl habt, dass ein Schritt nicht funktioniert wie beschrieben, trotz dass ihr euch an alles gehalten habt, notiert euch das. Das ist ohnehin ganz wichtig: Jeden Schritt dokumentieren und mitschreiben. So könnt ihr eventeulle Fehler später nachvollziehen oder die Zaubertrankanweisungen später sogar so anpassen, dass sie den Trank und seine Wirkung abändert. So könnt ihr Zaubertränke abwandeln oder verbessern. Macht das jedoch nicht leichtfertig, das kann sehr gefährlich sein. Wenn ihr etwas ausprobieren wollt, fragt mich oder Gellert gern vorher.“

Die Schüler schauten ihn gebannt an und lauschten auf jedes seiner Worte. Bei der Erwähnung meines Namens sahen sie kurz zu mir und rasch wieder weg.

„Habt ihr soweit alles verstanden? Noch Fragen?“

„Kannst du uns noch eine Knobelaufgabe geben, bitte?“, fragte eine Ravenclaw-Schülerin bettelnd.

Albus lächelte. „Gut, dass du fragst.“ Er holte einen Stapel Pergamente aus seiner Tasche und verteilte sie an jeden Schüler. „Ich habe euch ein Rezept für einen euch unbekannten Zaubertrank aufgeschrieben. Das Rezept enthält jedoch Fehler. Bis nächste Woche könnt ihr euch darin ausprobieren, die falschen Anweisungen ausfindigzumachen und zu korrigieren. Macht euch nichts daraus, wenn euch das nicht gleich gelingt, das ist ziemlich anspruchsvoll. Wollen wir mit dem nächsten Fach weitermachen?“

Wie er da saß und sprach, kam er mir vor wie ein Lehrer mit jahrelanger Erfahrung, nicht wie ein Schüler. Er schien lebendig dabei und tief in seinem Element. Irgendetwas berührte das in mir.

Eine Woge der Zuneigung überkam mich. Wärme breitete sich in mir aus. Sie wandelte sich in Hitze. Und ein Blitz durchzog meine Gedanken. Ich war gezwungen, die Augen zu schließen.

Ich sah Albus, erstarrt. Über ihn fiel ein Schatten. Nein, nicht einer: drei! Sie ähnelten den schlangenartigen Flammen in dem Kamin, konturenhaft. Ich hörte eine zischende Stimme, der eine löste sich aus der Parallelität der anderen, schoss auf Albus zu und ...

Schwärze. Ich presste die Lider aufeinander. War er tot? Ich sah ihn vor mir, leichenblass mit blutleeren Wangen und den blauen Augen, die starr in den Himmel über sich gerichtet waren. Panik breitete sich in mir aus, aber das war nicht mehr Teil meiner Vision.

Obwohl er seinen Mund nicht bewegte, hörte ich seine Stimme. „Gellert.“ Und sie vermischte sich in meinem Kopf mit dem menschlichen Zischen, das die Schatten angestachelt hatte.

Eine Berührung an meiner Schulter ließ mich zusammenfahren und die Augen aufreißen. Er war direkt vor mir. Er lebte. Er war nicht leichenblass. „Gellert, ist alles okay?“ In meinem Inneren klang das Bild nach, das Zischen in meinem Ohr.

„Gellert“, wiederholte er behutsam. Ich sprang auf und ignorierte, dass mein Stuhl krachend zu Boden fiel. Ich stolperte darüber, fing mich rechtzeitig und stürzte auf die Flügeltür zu, um Albus und seinen Fluch weit hinter mir zu lassen.

In meinem Kopf spielten sich die Szenen erneut ab, so deutlich, dass sie überdeckten, was vor meinen Augen war.

Und da stand ich vor der Bibliothek. Ohne die Erinnerung, wie ich hierhergekommen war. Ich blinzelte mehrmals und sah umher, um meine Gedanken zu ordnen; um zu begreifen, was passierte.

„Wenn die Visionen so intensiv sind, dass du nicht weißt, was echt ist und was nicht, musst du wieder einen Halt in der Realität finden“, hatte Papa mir gesagt.

Es ist Freitag, der 18. November 1898. Ich bin in Hogwarts. Ich hatte eine Zukunftsvision.

Mein Herzschlag verlangsamte sich allmählich, meine Atmung beruhigte sich, ich sah wieder klar. Wieso war ich hier?

Albus. Vision. Schatten. Schlange. Drei ... Da war irgendetwas. Ein Faden in meiner Erinnerung, der mir zu entgleiten drohte. Er war unentbehrlich, bedeutsam.

Runespoor!

Ich stieß die Tür zur Bibliothek auf und eilte die Treppen hinauf. Dabei übersprang ich jede zweite Stufe und hechtete oben angekommen zu dem Regal, in dem ich zwei Monate zuvor die Bücher über die schlangenartigen Tierwesen und ihre Vertreter gefunden hatte.

Es war unabdingbar, dass ich sie wiederfand! Das, was ich gesehen hatte, war das Turnier. Irrtum ausgeschlossen. Irgendetwas hatte nicht gestimmt. Die zischende Stimme, die menschlich und tierisch gleichermaßen klang, ohne dass ich eine Bedeutung der Worte erkannte. Wenn es denn eine gab.

Ich durchforstete das ganze Regal, fand Werke über Drachen, Feuerkrabben und Nundus. Ich führte Aufrufe-Zauber aus, die erfolglos blieben. Die beiden Bücher, die ich suchte, fehlten, waren unauffindbar.

War es denkbar, dass jemand anderes sie ausgeliehen hatte? Ich hatte sie derart eingestaubt vorgefunden, dass ich das nicht in Betracht gezogen hatte. Doch das Turnier stand kurz bevor. Es war nicht auszuschließen.

Ich eilte die Treppen zurück nach unten und steuerte direkt auf die Bibliothekarin zu, die konzentriert ihre Bücher polierte.

„Entschuldigen Sie“, keuchte ich außer Atem.

„Pst!“, kam es von ihr.

Ich verdrehte die Augen und senkte meine Stimme. „Verzeihung. Können Sie mir sagen, an wen Sie die Bücher über Schlangenartige und Runespoors verliehen haben?“

Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Wieso möchten Sie das wissen? Brauchen Sie die Bücher?“

„Ja, sehr dringend. Es geht um Leben und Tod!“

Der Blick der Bibliothekarin verfinsterte sich eine Spur mehr. „Dann muss Leben und Tod warten, bis die Leihfrist abgelaufen ist. Ich darf Ihnen nicht unbefugt weitergeben, wer die Bücher ausgeliehen hat.“

„Dann sagen Sie mir bitte, wann die Leihfrist abgelaufen ist!“, flehte ich sie an.

Die Dame seufzte und blätterte mit gezielten Handgriffen in ihrem Register umher. Wieder zogen ihre Augenbrauen sich zusammen. „Seltsam ...“, murmelte sie.

„Was?“, hakte ich sofort ein. „Was ist seltsam?“

„Die Leihfrist ist bereits abgelaufen“, brummte sie. „Das hätte ich sehen müssen.“ Ich versuchte, über ihre Schulter zu stieren, um zu erkennen, welcher Name dort stand. Im selben Moment schloss sie ihr Register wieder.

„Das ist wirklich ungeheuerlich!“, stieß sie hervor.

„Das finde ich auch! Bücher sind schließlich Schuleigentum!“

Die Bibliothekarin bedachte mich mit einem tadelnden Blick. „Ich bitte Sie. So leicht bin ich nicht zu manipulieren.“

„Es würde Ihnen doch aber sicherlich Zeit ersparen, wenn sie mir sagen, wer die Bücher hat. Wenn Sie wollen, kann ich einen Brief überbringen oder so etwas in der Art.“

Resigniert seufzte sie. „Nun gut. Ich habe wirklich keine Zeit, den Schülern hinterherzurennen. Zumal ... Ich denke nicht, dass Miss Coth das Buch mit Absicht für sich behält. Dafür wirkt sie nicht –“

„Coth?“ Der Name sagte mir nichts.

„Hufflepuff, viertes Jahr. Blonde Haare. Kennen Sie sie?“ Das war Mädchen, dass für Prewett die Bücher beschafft hatte! Das hieß: Er hatte sie! Was hatte er mit ihnen vor? Er war kein Champion. Hatte er vergessen, sie abzugeben? Oder war er darauf aus, Albus und den anderen eins auswischen, damit sie nicht an die Informationen kamen? Wieso waren alle übrigen Werke zu den Tierwesen an ihrem Platz? Er hatte keine Kenntnis darüber, dass das Trimagische Komitee eine Runespoor für die erste Aufgabe beschafft hatte.

„Ich werde ihr ausrichten, dass sie die Bücher so schnell wie möglich zurückbringen soll“, versicherte ich eilig. Im Kopf überdachte ich, wie es mir gelang, in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum einzubrechen, um Michael Prewett die Werke über die Tierwesen zu entwenden.

Ich wandte mich ab und verließ die Bibliothek. Vor der Tür blieb ich stehen. Irgendetwas stimmte nicht daran. Es war zu simpel und ergab gleichzeitig keinen Sinn. Ich hatte die Runespoor gesehen in meiner Vision, war mir daher sicher, dass sie Teil der ersten Aufgabe im Turnier sein würde. Michael Prewett indes ... Nein. Dass er ein Seher war, schloss ich aus.

Es gab zwei wahrscheinliche Möglichkeiten: Entweder die Bücher waren in seinem Besitz, weil er sie jemand anderem vorenthielt, sie vergessen hatte. Oder ... ich suchte in der komplett falschen Richtung!

Chapter 14: Runespoor

Chapter Text

Mir blieb keine Zeit mehr, um meiner Vermutung, dass Gaunt hinter den verschwundenen Büchern steckte – nicht Prewett und das Hufflepuff-Mädchen – nachzugehen. Ich bemühte mich, nicht darüber nachzudenken, wie das mit ihr zusammenpasste; ob sie mich angelogen, oder ob Gaunt sie manipuliert und verhext hatte. Ich traute ihm das zu, aber das war im Augenblick nicht entscheidend.

Stattdessen zählte, dass ich mich an das, was ich vor zwei Monaten über die Runespoor gelesen hatte, erinnerte. Seit vier Tagen war ich damit beschäftigt, jedes kleinste Fragment, das mir in Erinnerung kam, zu notieren. Die meiste Zeit – wie heute – saß ich dafür in der Bibliothek. In der naiven Hoffnung darauf, dass das Buch wieder auftauchte – oder Albus persönlich, um ihn zu warnen. Beides passierte nicht.

Was würde ich ihm sagen? „Marvolo Gaunt ist ein Geisteskranker und versucht, dich beim Turnier mit einer Runespoor umzubringen.“?

Ja, warum nicht? Das war besser als nichts, würde ihn vor der Gefahr warnen, in die er sich begab. Vorausgesetzt er vertraute mir.

Nein, das würde ihm nicht weiterhelfen. Entscheidend wären Informationen über diese verfluchte Runespoor! Albus war schlau und gebildet, doch diese Viecher waren rar und blieben im Unterricht unerwähnt. Ich verließ mich nicht darauf, dass er vor der Verkündung seines Namens bis in diese Tiefen der Tierwesenkunde vorgedrungen war oder die Literatur darüber durch Zufall gelesen hatte. Auf das Glück war kein Verlass mehr.

Im Bewusstsein dessen hatte ich mich gestern im Schlafsaal des fünften Jahres, wo Gaunt schlief, nach den Büchern umgesehen und dafür einen Vormittag lang im Unterricht gefehlt, um den zu nutzen, dass niemand mich dabei sah.

Von den Werken fehlte jede Spur. Weder Aufrufe- noch Aufspürungszauber halfen. Es brachte nichts und ich fand mich damit ab, dass ich diese Bücher nie wiedersehen würde. Gaunt war seit fünf Jahren hier in Hogwarts und hatte mehr Zeit, das Schloss und seine geheimen Ecken zu erkunden. Dagegen kam ich nicht an.

Obwohl mein Gedächtnis befriedigend zuverlässig war, erinnerte ich mich nicht an alle Einzelheiten dieser Bücher. Im Turnier jedoch waren diese Details entscheidend. Erst recht, wenn es Gaunt gelang, die Aufgabe zu beeinflussen. Und somit saß ich hier und schrieb jedes Wort nieder, das mir wieder einfiel – ausgestattet mit Erinnerungstrank und anderen Zaubern, die mir das erleichterten.

Die Nächte, die ich nicht in der Bibliothek verbrachte, hatten mir ein Bild davon geliefert, wie Gaunt es anstellen würde, die erste Aufgabe zu manipulieren.

Bei genauerem Nachdenken war es simpel: Papa hatte mir früher erklärt, dass für das Auge eindrucksvolle Einblicke in Visionen oft überschatteten, was entscheidend war: Eindrücke im Hintergrund, wie Gerüche oder Geräusche. Wie das Zischen, das ich gehört hatte.

Die Familie Gaunt stammte von Salazar Slytherin ab. Dieser Zauberer war ein Parselmund gewesen – er hatte die Sprache der Schlangen gesprochen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass diese rare Fähigkeit sich über acht Jahrhunderte bis zu dem jüngsten Vertreter Marvolo weitervererbt hatte? Dass er im Begriff war, sie zu nutzen, um ein dreiköpfiges Schlangenwesen auf einen Champion zu hetzten?

Runespoors waren nahezu unmöglich zu zähmen. Hatte das Trimagische Komitee einen Parselmund gebraucht, um das Tierwesen einzufangen? Gaunt kam nicht infrage, er war Schüler. Sein Vater oder ein anderer Verwandter? Das würde erklären, wieso ein Fünftklässler Kenntnis von der Turnieraufgabe hatte. „Sie werden Schlange stehen“, hatte er gesagt. Warum war ich nicht eher darauf gekommen?

In den letzten Tagen hatte ich Gaunt öfter gesehen. Er warf mir verstohlene Blicke zu, behielt mich im Auge. Aus diesem Grund wagte ich es nicht, Albus aktiv aufzusuchen, um ihn zu warnen. Ich gab niemandem die Gelegenheit, mitzubekommen, dass ich ihm half. Zum einen war das verboten – die Champions waren beim Lösen der Aufgaben auf sich gestellt – zum anderen verspielte ich meinen Vorteil, wenn Gaunt erfuhr, dass ich sein Vorhaben durchschaut hatte.

Ich war gezwungen, mich darauf zu verlassen, dass Albus an unserer Tradition festhielt und morgen früh in den ersten beiden Stunden hierherkommen und hier sein würde. Ohne mich. Die Notiz würde er finden. Ich hatte sie unter den Tisch geklebt – exakt über die Stelle, wo er seine Tasche abstellte.

 

Die letzte Nacht vor der ersten Aufgabe im Trimagischen Turnier war eine schlaflose für mich. Ich wälzte mich von einer Seite zur anderen – unfähig, meine Vision und die Gedanken, die darauf folgten, abzuschalten. Die Bilder hatten sich zu tief eingebrannt. Und das Zischen klang in meinen Ohren nach.

Ich hatte Albus beim Verlassen der Bibliothek am Mittwochvormittag beobachtet und eine Stunde später überprüft, ob meine hinterlassenen Aufzeichnungen verschwunden waren – waren sie. Das hatte mich und mein Gewissen ein Stück weit beruhigt.

Was, wenn er es für eine Falle hielt? Nein. Das war unser Platz. Er würde begreifen, dass die Notiz von mir kam. Vertraute er mir genug? Wenn nicht, würde er zumindest in Betracht ziehen, dass ich recht hatte und darüber nachdenken, wie er sich gegen die Runespoor und die Manipulation dieser zur Wehr zu setzen vermochte.

Er war geschickt und schlau. Das sagte ich mir auf dem Weg zum Quidditch-Stadion, wenn meine Angst wieder in mir hochstieg und drohte, mir die Luft abzuschnüren.

„Hey, Gellert!“, rief jemand hinter mir. Ich blieb stehen und drehte mich um. Elphias lächelte mich an und schloss zu mir auf. „Willst du dich mit zu uns setzen?“, fragte er. Geistesabwesend nickte ich.

„Muss das sein?“, murrte Owen. „Er ist nicht mal ein Gryffindor!“

„Er ist ein Freund von Albus und er hat gesagt, wir sollen ihn fragen“, erklärte Elphias seinem Kumpel mit gelassener Stimme.

Das ließ mich aufhorchen. „Was?“

„Ja“, bestätigte er. „Er hat gesagt, du würdest dich bestimmt freuen.“ Owen verzog das Gesicht. Das Schlimmste war: Er hatte recht!

„Da lag er nicht ganz falsch“, gab ich widerwillig zu und Elphias lächelte. Ich folgte den beiden. Wir setzten uns in die zweite Reihe, gleich hinter die Plätze, die der Jury vorbehalten waren.

Ich ließ meinen Blick über das Quidditch-Stadion schweifen. In der Mitte des elliptischen Spielfeldes, das von den Tribünen umgeben war, auf denen wir saßen, war ein gleichseitiges Dreieck vom Gras des Platzes abgegrenzt. Es erstreckte sich über die gesamte Breite des Feldes und war schätzungsweise 60 Meter lang. Es war außen von einem schwarzen Graben begrenzt und in vier kleinere Dreiecke unterteilt, die gleichgroß waren und voneinander gleichermaßen von Furchen getrennt waren. Es lag unscheinbar dar, wie ein friedlicher Garten. Ich gab mich diesem Schein nicht hin. Der Friede würde bald verschwinden.

Die Zeit verhielt sich seltsam heute. Mit all der Aufregung und der Angst, die wie ein heißer Klumpen in meinem Magen lag. Sie stolperte vor sich hin, floss zäh wie flüssiges Gold und schwappte über.

Das nächste Mal, dass ich bewusst im Stadion umherschaute, waren die Ränge gefüllt. Knisternde Aufregung lag in der Luft und war begleitet von einem gedämpften Stimmengewirr. Ich sah neben mich, wo Elphias sich mit Owen unterhielt.

Alles verstummte und die plötzliche Stille zog meinen Blick zum Feld: Fünf Gestalten traten aus dem Tunnel hervor, aus dem sonst die Quidditch-Spieler geflogen kamen. Es handelte sich um die Lehrer der drei Schulen und um die beiden Ministeriumszauberer Bones und Rookwood. Diese Gruppe bildete das Kampfgericht.

Sie stellten sich in das mittlere der vier Dreiecke und der Leiter der Abteilung für Magische Spiele und Sportarten hielt sich seinen Zauberstab an die Kehle. Seine Stimme hallte über das Feld und die Tribünen hinweg. „Wir sind heute hier zusammengekommen, um das Trimagische Turnier mit der ersten Aufgabe zu eröffnen! Die Regeln sind ganz simpel: Jeder Champion stellt sich an eine der drei Ecken. Die Aufteilung wurde vor wenigen Minuten ausgelost.“ Er winkte die Spieler herbei. Albus, Clarksen und der Beauxbatons-Junge begaben sich an je eine der Ecken des Dreiecks. Sie alle sahen zu dem Komitee in der Mitte, abwartend.

„Jeder der vier Sektoren gehört einem Tierwesen. Die Aufgabe der Champions ist es, die drei äußeren Sektoren nacheinander zu durchschreiten und die Bestien zu überwinden.“ Er grinste und ließ seinen Blick über die Versammelten auf den Tribünen gleiten.

„Aber“, mischte sich Mister Bones ein, „denkt daran, Champions, dass diese erste Aufgabe der Auftakt ist, der gleichzeitig als Einstimmung und Vorbereitung auf alles gilt, was noch kommen mag. Deswegen wird es eure Aufgabe sein, den Tierwesen abzunehmen, was brauchbar ist – ohne sie zu töten, versteht sich. Habt ihr, was ihr wollt, durchschreitet ihr die Flammen zum nächsten Sektor. Durchquert ihr jedoch die äußeren – oder werdet unter Umständen hinausgeschleudert –, seid ihr ausgeschieden. Nachdem die äußeren drei Sektoren im Uhrzeigersinn von jedem der Champions durchschritten worden sind, stellen sie sich gemeinsam dem mittleren Sektor. Anschließend vergeben wir, die Jury, Punkte. Jeder der fünf kann an jeden Champion höchstens zehn Punkte vergeben. Die Punktzahl ist wichtig für den weiteren Verlauf des Turniers, also strengt euch an!“

„Wenn das Startsignal ertönt“, fügte Rookwood hinzu, „begeben sich die Champions in die Mitte der Dreiecke an dessen Ecke sie stehen. Wenn das zweite Signal ertönt, müssen sie bereit stehen. Beim dritten startet die Aufgabe. Viel Vergnügen, Leute! Und viel Glück an unsere Champions!“

Zusammen verließen die Mitglieder des Kampfgerichts das Feld und begaben sich zu ihren Ehrenplätzen auf der Tribüne, eine Reihe unter mir und dicht genug, um ihnen auf die Köpfe zu spucken.

Der erste Gong ertönte und Albus und die zwei anderen rannten zur Mitte ihres jeweiligen Sektors und stellten sich dort auf.

Schätzungsweise eine halbe Minute später erklang das zweite Signal. Gleichzeitig hatten sich aus den schwarzen Gräben, die die Dreiecke im Spielfeld umrahmten, bläulich weiße Flammen erhoben und züngelten gen Himmel.

Aus dem Feuer stiegen vier Schatten empor. Zuerst erkannte ich die Runespoor, die sich im mittleren Dreieck zusammenrollte. Jeder der drei Köpfe war in eine andere Richtung gerichtet, zu einem der äußeren Sektoren. Keiner von ihnen sah aus, als würde er angreifen und ich entspannte mich ein Stück.

Das dritte und endgültige Startsignal ertönte: In dem Dreieck, in dem Albus gestartet war, erkannte ich einen Greif. Im Gegensatz zu der dreiköpfigen Riesenschlange sah dieser angriffslustig aus. Ohne Vorwarnung rannte er los und stürzte sich auf den Hogwarts-Champion, der sich zur Seite warf, abrollte und gleichzeitig einen Schutzschild beschwor, der ihn schimmernd umgab.

Der Greif bremste knapp vor den Flammen, wandte sich um und scharrte mit den Hufen. Erneut spurtete er los. Albus war vorbereitet: Mit einem leuchtend goldenen Blitz fesselte er die vier Gliedmaßen des Tierwesens, das daraufhin stolperte und fiel. Es stieß einen erbitterten Schrei aus. Sich davon nicht irritieren lassend, schritt der Hogwarts-Champion darauf zu und hockte sich hin. Er verzog keine Miene und trennte dem Greif eine seiner Klauen ab.

„Nimm die anderen auch noch mit!“, schrie Owen ihm zu – obwohl Albus ihn unmöglich hörte. „Dann stichst du die anderen aus!“

„Wäre das nicht verboten?“, wandte Elphias ein.

Sein Freund zuckte mit den Schultern und grinste. „Sagt wer?“

Albus erhob sich wieder und rannte auf die Feuerwand zu, die seinen Sektor von dem Nächsten abtrennte. Bevor er die Wand durchschritt, befreite er den Greif mit einem Wink seines Zauberstabs von seiner Fessel.

Was würde passieren? Clarksen, die im Abschnitt hinter ihm gestartet hatte, war nicht fertig mit ihrem Tierwesen. Ein Riesenochse mit goldenem Fell tänzelte um sie herum und scharrte dabei mit den Hufen: ein Re’em.

Der Junge aus Beauxbatons, in dessen Dreieck Albus als Nächstes gelangen würde, hatte seine Beute ebenfalls nicht errungen. In regelmäßigen Abständen stieß ihn eine unsichtbare Macht um. Und obwohl er sich rasch wieder aufrappelte und Aufspürungszauber ausführte, geschah nichts.

In dem Moment, in dem Albus die Feuerwand zu diesem Sektor durchschritt, verschwanden Clarksen und der Junge und tauchten in der Mitte des nächsten Sektors wieder auf. Der Schnellste setzte die Zeit! Das hatten sie nicht erwähnt.

Albus ließ sich nicht beirren. Er stand in dem Dreieck mit dem unsichtbaren Tierwesen und sein erster Versuch galt den Aufspürungszaubern. Wie bei dem Jungen zuvor, blieb das wirkungslos.

Aus dem Nichts stieß das Tier Albus um und ließ ihn zwei oder drei Meter durch die Luft sausen. Sobald er den Boden berührte, rollte er sich ab und nutzte den Schwung, um sich aufzurichten. Für so athletisch hatte ich ihn nicht gehalten.

Ein flüchtiger Blick zu den anderen Beiden zeigte mir, dass Clarksen in diesem Moment den Greif umringte und der Junge aus Beauxbatons mit dem goldenen Ochsen zugange war. Egal. Ich sah zu Albus. Das Tierwesen warf ihn erneut um und traf ihn zusätzlich am Arm. Blut quoll hervor. Neben mir schnappten Elphias und Owen nach Luft. Ich versteifte mich.

Der Schulsprecher richtete seinen Zauberstab auf die Wunde an seinem Arm. Statt sie zu heilen, zog er das Blut aus dem Riss in der Haut hervor und ließ es durch die Luft sprühen. War er übergeschnappt?

Nein! Er war genial! Der Regen aus tiefrotem Blut sank nieder und an einer Stelle schien es, als schwebte er über dem Boden. Dadurch sah Albus seinen Gegner – zumindest dessen Umrisse – und wich dem nächsten Angriff gezielt aus.

Ein Triumphschrei lenkte unsere Aufmerksamkeit auf den Sektor, den er zuvor hinter sich gelassen hatte und in dem Clarksen zugange war. Sie hatte dem Greif beide Vorderbeine abgetrennt und sich eingesteckt. Jaulend lag dieser am Boden und krümmte sich. Mein Herz zog sich zusammen. Der Anblick war furchtbar.

Albus sah das nicht, verlor dennoch keine Zeit. Er begriff, dass ihm nicht genug blieb, die Ressource des unsichtbaren Tieres einzusammeln. Er reinigte das Biest von seinem Blut, um es Clarksen zu erschweren. Einen Augenblick später rannte diese durch die Feuerwand und unser Champion tauchte im nächsten Dreieck wieder auf. Er sah sich dem Ochsen gegenüber, dessen goldenes Fell glänzte und schimmerte, wenn er sich bewegte.

Im Gegensatz zu dem vorherigen Sektor schien Albus bei diesem Tierwesen keine Schwierigkeiten dabei zu haben, es einzuordnen. Es war ein Re’em, dessen wertvollste Ressource sein Blut und damit die am leichtesten zu beschaffene Zutat von allen war. Und das Tier blutete. Der Beauxbatons-Junge hatte es geschafft, es zu verletzen und keine Zeit dafür verschwendet, die Wunde zu verschließen.

Mit einem simplen Zauber füllte Albus das Blut in eine winzige Phiole ab, die er aus seiner Tasche geholt hatte.

Laut den Spielregeln war sein nächster Schritt der Gang durch das Feuer in den mittleren Sektor. Hin zu der Runespoor. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an, mir war heiß und schwindelig.

Albus durchtrat die Feuerwand. Im selben Moment erschienen die anderen beiden Champions in dem mittigen Dreieck. Jeder der drei Köpfe der Runespoor war einem der Spieler zugewandt. Und in diesem Augenblick setzte das Zischen ein, das mich aus meiner Vision in meine tiefsten Albträume und bis hierher auf die Tribüne verfolgt hatte.

Die Köpfe der Riesenschlange richteten sich auf Albus. Alle drei. Das Zischen verstärkte sich und in Gedanken schrie ich: „Beweg dich, verdammt!“ Kein Ton verließ meine Kehle.

Mit einem raschen Schlenker seines Zauberstabes verstummten alle Geräusche, die aus dem Inneren des Spielfeldes kamen. Die Runespoor würde das Zischen nicht mehr hören, wenn Albus es korrekt angestellt hatte.

Mit dem Verlust der Laute stieg meine Angst. Er war auf sich gestellt – nicht, dass er das nicht die ganze Zeit war, doch durch das Abschneiden der Töne kam es mir endgültiger vor.

Mein Blick fiel auf Clarksen, die dabei war, den rechten Kopf der Riesenschlange anzugreifen. Dieser besaß Giftzähne. Auf die war sie aus – in der Annahme, dass sie die wichtigste Ressource waren, die es zu retten galt. Sie irrte sich.

Unser Champion war schlauer als sie: Er redete scheinbar gelassen auf die Runespoor ein und die drei Köpfe sahen verwirrt zwischen einander hin und her, als wüssten sie nicht, ob sie ihm trauten oder nicht.

Der Kopf, den Clarksen angegriffen hatte, ignorierte ihre Angriffsversuche und zischelte in Albus‘ Richtung – zumindest verriet die Zunge das.

Ohne Vorwarnung streckte der linke Ausläufer der Runespoor sich, erhob sich über den rechten und ... verschlang ihn. Es war wiederwertig mit anzusehen, wie Blut spritzte, das nicht rot war und alle drei Champions sowie den Körper der Riesenschlange befleckte.

Clarksen wich zurück und der Beauxbatons-Junge stolperte bei dem Versuch, sich zurückzuziehen. Albus stürzte sich auf die Runespoor, die geschwächt auf den Boden gesunken war.

Was als Nächstes passierte, begriff ich nicht. Er steuerte auf den Mittleren der Köpfe zu – auf den neuen Rechten der beiden Hinterbliebenen und langte mit seinem Arm in das geöffnete Maul. Sekunden vergingen, er zog seinen Arm zurück und hielt ein Ei in der Hand. Mit diesem fest an seinen Körper gepresst, stolperte er aus dem Spielfeld hinaus, wo er sich erschöpft in das Gras des Quidditch-Feldes sinken ließ. Das Spiel war beendet. Albus hatte gewonnen.

Chapter 15: Versöhnung

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Jubel brach in der Menge aus. Ich sah neben mich, wo Elphias und Owen sich umarmten. In mir regte sich nicht das Bedürfnis, in den allgemeinen Enthusiasmus miteinzufallen. Die Anspannung in mir war noch nicht von mir abgefallen.

Ich atmete durch. Albus hatte gewonnen. Er hatte die Runespoor ausgetrickst und war in Sicherheit – bis zur nächsten Aufgabe zumindest.

Der Stein, der auf meinem Herzen gelegen hatte, senkte sich langsam von meiner Brust und ich atmete tief durch. Das war befreiend – als wäre ich nach einem tagelangen Tauchgang an die Wasseroberfläche gekommen.

Eine Gruppe von einem Dutzend Zauberer hatte sich aus der Menge gelöst und war dabei, die Tierwesen wieder einzufangen und wegzubringen. Diese Zeit nutzten die Kampfrichter unter uns, um die Köpfe zusammenzustecken: Die Punktevergabe stand aus.

Clarksen und der Schüler aus Beauxbatons hatten sich mittlerweile aus ihrer Starre gelöst. Mit vor Erschöpfung hängenden Schultern gesellten sie sich zu Albus – oder zumindest in dessen Nähe.

Der Junge hielt unserem Schulsprecher die Hand hin und schüttelte sie, begleitet von einem anerkennenden Nicken. Clarksen blieb ein paar Meter entfernt stehen und sah feindselig zu ihnen herüber. Seit ich sie kannte, hatte ich sie als erbärmliche Verliererin erlebt. Daran hatte sich nichts geändert.

Minuten vergingen, wobei das Jubeln kaum abebbte. Erst, da sich Rookwood erhob, zu der Menge drehte und seinen Zauberstab an seinen Hals hielt, um seine Stimme zu erheben, legten sich die meisten Jubelrufe.

„Ich hoffe, ihr hattet so viel Spaß wie ich – wie wir!“, rief er und warf aufgeregte Blicke nach links und rechts. „Nun, da alle Champions lebend aus der ersten Aufgabe hervorgegangen sind“, er lachte schrill, „steht die Punktevergabe aus! Professor Levski, wenn Sie bitte den Anfang machen würden.“

„Zehn Punkte für Vivien Clarksen“, sprach mein früherer Lehrer mit kühler Stimme.

„Der ist ja überhaupt nicht parteiisch“, maulte Owen neben mir. „Wer, der bei klarem Verstand ist, könnte ihr mehr als acht Punkte geben?!“

„Dafür werden die anderen ihr weniger geben“, gab Elphias zu bedenken.

„Ach ja? Also selbst bei Black bin ich mir da nicht so sicher. Der hat die Hälfte der Zeit in den Himmel gestarrt und innerlich wahrscheinlich die Galleonen gezählt, die der Durmstrang-Trottel ihm zugesteckt hat!“ Darauf fiel Elphias nichts zu erwidern ein. Er schwieg.

„An ...“, setzte Levski an und unterbrach sich, um auf seinen Zettel zu schauen. „An Maël Auclair“, las er ab, „vergebe ich sechs Punkte. Und an ...“ Er sah erneut auf seine Notiz. „Albus Dumbledore ...?“ Nach Bestätigung suchend sah er zu Black, der ihn ignorierte. Levski zuckte die Schultern. „Sieben.“

„Sieben?!“, rief ich aufgebracht und sah meinen ehemaligen Professor unter uns entrüstet an. „Haben Sie eine andere Version der Aufgabe gesehen oder sind Sie blind?!“ Ich verkniff es mir, auf seinen Kopf zu spucken.

Elphias legte mir eine Hand auf den Arm. „Beruhige dich, Gellert.“ Ich hatte Mühe, ihn zu hören, da alles in dem Tumult der Hogwarts-Schüler unterging.

„Beruhigen?“, mischte Owen sich ein. „Er hat doch recht! Der Kerl ist ein mieser –“

„Ruhe!“, schallte die Stimme von Rookwood durch das Quidditch-Stadion. Schade, ich hätte die Beleidigung für Levski zu gern gehört.

Im selben Moment erhob sich der Lehrer aus Beauxbatons und fing an, zu sprechen: „Meinem Schüler Maël erteile ich acht Punkte. An Vivien Clarksen sieben und an Albus Dumbledore zehn.“ Er setzte sich wieder.

„Immerhin einer, der fair bewertet!“, rief Owen nach unten.

Elphias boxte ihm in die Seite. „Sei still.“

Black war im gleichen Maße unmotiviert wie sein erster Kollege und ratterte – ohne aufzustehen – monoton herunter: „Hogwarts acht, Durmstrang neun, Beauxbatons sechs.“ Die Becher, Papierkugeln und andere Objekte, die geflogen kamen, prallten an einer unsichtbaren Barriere vor der Reihe der Jury ab. Ich fasste den Entschluss, Black beim nächsten Abendessen einen Fluch auf den Hals zu hetzen.

Rookwood und Bones waren sich in der Punktevergabe einig. Beide vergaben zehn an Albus, acht an Auclair und sieben an Clarksen.

„Damit steht Albus Dumbledore aus Hogwarts mit 45 Punkten auf dem vorläufigen Platz 1! Darauf folgen Vivien Clarksen aus Durmstrang mit 40 und Maël Auclair aus Beauxbatons mit 36 Punkten!“, verkündete Rookwood feierlich und mit erhobenen Armen.

„Die zweite Aufgabe“, fuhr er fort, „findet am 25. Februar statt! Jeder der Champions nimmt aus dem heutigen Wettstreit etwas mit – es sei ihnen allen geraten, daraus etwas zu machen, wenn sie in der zweiten Aufgabe nicht mit leeren Händen dastehen wollen.“ Er ließ seine Arme sinken. Daraufhin löste sich die Menge allmählich auf.

Um mich herum erhob sich jeder. Ich rührte mich nicht, war wie betäubt, da tippte mich jemand von der Seite an und ich zuckte zusammen. Ich sah auf und begegnete Elphias‘ Blick. „Komm, lass uns zu ihm gehen!“, rief er und zog mich auf die Beine.

Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er mich mit sich die Treppen hinunter auf das Quidditch-Feld. Wir steuerten auf die drei Champions zu – auf einem im Speziellen. Anspannung breitete sich in mir aus.

Elphias ließ meinen Arm los und fiel Albus um den Hals. Zehn Sekunden lang hielt er ihn fest. Owen stand vor mir und es kam mir gelegen, dass ich die Möglichkeit hatte, mich im Hintergrund zu halten. Ich gehörte nicht zu ihnen.

Mehr Schüler – hauptsächlich aus Gryffindor – versammelten sich um Albus; klopften ihm auf die Schulter oder riefen ihm zu. Ich hatte hier nichts verloren und war kurz davor, mich zu verdrücken. Elphias hielt mich fest – er hatte mein Vorhaben bemerkt.

Ich versuchte, mich loszumachen. „Ey, was soll das?“

„Du willst ihm doch persönlich gratulieren!“

„Will ich nicht. Und schon gar nicht will ich dabei zusehen, wie seine hundert Verehrer sich um ihn scharen wie Motten um Licht. Ich habe Besseres zu tun.“

„Du hast recht“, gab Elphias zu meiner Überraschung zu. „Hey Leute! Party im Gemeinschaftsraum in zehn Minuten!“, verkündete er. Erneute Jubelrufe. In Grüppchen fanden sich die Gryffindor-Schüler zusammen und verließen das Feld. Dutzende Schulterklopfer und Bewunderungsbekundungen später, waren Elphias, Owen und ein weiterer, mir unbekannter Junge übrig. Er klopfte Albus auf die Schulter. „Bis gleich!“ Er verschwand Richtung Schloss.

„Bis gleich“, rief er ihm nach. Und sein Blick fiel auf mich.

Er lächelte. Und bevor ich begriff, wie mir geschah, kam er auf mich zu und zog mich in eine Umarmung. Seine Haare streiften meine Wange. Perplex stand ich da. Er ließ mich nicht los.

„Danke, Gellert“, flüsterte er in mein Ohr.

Der Rest der Anspannung der letzten Wochen fiel von mir ab und ich atmete tief durch. War das Lavendel ...?

Er löste sich wieder von mir und hielt mich auf Armeslänge von sich weg, lächelte. „Ich muss jetzt auf die Party im Gemeinschaftsraum“, gab er zu. Begeisterung sah anders aus.

„Viel Spaß“, erwiderte ich automatisch.

„Wir sollten reden, findest du nicht?“ Abwartend sah er mich an.

„Vermutlich“, gab ich zurück. „Ich schätze nur nicht, dass ich zu eurer Party eingeladen bin.“

„Wenn es nach mir ginge, wärst du es.“

Mir lag auf der Zunge, dass er der Champion war – wenn er nicht beschloss, wer zu seiner Siegesfeier kam, wer sonst?

Er lächelte und ich schluckte meinen bissigen Kommentar hinunter.

„Um Mitternacht in der Eingangshalle?“, fragte er – wieder flüsternd – als hätten wir ein Geheimnis. Und der Gedanke gefiel mir.

Ich lächelte. „Ist da nicht Nachtruhe?“, hakte ich mit gespielter Empörung nach.

„Na und?“ Albus grinste. „Bis dann.“

Er hob seine Hand und ließ sich von Elphias und Owen mitziehen. Ich blieb stehen und sah ihnen hinterher. Der Duft von Lavendel hing mir in der Nase.

 

Eine Viertelstunde vor Mitternacht versteckte ich mich im Schatten der Treppe in der Eingangshalle. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Seit wann war ich derart aufgeregt bei einem Regelverstoß? In Durmstrang hatte ich täglich gegen irgendwelche Regeln verstoßen – und da hatte es beträchtlich härtere Strafen dafür gegeben als hier. Woher kam die Aufregung?

Ich hörte gedämpfte Schritte auf der Treppe und sah Albus sich mir nähern. Ich löste mich aus meiner Deckung und kam ihm entgegen.

„Hey“, grüßte er mich.

„Auch hey“, erwiderte ich mit einem Lächeln.

Einen Moment sagte keiner von uns ein Wort.

„Wie hast du dir das vorgestellt?“, fragte ich nach kurzer Stille. „Setzten wir uns hier auf die Treppe und warten, bis Peeves uns erwischt?“

Albus lachte. „Wenn du auf Ärger aus bist? Nein. Ich dachte, wir gehen draußen spazieren. Im Mondlicht ...“

„Ah, ein romantischer Spaziergang.“ Ich grinste. „Hast du auch noch ein Picknick-Körbchen dabei?“, stichelte ich.

„Gut, dass du fragst.“ Albus holte mit einem schiefen Lächeln eine Tasche hinter seinem Rücken hervor. „Hier ist alles drin, was das Herz begehrt.“

Ich unterdrückte ein Lachen. „Nicht dein Ernst!“

„Mein voller Ernst. Na komm, lass uns gehen.“

Er setzte sich in Bewegung und ich folgte. Stillschweigend verließen wir das Schloss und wanderten die Treppen hinab bis zum alten Bootshaus.

Ich blieb stehen und sah Albus dabei zu, wie er sich auf dem Steg niederließ. Mir widerstrebte es, mich dem Wasser zu nähern.

Albus packte das Essen aus der Tasche und stellte ein Glas, in der eine orange Flamme loderte, dazu. „Na komm her.“ Er winkte mich zu sich. Ich atmete durch. Hier am Ufer war es garantiert nicht tief. Ich setzte mich zu ihm.

„Also“, fing er an. „Woher wusstest du das mit der Runespoor?“ Er sah mich an.

Ich griff nach einer Kürbispastete und brach ein Stück ab, um es mir in den Mund zu schieben. Ich ließ mir Zeit mit dem Essen und mit meiner Antwort.

„Ich bevorzuge, darüber nicht zu sprechen“, erklärte ich behutsam, nachdem ich ein paar Stücke gegessen hatte.

„Warum nicht?“, fragte er. In seiner Stimme lag Vorsicht. Er war darauf bedacht, nichts Falsches zu sagen.

„Ich fühle mich wohler damit.“

Albus nickte. „Wieso bist du nicht einfach persönlich gekommen?“ Er besah mich mit einem Blick, der mir zeigte, dass er zumindest eine Ahnung hatte.

„Nicht jeder hier ist dein Freund oder Verehrer“, antwortete ich kurz angebunden.

„Und du denkst ...“

„Ja“, unterbrach ich ihn. „Und ich kann nicht mehr ruhig schlafen. Selbst jetzt fühle ich mich beobachtet.“

Albus legte wie nebenbei seine Hand auf meinen Arm. „Ich kann dich beruhigen. Ich habe ein Taschenspickoskop dabei. Ich habe es leicht abgewandelt, es sollte jetzt zuverlässiger sein.“

Ich war erstaunt von seiner Umsicht. „Gut“, erwiderte ich nüchtern.

„Gellert“, setzte Albus an und holte tief Luft. „Es tut mir leid, dass der Kelch mich gewählt hat, ehrlich. Glaube mir, ich hätte gern darauf verzichtet.“

„Ich glaube dir“, antwortete ich ohne Zögern.

Eine Weile schwiegen wir. Ich knabberte weiter an der Kürbispastete. Minuten vergingen und Albus ergriff wieder das Wort. „Jetzt wäre der Zeitpunkt, an dem du dich entschuldigen könntest.“ Es klang nicht wie ein Vorwurf, mehr wie ein Vorschlag, eine Idee.

„Darin bin ich nicht so gut“, murmelte ich und betrachtete das Wasser, das im Mondlicht schimmerte.

„Ich bin gern dein Übungspartner.“ Ich sah auf. In seinen Augen lag kein Spott oder Witz – er meinte es ernst.

Ich holte tief Luft. „Es tut mir leid. Alles. Dass ich dich beleidigt habe – das war nie gegen dich gerichtet. Und dass ich dich nicht unterstützt habe als du es am meisten gebraucht hättest. Ich war ein Idiot.“ Die Worte sprudelten aus mir heraus und ich biss mir auf die Zunge.

Albus lächelte. „So schlecht bist du doch gar nicht“, scherzte er mit einem Lächeln.

„Ich kann dir auch gar nicht mehr böse sein. Immerhin erspart mir deine Teilnahme einen dämlichen Tanz auf dem Weihnachtsball.“

Er zögerte kurz, bevor er fragte: „Stimmt es, was Marvolo gesagt –“

Alarmiert sah ich auf und umher. Den Namen auszusprechen, hier, in der Dunkelheit sitzend, kam mir gefährlich vor. Als würde es den Teufel wecken. Albus musterte mich und zog seine Schlüsse.

„Entschuldige“, flüsterte er. „Was ich fragen wollte ... Stimmt es, was er gesagt hat? Dass du mit Metis zum Weihnachtsball gehst?“

Ich merkte, wie meine Augenbrauen sich zusammenzogen. „Wie kommst du jetzt darauf? Nein, das war gelogen. Ich gehe gar nicht hin.“

Albus sah mich verwirrt an. „Wieso das nicht?“

„Ich brauche keinen Grund dagegen, wenn ich keinen dafür habe, oder?“

Er senkte den Blick. „Da hast du recht.“ Ich merkte, dass er irgendetwas zurückhielt.

„Schade“, sagte er nach einer Weile.

„Ich finde das einfach viel zu kitschig, solche Veranstaltungen“, verteidigte ich mich. „Und die ganzen Dramen um Mädchen. Und Jungs ... Nein, danke.“

„Manchmal lohnen Dramen sich, wenn danach alles gut wird. Findest du nicht?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wir verstehen uns jetzt besser als vor unserem Streit. Weil Konflikte zusammenschweißen.“

„Also soll ich mich öfter mit dir streiten?“, erwiderte ich mit gehobener Augenbraue und einem Lächeln auf den Lippen.

Albus erwiderte es. „Wenn ich nicht fast sterben muss, damit wir uns vertragen – klar, warum nicht?“

Wieder schwiegen wir. Der Mond wanderte allmählich über den Himmel. Die Flamme zwischen uns hielt den eisigen Wind ab. Es war in Ordnung, dass wir nicht sprachen. Es war eine wohlige Stille, begleitet von den Wellen, die stetig gegen das Ufer und den Steg schlugen.

„Wir sollten reingehen“, unterbrach Albus nach einer Weile die Stille. Der Haufen an Essen zwischen uns war beträchtlich geschrumpft, der Mond sank hinter die Berggipfel.

„Vermutlich sollten wir das, ja“, stimmte ich zu und erhob mich. Er folgte meinem Beispiel.

Schweigend packten wir zusammen und stiegen die Treppe nach oben. An der Eichentür der Eingangshalle angelangt, blieben wir – wie auf ein unausgesprochenes Kommando hin – stehen.

„Mittwoch 9 Uhr?“, flüsterte Albus in die Stille hinein.

„Ich werde da sein.“

Und so trennten wir uns. Albus stieg die Treppe hinauf und ich tauchte in den düsterten Gang ein, um die Stufen hinab zu steigen – in Richtung des Slytherin-Gemeinschaftsraumes. Unter den See.

Chapter 16: Verhandeln

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Die Zeit verhielt sich seltsam zuletzt.

In manchen Momenten schien sie stillzustehen und mich gefangenzuhalten. Saß ich im Unterricht für Zaubertränke und verkalkulierte mich bei der Dosierung der Blutegelessenz, kam es mir vor, als hätte die Zeit dieselbe Konsistenz angenommen: zäh und ölig, kaum greifbar.

In anderen Momenten vergaß ich, dass solch eine Sache wie die Zeit existierte. Wenn ich Albus auf dem Gang begegnete – und ich hatte den Eindruck, das passierte in diesen Tagen öfter – tauschten wir still einen Blick aus, ein Lächeln, und es war so rasch vorüber, wie es gekommen war.

Minutenspäter fand ich mich in einem Klassenzimmer oder einem Korridor wieder, ohne eine Erinnerung daran, wie es mich dorthin verschlagen hatte. Mein Geist schien meinen Körper verlassen zu haben und im Gang stehen zu bleiben, wo er Albus einen Moment lang näher war.

Und wenn ich wieder zu mir fand, mir meiner Selbst bewusst, fragte ich mich, wohin der Gellert, den ich kannte, verschwunden war.

Albus übte eine gewaltige Anziehungskraft auf mich aus und ich vermochte nicht, zu sagen, worin diese bestand. Spätestens seit unserem gemeinsamen Picknick unten am See zerbrach ich mir darüber den Kopf. War ich dabei, mich in ihn zu verlieben? Nein, das klang abwegig, wenn ich es in diese Worte packte. Bisher hatten solche Gefühle in mir nie eine Rolle gespielt. Doch woher kam sonst diese Leichtigkeit?

Die Strafarbeit bei Professor Sharp gab mir genügend Zeit, darüber nachzudenken: Seit dem Ende unserer Unterrichtsstunde um kurz nach 15 Uhr schruppte ich die Mauerfliesen im Unterrichtsraum für Zaubertränke. Meine falsch dosierte Blutegelessenz hatte zu einer Explosion geführt, die den ganzen Raum in ein Chaos gestürzt hatte. Und Sharp, der sonst ausschließlich lobende Worte für mich übrig hatte, hatte mich wegen meines Ungeschicks angeschrien.

Nerviger als das Putzen ohne Einsatz von Magie war, dass mir durch diese Strafe die Gelegenheit entging, Albus nach dem Abendessen in der Großen Halle abzupassen. Meine Mahlzeit bestand derweil aus einigen Sandwiches, die unser Lehrer mir gnädigerweise auf sein Pult gestellt hatte. „Ich bin schließlich kein Unmensch“, hatte er gesagt.

Am Abend darauf gelang es mir wieder nicht, mit Albus zu sprechen: Er war von seinen Mitschülern derart belagert, dass ich nicht unauffällig an ihn herankam.

Und am nächsten Morgen – ich war vom Tisch aufgestanden, um mich zur Bibliothek zu begeben, zu unserem Treffen – hielt mich das Eintreffen der Posteulen auf. Das Glück schien nicht auf meiner Seite zu sein.

Ich war an der Flügeltür angekommen, da rief jemand „Grindelwald!“ und ich wandte mich um. Crawford, einer der Slytherin-Vertrauensschüler, wedelte mit einem Brief in der Luft und winkte mich mit seiner anderen Hand zu sich.

Widerwillig und mit einem genervten Blick auf die Uhr kehrte ich zum Tisch zurück. Keine einzige Eule hatte mir seit Beginn des Schuljahres irgendetwas vorbeigebracht. Ich erhielt nie Post. Von wem auch?

„Für dich.“ Crawford drückte mir einen dicken Brief in die Hand.

„Danke“, sagte ich kurz angebunden, hatte mich gleich wieder umgewandt und war aus der Großen Halle verschwunden. Bis 9 Uhr blieben mir 15 Minuten Zeit. Und ich hatte mir vorgenommen, überpünktlich zu sein.

Auf dem Weg steckte ich den Brief in meine Tasche – zwischen meine Bücher  – und verschob das Öffnen auf später. Mein einziger und sporadischer Briefkontakt war meine Großtante Bathilda. Ich vermutete, dass sie mir irgendwelche Bilder oder Zeitungsartikel schickte, und ich hatte im Moment Besseres vor. Albus wartete auf mich.

Ich eilte zur Bibliothek und dort angekommen die Treppe nach oben in das obere Stockwerk. Da war es wieder, dieses Gefühl: Ich schien zu fliegen, so federleicht war ich. Mein Herz schlug mir dennoch bis zum Hals. War die Eile schuld daran oder war es mein bevorstehendes Treffen mit Albus? Ich atmete kurz durch, bevor ich mich zu unserer Sitzecke begab.

Er wartete schon auf mich, packte ein paar Bücher aus seiner Tasche auf den Tisch und sah mir dabei lächelnd entgegen. „Hallo Gellert“, begrüßte er mich.

„Hi!“ Ich erwiderte sein Lächeln, ließ mich ihm gegenüber auf dem Sessel nieder und seufzte. „Das hat mir gefehlt“, platzte es aus mir heraus, bevor ich darüber nachdachte.

Ich rechnete halb damit, dass Albus darauf mit irgendeiner witzigen Bemerkung reagieren würde, aber das passierte nicht. „Mir auch“, antwortete er stattdessen und es klang ehrlich.

Einen Moment schwiegen wir.

„Ich habe gehört, du hast den Zaubertränke-Klassenraum ... verunstaltet?“, fragte Albus mit einem amüsierten Grinsen.

Gespielt genervt verdrehte ich die Augen. „16 Jahre lang bin ich der beste Trankbrauer in Europa und dann verkalkuliere ich mich EINMAL mit der Blutegelessenz um eine halbe Spatelspitze und jeder spricht nur noch davon?“

Albus lachte. „Der beste Trankbrauer in Europa? Da hat jemand zu tief in die Phiole für Optimismus-Trank geschaut, hm?“ Er zwinkerte und widerwillig stimmte ich in sein Lachen mit ein.

„Wenn mein Ego schon einen eigenen Tisch hat“, ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu, „dann muss ich ihm auch alle Ehre machen, oder nicht?“

„Touché“, gab mein Gegenüber zu. „Aber seit wann misst man Blutegelessenz in Spatelspitzen?“

„Tut man nicht. Deswegen ist der Kessel ja explodiert.“

Wieder lachte Albus. „Ich wusste nicht, dass du so tollpatschig sein kannst.“

„Ich war abgelenkt, okay? Ist dir das noch nie passiert?“ Gespielt vorwurfsvoll sah ich ihn an.

„Abgelenkt, so so. Wovon denn?“ Er grinste und sah mir direkt in die Augen. Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Ich befürchtete, dass er mir die Antwort auf seine Frage vom Gesicht ablas – dass der Gedanke an ihn höchstpersönlich mich von meiner Aufgabe abgebracht hatte.

„Von einer deiner Gryffindor-Kolleginnen, die mich ernsthaft gefragt hat, ob ich mit ihr zum Weihnachtsball gehen möchte.“ Komplett gelogen war das nicht: Ein paar Minuten vor der Kesselexplosion hatte mich die Schülerin, die seit Wochen in Zaubertränke neben mir saß, gebeten, sie zum Ball zu begleiten – was ich, ohne zu zögern, verneint hatte.

„Und?“, fragte Albus nach. Irrte ich mich oder schwang da Anspannung in seiner Stimme mit?

„Ich habe ihr dasselbe gesagt wie allen anderen bisher: dass ich nicht gehe.“

„Allen anderen?“, hakte Albus nach. „Wie viele haben dich denn gefragt?“

„Für meinen Geschmack zu viele. Und ich fürchte es werden nicht die letzten gewesen sein. Ich bin anscheinend unwiderstehlich.“

„Das fürchte ich auch.“

„Dass es nicht die letzten waren oder dass ich unwiderstehlich bin?“

„Beides?“ Er grinste.

„Wie kommt es dann, dass du mich noch nicht gefragt hast?“, erkundigte ich mich und erwartete einen weiteren Scherz.

Albus zog verwundert die Augenbrauen nach oben, sein Lächeln verblasste dabei. „Weil du gesagt hast, du gehst nicht.“ Er klang todernst.

Ich blinzelte. Hatte er ernsthaft in Betracht gezogen, mit mir zusammen beim Weihnachtsball aufzutauchen? War das nicht so eine Sache, die für Paare typisch war?

Was antwortete ich darauf? Ich war mir nicht sicher, wie ich dazu stand. Ich hatte kein Interesse an dem Ball. Aber ein Abend gemeinsam mit Albus, wäre das nicht witzig und unterhaltsam?

„Ist schon in Ordnung, wenn das nicht so deins ist“, lenkte erein.

„Ja?“

„Ja, wirklich. Es liegt ja nicht an mir.“

„Auf keinen Fall.“ Ich zwinkerte ihm zu. „Du wärst noch der beste Grund, mich umzuentscheiden.“ Was redete ich da? Ich erkannte mich kaum wieder. Einerseits genoss ich diese neue Seite an mir, sie war lebendig. Andererseits misstraute ich ihr. Ich war nicht so, nie.

Albus lächelte. Wärme breitete sich in mir aus. „Ist es aussichtsreich, versuchen zu wollen, dich umzustimmen?“, fragte er. „Was den Ball angeht, meine ich.“

Er schien sich das ehrlich zu wünschen – mit mir hinzugehen. Ich erwiderte sein Lächeln zögerlich. Hitze stieg mir in die Wangen. „Da müsstest du dir aber sehr viel Mühe geben.“

Vor meinem inneren Auge erschien ein Bild von mir und Albus wie wir inmitten all der Schüler in einer winterlich geschmückten Großen Halle tanzten. Was mich verunsicherte, war, dass mich dieser Gedanke nicht komplett abschreckte. Im Gegenteil: Die Vorstellung gefiel mir.

„Ich überlege es mir, in Ordnung?“, erwiderte ich, um mir Zeit zu verschaffen.

„Damit gebe ich mich vorerst zufrieden“, antwortete er im gelassenen Ton. In seinen Augen erkannte ich eine Mischung aus Vorfreude und Triumph.

Ich nutzte die Stille, um meine Bücher aus der Tasche zu holen. Dabei fiel der Brief, der zwischen zweien gesteckt hatte, auf den Boden. Eilig hob ich ihn auf und steckte ihn wieder ein.

Albus war das nicht entgangen. „Von wem ist der denn?“, fragte er wie nebenbei. Die Neugier in seinem Ton war nicht zu überhören.

„Ich habe keinen Schimmer“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich bekomme eigentlich nie Post, weißt du?“

Albus zögerte einen Augenblick, bevor er mir die Frage stellte, die ich befürchtet hatte. „Schreibt dir deine Familie nicht ab und zu?“

„Nein“, gab ich kühl zurück. „Familie kann man sich nicht aussuchen.“

„Das weiß ich“, erwiderte Albus tonlos. „Entschuldige.“

Ich seufzte und kämpfte gegen das Verlangen an, meine Wut über meine Familiensituation an ihm auszulassen. „Du ... kannst es ja nicht wissen“, entgegnete ich.

„Nur ...“, setzte Albus an. „Wenn dir sonst nie jemand schreibt und der Brief so dick und schwer ist ... könnte es dann nicht wichtig sein?“

„Wird schon keiner gestorben sein“, gab ich gelassen zurück. Im selben Moment erkannte ich, dass das die wahrscheinlichste aller Möglichkeiten war.

Das Gewicht, das sich auf mich legte, war nicht durch die Befürchtung von Trauer um einen geliebten Menschen begründet, denn so jemanden gab es für mich nicht mehr. Die Last bestand aus Furcht davor, was solch ein Ereignis unweigerlich mit sich brachte: Eine Rückkehr nach Hause. Ein Aufeinandertreffen mit der Person, die ich mir geschworen hatte, nie in meinem Leben je wiederzusehen. Es sei denn ...

„Gellert ...?“, sprach Albus behutsam und beugte sich ein Stück vor, um mir in die Augen zu schauen.

„Hm?“

„Wollen ... wir den Brief vielleicht zusammen öffnen? Dann ... bist du damit nicht allein. Womit auch immer.“

„Ich war schon immer damit allein. Damit werde ich fertig“, gab ich zurück. „Keine Sorge.“

„Weil du musstest. Aber jetzt musst du das nicht mehr. Also ... wenn du willst natürlich nur.“

Kommentarlos zog ich den Brief wieder aus meiner Tasche und riss ihn auf, um es rasch hinter mich zu bringen. Drei Lagen gefalteten Pergaments fielen heraus. Ich fing mit dem an, welches zuoberst lag und las.

Am Ende angekommen ließ ich meine Hände sinken und starrte vor mich hin – nicht fähig, die volle Bedeutung davon zu begreifen, was alles auf mich zukommen würde. Es war zu viel. Ich war nicht bereit dafür.

Albus sah mich besorgt an. „Möchtest du darüber reden?“

Wie betäubt faltete ich jedes Stück Pergament wieder sorgfältig zusammen und steckte es zurück in den aufgerissenen Briefumschlag. Ich ließ mich tiefer in den Sessel sinken und schloss die Augen.

„Das mit dem Weihnachtsball ... das wird nichts.“ Und obwohl ich erst heute ernsthaft angefangen hatte, darüber nachzudenken; hinzugehen – mit Albus – fühlte ich mich um diese Möglichkeit beraubt.

Auf den fragenden Blick, den er mir zuwarf, antwortete ich: „Ich muss nach Hause.“

Chapter 17: Hogsmeade

Chapter Text

Seine Augen weiteten sich. „Sofort?“

„Nein, nicht jetzt. So dringend ist es nicht.“

Albus musterte mich. Sein Blick sprach Bände.

Ich seufzte. „Na ja, schon. Es ist nicht so, dass ich ... zu spät kommen könnte, verstehst du?“

Zum Glück schaute er mich weder bestürzt noch mitleidig an wie einen verletzten Knuddelmuff. Stattdessen nickte er. In seinem Gesicht las ich zwar ab, dass er Unmengen an Fragen hatte, sie aber alle herunterzuschlucken schien. Ich war ihm dankbar dafür.

„Ich muss also so bald wie möglich nach Hause“, fügte ich an. Albus nickte. Schweigen breitete sich zwischen uns aus.

„Soll ich da bleiben?“, fragte er behutsam. „Oder dich lieber in Ruhe lassen?“

„Wenn du gehen willst, dann geh“, erwiderte ich kühl. „Interessiert mich nicht.“ Das war gelogen.

„Dann bleibe ich“, antwortete er und meine Wut verpuffte schlagartig. Wieder schloss ich die Augen. Wieso war er so? Ich hätte ihn gern gleichzeitig umarmt und von mir weggestoßen. Der Zwiespalt war unerträglich. Erneutes Schweigen trat ein und umfing uns.

„Tut mir leid“, sagte ich nach einer Weile.

„Was tut dir leid?“

„Dass das nichts wird mit dem Ball“, murmelte ich.

„Wenn du möchtest, überlegen wir uns etwas anderes, das wir zusammen machen können“, bot Albus an. Abwartend sah er mir in die Augen.

„Also bei einem kitschigen Date in einem rosa Plüsch-Café bin ich raus.“

„Schade. Nein, im Ernst.“ Er lächelte zögerlich. „In einer Woche ist Hogsmeade-Wochenende. Wir könnten zusammen gehen. Ich könnte dir das Dorf zeigen ...“

„Ist das nicht auch so ein Freundschafts- und Pärchen-Ding?“

„Wir können ja ein Freundschaft-Wenn-Gellert-Nicht-So-Stur-Wäre-Ding daraus machen, wenn du dich damit wohler fühlst.“

Widerwillig zuckten meine Mundwinkel. „Das klingt eher nach meinem Geschmack. Solange uns keiner zusammen sieht. Ich hab keine Nerven für die Gerüchte-Küche.“

Albus zog einen Schmollmund. „Die Gerüchte würden dann mehr mir gelten als dir, denkst du nicht? Und ich halte das aus.“

„Meinst du, weil du der nette Schulsprecher von nebenan bist und ich nur der miesepetrige Kerl aus Durmstrang, den keiner mag?“

„Das hast du jetzt gesagt“, lachte er. „Deine Worte.“

„Ich überleg’s mir, ja?“, gab ich zurück.

Albus nickte betont gelassen. In seinen Augen erkannte ich aufflackernde Vorfreude.

Er wurde wieder ernst. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ Seine Stimme war sanft. Beinahe hüllte der Klang mich ein, wie in eine weiche Decke, die mich vom Rest der Welt abschirmte. Abgeschirmt zu sein, das wünschte ich mir in diesem Moment am meisten.

Ich schüttelte den Kopf. Erneut ließ ich mich tiefer in den Sessel sinken. Meine Glieder waren tonnenschwer.

Ich spürte eine sanfte Berührung an meinem Kopf. Etwas ... oder jemand strich mir übers Haar. Ich schlug die Augen auf und sah in die von Albus. Blau. Er war mir so nah.

Verwirrt blinzelte ich. Er ließ seine Hand sinken, errötete kaum merklich und das sah süß aus. „Verzeih mir. Ich wollte dich nur schonend wecken und dich nicht erschrecken“, erklärte er mit belegter Stimme.

„Das hat ja ganz gut geklappt“, entgegnete ich lächelnd und setzte mich in dem Sessel auf.

Albus richtete sich auf. „Ich muss jetzt los zum Unterricht. Du sicher auch, nicht?“

Ich zuckte die Schultern. „Ich glaube, ich organisiere erst einmal meine Heimfahrt. Ich will das geregelt haben. Und dann ... vielleicht lege ich mich einfach schlafen. Für die nächsten Wochen.“

 

Ich schlug die Augen auf. Ich war wach, leider. Am liebsten hätte ich weitergeschlafen. Ich wollte nicht wach sein. Wach sein bedeutete, mir meiner selbst bewusst zu sein, und das ertrug ich diese Tage nur schwer.

Es war Samstag, erinnerte ich mich. Ich setzte mich aufrecht hin in meinem Bett, rieb mir über die Augen und sah mich im Schlafsaal um: Ich war allein. Ich musste ewig geschlafen haben.

Unbeholfen stand ich auf, suchte meine Sachen zusammen und zog mich an. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es dreiviertel 11 war. Vor einer Viertelstunde war ich mit Albus verabredet gewesen, verdammt!

Nach einem kurzen Abstecher ins Bad hechtete ich die Stufen hinauf bis in die Eingangshalle. Das Frühstück fiel aus.

Am Fuß der Treppe sah Albus mir entgegen. Wider Erwarten schien er nicht verärgert.

„Verschlafen“, murmelte ich. Meine Lippen fühlten sich noch taub an.

„Hab ich mir schon gedacht. Wollen wir?“

Ich nickte als Antwort und folgte Albus nach draußen.

Eisiger Wind schlug uns entgegen und ich zog meinen Schal enger um meinen Hals.

„Wie geht es dir?“, fragte Albus und sah mich im Gehen von der Seite an.

Ich zuckte mit den Schultern. „Passt schon.“ Daraufhin schwieg er.

„Wohin gehen wir eigentlich genau?“, erkundigte ich mich müde.

„Gut, dass du fragst“, erwiderte Albus munter. „Ich gebe dir eine ausführliche Sightseeing-Tour, wirst sehen.“

Meine Vorbehalte behielt ich für mich. Er meinte es gut.

Mein Wohlwollen zerstörte er mit seiner nächsten Frage: „Und? Hast du inzwischen alles organisiert? Du weißt schon. Für –“

„Wieso um Merlins Willen fängst du jetzt damit an, Albus?“, fragte ich ihn in einer Mischung aus Verzweiflung und Vorwurf.

Abwehrend hob er die Hände. „Um ehrlich zu sein ... Ich wollte nachfragen, ob du ... allein gehen willst.“

Am Donnerstag hatte ich es endlich geschafft, mit Professor Weasley zu sprechen. Meine erste Anlaufstelle war Professor Sharp als mein Hauslehrer gewesen, der hatte mich aber sofort zu Weasley verwiesen, die als Stellvertretende Schulleiterin für Sachen wie Transport zuständig war. Glücklicherweise hatte sie nur die wirklich nötigen Fragen gestellt und mir zugesagt, für den letzten Schultag eine Reise durch das Flohnetzwerk zu organisieren. Um den Transport nach Hause per Portschlüssel hatte ich mich allerdings eigenständig zu kümmern.

Nach Hause. Von London gab es einen direkten Portschlüssel nach Wien, zum Hauptsitz des Österreichischen Zaubereiministeriums. Und von dort aus würde ich ...

„Gellert?“, fragte Albus in meine Gedanken hinein.

„Es bleibt kaum einer mehr übrig, der mich begleiten oder abholen könnte“, erklärte ich ihm. „Natürlich gehe ich allein.“

„Das habe ich auch nicht gemeint. Ich dachte ...“ Er verstummte.

„Glaub mir, Albus, das willst du nicht. Meine Familie – oder das, was davon noch übrig ist – ist ein verkorkster Haufen aus Drama und Skandal.“

„Kenne ich“, gab er ungerührt zurück.

Ich schnaubte verächtlich.

„Entschuldige. Ich weiß natürlich nicht, was bei dir los ist, aber –“

„Eben. Du weißt es nicht. Also tu nicht so, als wäre es so und lass es gut sein, verstanden?“ Ich war lauter geworden, als ich beabsichtigt hatte und erkannte in Albus‘ Augen eine Spur von Verletztheit. „Ich hab es gut gemeint. Falls du es dir anders überlegst ... ich bin da.“

Ich wäre ihm gern sauer gewesen. Die vertraute Wut, die sonst in mir aufstieg, wenn mich jemand so bedrängte wie Albus jetzt, blieb aber aus. Ich spürte wirklich, dass er es gut meinte. „Du musst doch zum Weihnachtsball. Als Champion musst du doch den ersten Tanz geben und so.“

„Also das lässt sich regeln. Ich gebe Aberforth einfach eine Phiole Vielsafttrank ...“

„Und lässt deinen Ruf ruinieren. Ist klar.“ Ich lächelte.

„Stimmt. Dumme Idee.“ Er erwiderte mein Lächeln. Sein rotbraunes Haar bildete einen schönen Kontrast zu der weißen von Schnee bedeckten Landschaft, durch die wir stapften.

„Schau mal“, sagte er und deutete nach vorn. Mein Blick löste sich von seinem Gesicht, folgte seinem Zeigefinger und über den schneebedeckten Bäumen erkannte ich die ersten Häuserspitzen Hogsmeades.

Kaum hatten wir das Dorf betreten, umfing mich schon der winterlich-weihnachtliche Flair, von dem Albus am Mittwoch bei unserem wöchentlichen Treffen geschwärmt hatte. Und er hatte nicht übertrieben. Ein wenig erinnerten mich die engen Gassen, die eleganten Laternen und vor allem der Schnee an zu Hause.

Im Gehen berührte Albus‘ Arm zum wiederholten Mal meinen eigenen. Bevor ich begriff, was ich da tat, legte ich meinen Arm um seine Schultern und zog ihn im Gehen näher an mich. „Es ist wunderschön.“

Albus sah mich überrascht aber voller Glück an. „Ich wusste, dir würde es gefallen.“ Er lehnte sich an mich. Den eisigen Wind spürte ich kaum mehr. Die Wärme in meinem Inneren war ein starker Gegenpol.

„Wohin gehen wir?“, fragte ich ihn, als er mich in eine Gasse führte, die links von der Hauptstraße abzweigte.

„Das ist eine Überraschung.“

„Du weißt doch, die sind nicht so mein Ding“, gab ich zu bedenken.

„Aber meine wird dir gefallen. Versprochen.“

Kurze Zeit später blieb er vor einer hohen hölzernen Tür stehen. „Warte hier, okay?“ Er löste sich von mir und betrat das Haus. Von innen dröhnte Stimmgewirr nach draußen. Hoffentlich bat mich Albus gleich nicht hinein.

Ein paar Minuten später trat er wieder aus der Tür hervor. „Wir können weiter.“

Verwirrt sah ich ihn an. „Okay?“

Wie selbstverständlich griff er nach meiner Hand und obwohl wir beide Handschuhe trugen, spürte ich die Wärme seiner Haut auf meinen. Ich lächelte. Und ich erwiderte den sanften Händedruck.

Und jetzt liefen wir also doch Hand in Hand durch die Gassen Hogsmeades. Unser Weg führte uns wieder aus dem Dorf hinaus, auf eine Anhöhe, wo eine Bank stand. Vor uns erstreckte sich das winterliche Dorf und dahinter die Hügel des Hochlands. Der Ausblick war wunderschön. Mit all dem Schnee.

Albus setzte sich und zog mich neben sich. Ich saß ganz nah bei ihm. Näher als sonst. Heute war alles näher als sonst. Und es war okay.

Aus seiner Tasche holte er die Flamme, die er schon bei dem Treffen am alten Bootshaus dabei gehabt hatte. Sie strahlte eine angenehme Wärme aus – auch dann noch, als er sie zu unseren Füßen auf den Boden stellte. Ich liebte seine Magie. Anders als jedes Feuer sonst, das ich bisher gesehen hatte, strahlte diese Flamme keine Hitze aus, die den Schnee schmelzen ließ. Aber sie wärmte uns dennoch.

Nachdem er das Glas abgestellt hatte, fuhr seine Hand erneut in seine Tasche und zog zwei Flaschen hervor. Eine davon drückte er mir in die Hand. „Das beste Butterbier im ganzen Land“, erklärte Albus. „Frisch gezapft und noch warm.“

„Du bist toll, weißt du das?“ Es rutschte mir einfach heraus. Albus‘ Wangen waren ganz rosa. Ob von der Kälte und dem eisigen Wind oder ...

„Du auch.“ Nein, es war nicht nur der Wind. Auch in meinen Wangen spürte ich Wärme. Nie hatte ich ein Problem mit Verlegenheit oder dem Erröten gehabt, aber Albus setzte das irgendwie außer Kraft.

Er öffnete unsere Flaschen und hob seine an. „Auf ...“ Er überlegte.

„Auf die hoffentlich baldige Entlassung von Black?“, schlug ich grinsend vor.

Albus‘ Lachen vertrieb auch die letzte Kälte aus der Umgebung. „Das nenne ich Prioritäten.“ Wir stießen mit unseren Flaschen an.

Er hatte recht behalten: Es war noch warm. Und schaumig. Und das beste, das ich je getrunken hatte.

„Ich dachte, das hier“, er vollführte eine Geste entlang des Horizonts, „wäre dir lieber als der Trubel im Drei Besen. Ohne dass wir auf das Butterbier verzichten müssen.“

Das war es in der Tat. „Danke“, hauchte ich und sah ihn an. „Dass du dir so viele Gedanken machst.“

„Ich hab dich eben gern“, flüsterte Albus.

Es hatte angefangen zu schneien. Weiße Schneeflocken verfingen sich in Albus‘ Haar, das unter seiner Mütze hervorlugte. Eine dicke Flocke legte sich auf eine seiner geröteten Wangen, schmolz sofort. Ich berührte die Haut an der Stelle, auf der die Schneeflocke gelandet war. Albus‘ Lächeln vertiefte sich.

„Und du?“, fragte er. Sein blauer Blick durchbohrte mich nahezu.

„Was? Und ich?“

„Hast du mich auch gern?“

„Ich geb’s nur ungern zu, aber ...“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Hab ich.“

Er lächelte und legte seinen Kopf an meine Schulter. Ich wiederum lehnte meinen Kopf an seinen. Und so saßen wir da, im Treiben des Schnees und dennoch in der vollkommenen, allumfassenden und einhüllenden Wärme. Ich war auch nicht besser als diese Schneeflocken, fand ich. Albus hatte mich zum Schmelzen gebracht.

Chapter 18: Planänderungen

Chapter Text

Ich sah den Flocken beim Tanzen im letzten Licht der untergehenden Sonne zu. Manche von ihnen fanden ihren Weg bis auf die verzierten Fensterscheiben der Bibliothek, schmolzen dort sofort.

Vorhin erst war ich von einem Spaziergang im Schneetreiben draußen zurückgekehrt. Sowohl die Schönheit des Winters als auch die Wärme der Kaminfeuer hier war besonderer, leichter wertzuschätzen, wenn man ihren Gegenpart kannte, fand ich.

Der Sessel mir gegenüber war leer. Albus war nicht da, er hatte Schulsprechertätigkeiten zu erledigen.

Seine Abwesenheit betrübte mich mehr, als ich vor ihm zugegeben hätte. Ich genoss die Zeit mit ihm und jeder Tag, den ich mit ihm verbrachte, schenkte mir einen ruhigen, friedlichen Schlaf.

Wenn er nicht da war, überzeugte ich mich in der Kürze der Zeit davon, dass ich auch ohne ihn lebensfähig war. Ich brauchte ihn nicht, um zu überleben oder Freude zu empfinden. Dass dieses Gefühl an Albus und seine Anwesenheit gebunden war, widerstrebte mir.

Um mich von diesem Zwiespalt der Gefühle abzulenken, vergrub ich meine Nase in dem Buch – sodass keiner auf die Idee kommen würde, mich anzusprechen, während ich mich endlich zusammenriss und meine Forschungen über die Heiligtümer fortsetze.

Albus hatte dieses Buch gefunden und nach dem Lesen mir gegeben. Er wollte wissen, wie ich dazu stand, ohne mich mit seiner Meinung zu beeinflussen und ...

Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr, dort, wo der Sessel stand. Mein Kopf zuckte hoch. Nein. Enttäuschung machte sich in mir breit und ich schob sie schnell beiseite. Ich war kein gefühlsgesteuerter verliebter Teenager, der nicht mehr geradeaus denken konnte!

„Hey“, sagte jenes Hufflepuff-Mädchen, welches der Bibliothekarin vor einigen Wochen ein Interesse für Basilisken vorgeheuchelt hatte, mit lieblicher Stimme. In diesem Moment wirkte sie nicht mehr wie das kleine Mädchen, das ein Bote für einen älteren Schüler war. Und ihr Name wollte mir mit dieser neuen Seite an ihr gar nicht einfallen.

„Hey?“, erwiderte ich fragend. Die Verwirrung schien mir ins Gesicht geschrieben zu stehen, denn sie sagte: „Ich wollte dich nicht stören, Entschuldigung.“

„Kann ich dir denn helfen?“, fragte ich.

„Das weiß ich noch nicht“, antwortete sie langsam und mit einem Lächeln. Ich unterdrückte ein Seufzen.

Mir war es nicht gelungen, einen Beweis dafür zu finden, dass der Recherche-Auftrag, den das Mädchen bekommen hatte, von Gaunt gekommen war und nicht von Michael Prewett. Weder Anzeichen auf einen Imperius-Fluch, noch auf eine anderweitige Bestechung hatte ich gefunden und so hielt ich es für zu riskant, sie nach Gaunt zu fragen. Womöglich beschattete oder überwachte er sie ja noch immer?

„Möchtest du mich etwas fragen?“, bot ich ihr als Starthilfe an.

„Ja“, erwiderte sie und sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Ihre Augen funkelten in einer Farbe, die ich nicht differenzieren konnte. War das blau? Grün? Grau?

„Dann schieß mal los“, forderte ich sie auf. Unwohlsein breitete sich in mir aus. Das hier fühlte sich seltsam an.

„Ich möchte mit dir zum Ball gehen“, erklärte sie mit einem Lächeln, das ihre Unsicherheit und Aufregung nicht ganz verbarg.

„Was?“, brach es schnell und unüberlegt aus mir hervor.

„Der Weihnachtsball. Wir können zusammengehen. Würde ich nicht verpassen wollen, an deiner Stelle.“ Sie grinste mich an. Von Gaunt gesteuert war sie definitiv nicht mehr – der beharrte nach wie vor darauf, dass ich mit seiner Schwester Metis gehen sollte – dabei hatte ich ihm erklärt, dass ich über die Weihnachtsfeiertage nach Hause fuhr.

„Äh“, machte ich, um Zeit zu gewinnen. Was hatte Albus gesagt, in welche Klasse sie ging? Hatte er das denn erwähnt? Vor wenigen Wochen hatte sie gewirkt wie 14 Jahre alt – noch jünger, wenn sie leise sprach und von einem Bein aufs andere trat. Heute wirkte sie wie ausgewechselt. War das ein Indiz für den Imperius-Fluch?

„Ich gehe nicht zum Ball“, schaffte ich es endlich zu sagen.

Überrascht hob sie die hellen Augenbrauen. „Wieso das nicht? Hat dein Wunschdate dir abgesagt?“ Sie grinste wieder.

„Mein Wunschdate ist der Zug nach Hause“, gab ich zurück. „Ist schon entschieden.“

„Klingt unglaubwürdig, wenn du mich fragst“, befand sie.

„Ach ja?“, hielt ich dagegen.

„Jip“, antwortete sie. „Ich dachte eigentlich, du gehst mit Albus hin. Ihr zwei klebt ja neulich so aneinander. Ich dachte, da läuft was. Aber da sich das jetzt erledigt hat, dachte ich, wir könnten zusammen gehen.“

„Erledigt?“, fragte ich verwirrt.

„Ja, klar“, erwiderte sie, nicht ohne Verwirrung über meine Reaktion. „Er geht doch jetzt mit Lucy.“

„Lucy?“

„Die Schulsprecherin, du erinnerst dich?“ Das Mädchen lachte und da fiel mir dann doch ihr Name wieder ein. Anna hieß sie, hatte Albus gesagt.

„Und was soll sich da jetzt erledigt haben?“, fragte ich misstrauisch.

„Oh“, machte sie und ihr Lächeln verblasste. Verlegenheit verdrängte die Heiterkeit aus ihrem Gesicht. „Ich dachte ...“

„Und was heißt überhaupt er geht mit ihr?“, unterbrach ich sie.

„Zu dem Ball!“, sagte sie schnell. „So viel weiß ich. Ob sie ein Paar sind, keine Ahnung, aber wenn es nach Lucy geht, auf jeden Fall.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ein Klumpen heißer, brennender Wut breitete sich in meinem Inneren aus.

Anna stand zögerlich auf und ging rückwärts ein paar Schritte in Richtung der Treppe. Sie hatte meinen Stimmungswechsel mitverfolgt und ging aus der Schussbahn. Besser für sie.

„Du weißt, dass er ein Champion ist, oder? Die müssen zum Ball kommen, für den Eröffnungstanz. Den kann Albus ja schlecht allein machen. Und ... wenn du ihm gesagt hast, dass du –“

Den Rest, den sie sagte, bekam ich nicht mehr mit. Er hatte mir angeboten, mit mir zu kommen, nach Hause. Und jetzt das ... Meine Zweifel sahen sich bestätigt; meine inneren Einwände dagegen, mich Albus zu sehr hinzugeben.

Vielleicht, hörte ich eine Stimme in mir sagen, gibt es dafür einen guten Grund. Höre ihn dir an, bevor du ausrastest. Das kannst du zur Not nachholen.

„Weißt du, wo ich ihn finden kann?“, rief ich Anna hinterher.

Sie war auf der Treppe angekommen, wandte sich aber zu mir um. „In einer Stunde gibt es Abendessen. Versuch es da. Und ignoriere vielleicht die Tatsache, dass das jemand sehen könnte, ja?“ Mit diesen Worten ließe sie die Treppe und die Bibliothek hinter sich.

In der folgenden Stunde wechselten sich heiße Wut und kühles Unbehagen stetig ab und ich kam zu dem Schluss, dass ich mit meinem geplanten Vorgehen beidem gerecht wurde – sowohl dem Wunsch, die Wut herauszulassen, als auch dem Bedürfnis, Albus zu erklären, dass ich wütend war. Wenn ich ihn während des Abendessens aufsuchte, zeigte ich ihm zum einen, dass mir unser Verhältnis wichtiger war als die Blicke von außen; und zum anderen konnte ich ihn bloßstellen, wenn er doof reagierte und eine Schmach verdiente.

Ich zögerte mein Aufbrechen aus der Bibliothek hinaus, ordnete meine Tasche und die Bücher darin mehrfach neu, um mich abzulenken. Schließlich ließ die Zeit sich nicht weiter dehnen und hinauszögern. So verließ ich meinen Bücherbunker und machte mich auf den Weg zur Großen Halle.

In der Flügeltür blieb ich stehen und ließ meinen Blick über die vielen Köpfe schweifen, auf der Suche nach dem rötlichbraunen Haar, das in der Sonne leuchtete – nur jetzt nicht mehr, denn die Dunkelheit war längst hereingebrochen.

Da entdecke ich ihn. Er saß vorn am Tisch der Gryffindors – eingequetscht zwischen dieser verfluchten Lucy und Elphias. Aber er saß mit dem Rücken zum Tisch und sah zu einem Mädchen auf, das vor ihm stand und mit seinen Locken spielte.

Die ganzen letzten Wochen hatte Albus sich vor Einladungen zum Weihnachtsball nicht retten können. Schon vor dem Turnier war er sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen begehrt gewesen. Seit er Champion war, hatte sich das einmal mehr verschlimmert. Albus hatte jede Einladung abgelehnt, der ich beigewohnt hatte, und es dabei dennoch geschafft, niemanden niederzumachen, und war bescheiden und freundlich geblieben.

Gut – bis auf Lucy hatte er jeden abgewiesen. Sie nicht. Oder hatte er sie gefragt? In Panik davor, in fünf Tagen alleine beim Weihnachtsball aufzutauchen? Wieso ging er dann nicht einfach mit Elphias, als Freund – das hatte der ihm sogar angeboten, aber Albus hatte behutsam abgelehnt.

Er sah auf, Albus, und mich direkt an. Er musste meinen Blick gespürt haben, hatte darunter das Mädchen, das ihn noch immer belagerte, vergessen und stand auf.

Ich wollte stehen bleiben, oder zu ihm gehen, doch meine Füße zwangen mich, kehrtzumachen und davonzulaufen – feige, wie ich war, immer dann, wenn es darauf ankam.

 

Meiner Feigheit zum Trotz – oder einer anderen Feigheit wegen, wer wusste das schon – änderte ich meinen Plan, direkt zu Beginn der Ferien zu verschwinden. Ich war darauf, was zu Hause auf mich zukam, vorbereitet und nichts, was kommen würde, war so dringend, dass ich meine Reise nicht um zwei oder drei Tage verschieben konnte.

Jetzt saß ich auf meinem Bett im Schlafsaal und beobachtete meine Mitschüler dabei, wie sie sich in ihre Festumhänge kleideten, die Haare striegelten und das erste Mal seit Monaten ihre Gesichter wuschen.

Ich hatte kein Problem damit, ohne Begleitung auf dem Ball aufzutauchen. Es festigte meine Erscheinung als Einzelgänger, von dem man sich am besten fernhielt und damit ließ sich leben.

Auch für mich war es langsam an der Zeit, mich umzuziehen. Und um meine Haare musste ich mich kümmern. An Tagen wie heute kosteten sie mich mehr Zeit als sonst.

Am Ende betrachtete ich mich in dem deckenhohen Spiegel, der neben unserer Tür hinaus auf den Flur an der Wand hing. Der Anblick, der sich mir bot, war elegant, einnehmend und jung zugleich: Der weinrote Stoff schmiegte sich an meinen Körper wie eine zweite Haut, ohne zu eng zu sein. Der Schnitt betonte meine Taille und der Umhang sah aus, als flösse er zu Boden wie langsam und zäh fließendes geschmolzenes Gestein – rot glühend vor Hitze.

Die silbernen Details boten einen Kontrast zu meinen blonden Locken, die ich erfolgreich gebändigt hatte, und dem tiefen Rot des Festumhanges. Ich sah aus, wie ich mir die Prinzen aus den Muggelmärchen früher vorgestellt hatte.

Wenn ich in dieser Erscheinung Albus‘ Blick nicht auf mich zog, war er blind oder geschmacksverirrt wie ein Flubberwurm. Mit mir hielt Lucy, die einfältige Schulsprecherin, keinen Moment lang mit.

Mit hoch erhobenem Kopf verließ ich den leeren Schlafsaal und stieg die Treppen nach oben. Ich spürte den Umhang hinter mir her wehen und fühlte mich wie die Hauptfigur jener epischen Märchen, die mich als Kind nie hatten loslassen wollen.

Vereinzelte Paare und einzelne Schüler standen in der Eingangshalle und im Korridor, wartend oder plaudernd. Der Großteil der Schüler jedoch hatte sich in der Großen Halle versammelt.

Mich durch die Menge schiebend, zog ich die Blicke magisch an. Ich genoss diese Aufmerksamkeit und sonnte mich in der Bewunderung.

Da spürte ich eine Hand auf meiner Schulter und drehte mich – zu meinem Ärgernis – äußerst unelegant um. In meinen Gedanken hörte ich meine Großmutter brüllen, die bei diesem unästhetischen Tun die Fassung verloren hätte.

Vor mir stand Elphias. Er war in einen moosgrünen Festumhang gehüllt, der ihm überraschend gut schmeichelte und seine Vorzüge zur Geltung brachte.

„Ich dachte, du bist Zuhause“, stieg er ohne Begrüßung in ein Gespräch ein.

„Hätte dir so gepasst, hm?“, gab ich mürrisch zurück.

„Keineswegs. Aber Lucy vermutlich. Du siehst gut aus. Wenn Albus dich sieht, wird er kaum die Augen von dir lassen können.“

„Ach, ist das so? Wieso ist er dann mit ihr hier?“, forderte ich ihn heraus.

„Albus wusste, dass du diese Diskussion anfangen würdest ...“, murmelte Elphias.

„Wenn er wirklich mit mir hierherkommen wollte, hätte er mich fragen können.“

„Er hat dich gefragt, du giftiger Vipernzahn!“, fuhr Elphias mich mit erhobener Stimme an. Ich zuckte zurück. Ich hatte ihn noch nie laut werden hören.

„Er wird davon ausgehen, dass du nur nicht kommen wolltest, weil du mit ihm gegangen wärst. Und weißt du was? Ich glaube, er hat recht! Ich stelle nicht in Frage, dass irgendetwas passiert ist und du nach Hause musst. Aber so dringend kann es nicht sein, wenn du jetzt hier bist. Wenn du mich fragst, wolltest du dich von dieser schönen Erfahrung mit Albus drücken. Und als du dann bemerkt hast, dass andere die Chance ergreifen, wenn du es nicht tust, hast du endlich begriffen, wie dumm du gewesen bist und hast beschlossen, hierherzukommen, weil ein Teil von dir hofft, dass Albus dich sieht und Lucy vor aller Augen stehen lassen wird und dein Ego zufrieden ist!“ Er holte Luft nach seinem Redeschwall. Ich schwieg. Jegliche Antwort blieb mir im Halse stecken.

„Das musste dir einfach mal jemand sagen“, fügte Elphias hinzu. Leiser diesmal. „Auch wenn ...“, sein Blick glitt über meine Schulter und an mir vorbei, „... die Strafe, Albus mit Lucy tanzen zu sehen, vielleicht schon genug ist ...“

Ich wandte mich um. In der Halle war es still geworden, nur gedämpftes Flüstern war zu hören. Und hintereinander schritten in diesem Moment die Champions mit ihren Begleitungen durch die Tür und bahnten sich ihren Weg durch die Menge, die bereitwillig Platz machte.

Albus trug einen schlichten lavendelfarbenen Festumhang, der seiner Gestalt etwas Fließendes verlieh. Im Licht des Raumes vernahm ich winzig klein und filigran eingearbeitete goldene Details in Albus‘ Gewand. Seine rotbraunen Haare bildeten einen einnehmenden Kontrast zu dem lavendelfarbenen Stoff und ließ seine Haut noch weicher wirken.

Jetzt kam er an uns vorbei und sein Blick traf meinen, blieb an mir hängen. Seine Lippen formten stumm meinen Namen und auch ich konnte meine Augen nicht von ihm wenden.

Er verhinderte knapp ein Stolpern, als Lucy ihn weiterzog und mir einen Todesblick zuwarf. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie hochgesteckt und sie trug ein silbern glitzerndes Kleid, das ihr – das musste ich leider zu geben – hervorragend stand. Aber ich war mir bewusst, dass sie mit mir nicht mithalten konnte. Und das wusste sie auch.

Mein Blick hing an Albus, der gemeinsam mit den anderen in Position für den Eröffnungstanz ging. Wie gern hätte ich da gestanden, vor ihm und in seinen Armen ...

„Ich bin ein Idiot“, murmelte ich.

„Weißt du“, raunte Elphias und grinste, „die Musik spielt noch den ganzen Abend!“

Chapter 19: Weihnachten

Notes:

https://youtu.be/jFHnQDV2_aM?si=lBvbhO9krcu_c_Y-
Dieser Track aus Harry Potter 4 passt, finde ich, schön zu diesem Kapitel. :)
Viel Spaß beim Lesen! <3

Chapter Text

Albus beim Tanzen zuzusehen, war im gleichen Maße einnehmend und frustrierend. Wie elegant er sich bewegte, über den Boden schwebte – mein Blick war gefesselt.

Dass sie bei ihm war, diese verfluchte Lucy, fühlte sich an wie ein Feuer, dass in mir brodelte und Funken stob, wann immer ich ihr fahles Gesicht zu sehen bekam.

Trotz der Eleganz, die Albus ausstrahlte, war ihm anzusehen, dass er mental nicht bei seiner Tanzpartnerin war. Sein Blick fand meinen, wann immer Lucy mir den Rücken zuwandt und er über ihre Schultern hinweg in meine Richtung sah.

„Siehst du“, raunte Elphias mir zu. „Er sieht die ganze Zeit nur zu dir.“

„Ich weiß.“

Ich spüre Elphias‘ eindringlichen Blick auf mir. „Meinst du nicht, dass du –“

„Lass mich in Ruhe, ja?“, unterbrach ich seinen Versuch, mir wieder einmal gut zuzureden.

Ich beobachtete Schülerpärchen, die sich in diesem Moment ebenfalls unter die Champions mit ihren Begleitungen mischten. Der offizielle Teil war vorbei und nun sammelte sich ganz Hogwarts auf der Tanzfläche.

Hinter uns wurden Stimmen laut. Elphias und ich drehten uns um. „Lass die Finger von meiner Schwester!“, schrie jemand, der jee Menge Schüler beiseite stieß, um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen: Marvolo Gaunt. Er hatte Metis am Arm gepackt und grub seine Fingernägel in ihre Haut.

Sichtlich ungerührt nahm sie das zur Kenntnis.

„Das kannst du vergessen, du Schlange“, erwiderte Albus‘ Bruder Aberforth angriffslustig und stieß ihm gegen die Schulter. „Und jetzt lass sie los, oder wir beide haben ein Problem!“ Er sah aus, als wäre er kurz davor, Gaunt ins Gesicht zu spucken.

„Wenn unser Vater davon erfährt, macht er dir das Leben zur Hölle, du Missgeburt!“, schrie Gaunt Metis an, die unbeeindruckt mit den Schultern zuckte. „Der Alte soll sich mal was neues einfallen lassen“, erklärte sie. „Mein Leben zur Hölle zu machen ist total 1890, findest du nicht? Meine Existenz war schon immer die Hölle auf Erden unter eurem verfluchten Dach. Also denk nicht, dass mich das noch beeindruckt, Dummerchen.“

Das brachte Gaunt erst richtig in Fahrt. „Du wirst dir noch wünschen nie –“

„Nie geboren worden zu sein, ja, ja. Alles schon hundert Mal gehört. Bist du dann fertig? Ich gehe mit Aberforth, ob es dir passt oder nicht. Und wenn Vater sich ein Bein abhackt.“

Ein eiskalter Schauer kroch mir den Rücken hinauf und saß mir im Nacken. Sie sagte das leichthin und doch sah ich, spürte vielmehr, den Schmerz, der dahinter lag.

„Komm, Ab.“ Metis nahm Aberforth am Arm und zog ihn zur Tanzfläche.

Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie Gaunt seinen Zauberstab zog, und meine Hand griff wie von selbst nach meinem eigenen. Bevor Gaunt einen Fluch auf Metis und Aberforth hetzen konnte, ging Professor Weasley dazwischen und entwaffnete ihn mit einem kaum merkbaren Zucken ihrer ausgestreckten Hand.

Zu einem anderen Zeitpunkt wäre ich beeindruckt gewesen von ihrem Geschick und ihrer Zauberkunst. In diesem Moment registrierte ich das nur am Rande, weil Gaunt mit allen möglichen Beleidigungen, die ihm einfielen, um sich schmiss und damit die Musik übertönte, die munter weiterspielte.

Er wehrte sich. Professor Weasley ließ sich davon nicht beeindrucken und brachte ihn aus der Großen Halle hinaus. „Was fällt Ihnen eigentlich ein?“, klang ihre Stimme vom Gang her. Mehr war nicht zu hören. Vermutlich nahm sie ihn mit in ihr Büro oder brummte ihm eine Strafarbeit auf. Zumindest würde er heute Abend keinen Fuß mehr hier hinein setzen. Das erleichterte mich.

Mein Blick glitt zurück zu Metis und Aberforth auf der Tanzfläche. Einen Moment lang betrachtete ich meine Mitschülerin und versuchte, zu ergründen, was in ihr vorging. „Mein Leben war schon immer die Hölle auf Erden“, hatte sie gesagt. Und so gelassen sie war, so war dennoch klar gewesen, was Gaunts Drohung für sie bedeutete. Es waren keine leeren Worte, das stand fest. Was erwartete Metis, wenn sie nach Hause kam? Bei so einem Bruder, wie mochte dann erst der Vater sein?

Nein, das allein hatte nichts zu bedeuten. Die Eltern waren nicht die einzigen Gründe für jemanden, zu einem schlechten Menschen zu werden. Manche hatten einfach eine schwarze Seele, und denen war nicht zu helfen, das wusste ich aus eigener Erfahrung.

Metis‘ Lachen durchbrach meine finsteren Gedanken und ich war dankbar dafür. Innig hielten sie und Aberforth sich in den Armen. Das war ihr Moment und keiner konnte ihnen den nehmen – weder Gaunt, noch ihr Vater. Diese Leichtigkeit war nahezu mit den Händen greifbar. Wie sie sich ansahen und hielten, als läge ihnen die ganze Welt zu Füßen. Was in diesem Moment vielleicht genau so war. Und das gab den Ausschlag.

Mein Blick suchte die Tanzfläche nach Albus ab, fand ihn nicht.

„Er ist da hinten.“ Elphias deutete auf einen der runden Tische, an dem Albus sich in diesem Moment niederließ.

„Entschuldige mich“, murmelte ich hastig und bahnte mir meinen Weg durch die Schüler.

Gemeinsam mit zwei anderen Mädchen, die ich dem siebten Jahr zuordnete und ihren Begleitungen, saßen Albus und Lucy an einem der Tische, an denen, wie ich verwundert feststellte, je sieben Stühle standen. Das sah ich als ein Zeichen.

Das nächste Zeichen, das mich ermutigte, war, dass Lucy sich sogleich wieder erhob und mit einer ihrer Freundinnen in Richtung der Getränkebar verschwand.

Ich atmete tief durch, strich mir einmal durch die Haare, und ergriff, ohne zu zögern, meine Chance: Ich stellte mich neben Albus. „Hi“, sagte ich einfach.

Er sah hoch und sofort breitete sich ein Lächeln auf seinem wunderschönen Gesicht aus. „Gellert!“ Er stand auf und umarmte mich. Vollkommen überrumpelt erwiderte ich die Umarmung nur halbherzig. Daran schien er sich nicht zu stören.

„Schön, dass du hier bist“, sagte Albus lächelnd, mich weiterhin an sich drückend. Langsam lösten wir uns voneinander.

„Ist mir eigentlich alles ein bisschen zu kitschig hier“, meinte ich missmutig und bereute es im selben Moment. Wieso war ich so?

„Aber du bist hier. Und das freut mich. Wirklich, Gellert.“ Er strahlte nahezu.

„Ohne mich wäre die Party auch öde geworden oder nicht?“, erwiderte ich mit einem Grinsen. „Wen solltest du sonst die ganze Zeit beim Tanzen anstarren, wenn nicht mich?“

Albus‘ Wangen verfärbten sich leicht rötlich. „Erwischt“, gab er zu.

„Du bist süß, wenn du verlegen bist, weißt du das?“

„Er ist nur nett“, hörte ich Lucys Stimme neben mir. „Vermutlich hat er Mitleid mit dir, weil du keine Freunde hast.“ Die Pestbeule war zurückgekehrt.

„Irrtum“, antwortete ich. „Ich wähle mir meine Freunde nur durch sorgfältige Evaluierung ihrer Eignung aus, um die Gefahr zu minimieren, dass wir nicht zusammenpassen. So wie du und Albus zum Beispiel.“

Lucys Miene verfinsterte sich. „Verzieh dich, Grindelwald.“

„Hör auf, Lucy. Er kann doch hier sitzen, wenn er möchte“, ging Albus dazwischen.

„Das ist doch nicht dein Ernst!“, fuhr Lucy ihn an. „Spinnst du?“

„Keineswegs“, entgegnete Albus ruhig. „Ich dulde es nicht, wenn Mitschüler systematisch ausgeschlossen werden. Entweder er darf hier sitzen oder ich suche mir mit ihm gemeinsam einen Tisch.“

Ich beobachte, wie Lucy die Zähne zusammenbiss. „Meinetwegen. Setz dich, Grindelwald. Aber benimm dich.“

„Nein, danke“, gab ich kühl zurück.

„Was machst du dann noch hier?“, sprang eine von Lucys Freundinnen ihr bei.

Mein Blick glitt zu Albus, und obwohl ich aufgeregt wie selten war, war meine Stimme ruhig. „Ich möchte mit dir tanzen, Albus.“ Ich hielt ihm meine linke Hand entgegen und hoffte, dass man ihr das Zittern nicht allzu deutlich ansah.

Lucys verwundertes Auflachen nahm ich nur am Rande war – meine Aufmerksamkeit galt Albus. Der lächelte mich so herzlich an, dass mir warm wurde. Ohne Zögern legte er seine Hand in meine und stand auf.

Lächelnd und glücklich wie selten zog ich ihn mit mir.

„Du spinnst ja!“, rief Lucy uns hinterher, diesmal empört. „Du bist mit mir hier, du ...“ Mehr hörte ich nicht.

„Das nenne ich mal einen Auftritt“, lachte Albus.

„Ich muss meinem Ruf doch gerecht werden, oder nicht?“ Ich grinste ihn an.

„Also ich mag den erobernden Gellert um einiges mehr als den missmutigen. Du solltest ihn öfter mitbringen.“

„Er ist viel beschäftigt.“

„Dann sollte er vielleicht neue Prioritäten setzen?“, schlug Albus vor.

„Hat er gerade. Hier und heute bist du Priorität Nummer eins“, flüsterte ich ihm zu.

Wieder errötete Albus leicht. „Ich fühle mich geehrt.“

„Das solltest du.“

Noch immer hielt ich seine Hand in meiner und an der Tanzfläche angekommen, glitt meine andere ganz von selbst auf seinen Rücken. Plötzlich überkamen mich die altbekannten Zweifel. War das eine gute Idee? Jeder würde uns sehen. Uns gemeinsam. Beim Tanzen. Wie Paare es taten. Wie erstarrt stand ich da und sah Albus an.

Er beugte sich zu mir und flüsterte in mein Ohr: „Jetzt wäre der erobernde Gellert wieder dran und nicht der abblockende.“ Er zog seinen Kopf zurück und sah mich an.

„Der musste gerade nur kurz Luft holen, damit er dich jetzt mit unseren Tanzkünsten umhauen kann“, antwortete ich ihm und in dem Moment fiel die Anspannung von mir ab. Die Welt um uns herum verlor an Bedeutung, weil Albus wichtig war.

Ich musste nicht über die Bewegungen oder die Schritte nachdenken, es lief von selbst. Und so hatte ich genug Zeit, Albus‘ Augen zu bewundern.

„Du tanzt außergewöhnlich“, sagte Albus irgendwann mit heiserer Stimme, ohne seinen Blick von mir abzuwenden.

„Danke. Mein Papa hat es mir beigebracht“, antwortete ich und bemerkte erst einen Moment später, was ich da gesagt hatte. Ich spürte, wie ich mich verkrampfte.

„Ist schon gut. Du musst nicht über ihn reden, wenn du nicht möchtest“, versuchte Albus, mich zu beruhigen.

„Aber ich will.“

Überrascht hob Albus die Augenbrauen. „Ja? Erzähl mir von ihm, wenn du magst.“

„Ich war fünf, als er es mir gezeigt hat. Nur so zum Spaß. Ich hatte ihn und ... meine Mutter auf einer Feier, zu der wir am Tag vorher eingeladen waren, tanzen gesehen und hab ihm keine Ruhe mehr gelassen, weil ich das auch unbedingt können wollte.“ Ich lächelte. „Also hat er es mir gezeigt.“

Die Bilder schwemmen mein Bewusstsein.

„Du machst das toll, Gellert“, hörte ich meinen Papa in Erinnerung sagen. „Wenn du so weiter machst, kannst du irgendwann mit jemandem so tanzen wie ich mit Mama.“

Albus Hand, die leicht über meinen Arm strich, holte mich ins Hier und Jetzt zurück. „Du vermisst ihn sehr, oder?“

Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. „Mehr als ich sagen kann. Er war Familie.“

„Er wäre stolz auf dich, wenn er dich jetzt sehen könnte“, sprach Albus leise. „Er hätte gewollt, dass du trotz allem an dem festhältst, was dir wichtig ist.“

Ich blinzelte eine Träne weg. „Du ahnst nicht, wie recht du hast.“

Albus zog mich näher zu sich, ohne dass wir das Tanzen stoppten. Hatten wir vorher ausgesehen, wie zwei beste Freunde oder enge Mitbewohner, so konnte jetzt niemand mehr bestreiten, dass zwischen uns etwas war. Und ich konnte das auch nicht. Und ich wollte es nicht.

„Er hätte dich gemocht“, sagte ich in die entstandene Stille zwischen uns hinein.

„Ja?“

„Auf jeden Fall. Vor allem hätte er gemocht, was du in mir wieder zum Vorschein bringst. Und das ist eine ganze Menge, die ich schon verloren geglaubt habe.“ Ich holte tief Luft. „Irgendwie kann ich mich selbst viel besser leiden, wenn du bei mir bist.“

In Albus‘ Blick lag eine ganze Welt von Gefühlen, für die ich selbst dann keinen Namen gefunden hätte, wenn ich alle Wörterbücher dieser Welt danach abgesucht hätte.

„Darf ich mit dir kommen?“, fragte er dann.

„Mitkommen?“, wiederholte ich verwirrt.

„Zu dir nach Hause. Du gehst doch trotzdem, nicht wahr?“

Ich nickte. „Ich würde es gern vermeiden, aber ... ja. Ich muss.“

„Lass mich mitkommen, Gellert. Was auch immer dich da erwartet, ich weiß es nicht, aber ich möchte, dass du damit nicht allein bist.“

„Du würdest Dinge erfahren, von denen du dir wünschen wirst, sie nie erfahren zu haben“, gab ich zu bedenken.

„Wenn Sie ein Teil von dir sind, nehme ich sie an so wie ich dich annehme.“

„Würdest du mich denn auch zu dir nach Hause lassen?“, fragte ich. Das war fies, und ich wusste es, konnte mich aber nicht bremsen.

„Wenn es nur um mich ginge, ja“, antwortete Albus. „Ehrlich.“ Und ich glaubte ihm. Einfach so.

„Wenn du das wirklich willst, dann ... Morgen früh 6 Uhr an Professor Weasleys Büro. Ihr Kamin ist für kurze Zeit ans Flohnetzwerk angeschlossen.“

Albus sah mich lange an. „Ich werde da sein. Ich lass dich nicht allein. Versprochen.“

Ungeachtet der Menschen um uns herum schlang ich meine Arme fest um ihn und zog ihn an mich. Der Geruch von Lavendel umfing mich und Albus hielt mich. Das hier war mehr zu Hause als alles andere, das ich in den vergangenen zehn Jahren erlebt hatte. Und wenn die Vergangenheit nicht wäre, deren Schatten drohend vor mir aufragten, hätte ich mich daran gewöhnen und mich gänzlich diesem Gefühl hingeben können.

Aber so war es zumindest für diesen Moment perfekt. Und das genügte mir.

Chapter 20: Rückkehr

Chapter Text

Es herrschte Totenstille im Schloss – abgesehen von meinen Schritten, die von den Mauerwänden widerhallten und mir deutlich zu laut vorkamen.

In der Hand trug ich einen unauffälligen dunkelbraunen Koffer, der durch meinen unaufspürbaren Ausdehnungszauber kaum Gewicht hatte, obwohl mein gesamter Besitz darin Platz fand.

Aus der Ferne hörte ich Schritte, die mir entgegenkamen. War das Albus?

Kaum eine Minute später kam ich vor der Tür zum Stehen, die zum Büro der stellvertretenden Schulleiterin Professor Weasley führte. Ihr war es zu verdanken, dass ich die außerordentliche Genehmigung erhalten hatte, durch das Flohnetzwerk zum britischen Zaubereiministerium zu reisen, um von dort einen Portschlüssel nach Hause zu nehmen – zumindest so nah heran wie es sicher war.

Ich hob meine Hand und klopfte an die Holztür. Dumpfe Schritte waren gleich darauf dahinter zu hören und die Tür wurde geöffnet. Professor Weasley stand vor mir. „Guten Morgen, Mister Grindelwald“, grüßte sie mich.

Ich nickte ihr zu. „Guten Morgen“, erwiderte ich.

„Es gibt da noch etwas, das Sie wissen sollten“, hob ich zu einer Erklärung dafür an, dass Albus jede Minute hier auftauchen würde, um mich zu begleiten.

„Ja, bitte?“ Ihre Augen verengten sich, als erwartete sie schlechte Neuigkeiten.

„Es wird mich jemand begleiten“, sagte ich leise.

„Wie bitte? Wer?“ Ihre Stimme kam mir zu schrill und zu laut vor. „Das können Sie nicht so kurzfristig entscheiden! Schon gar nicht ohne Erlaubnis! Was denken Sie sich dabei, Mister Grindelwald?“

„Ihm werden Sie das genehmigen“, antwortete ich mit einem Lächeln.

Zum Glück tauchte in diesem Moment Albus auf. „Guten Morgen, Professor“, grüßte er zuerst unsere Verwandlungslehrerin, bevor er sich an mich wandte und lächelte. „Hey.“ Er nahm meine Hand und drückte sie.

Ein angenehmes Kribbeln breitete sich von meinem Magen in meinen restlichen Körper aus. Mir wurde warm und ich erwiderte das Lächeln ohne Zögern.

Einen Augenblick später wurde mir bewusst, dass Professor Weasley immer noch neben uns stand und es kostete mich einiges an Beherrschung, ihm meine Hand nicht sofort wieder zu entziehen. Es war mir unangenehm, dass die alte Weasley uns auf diese Art zusammen sah. Und das Gefühl verstärkte sich, als sich ein wissendes Lächeln auf ihrem faltigen Gesicht ausbreitete.

„Oh, wie schön! Es freut mich, dass Sie Ihren Mitschüler begleiten, Mister Dumbledore! Es freut mich wirklich außerordentlich!“ Ihre Stimme war entzückt, wie ich sie selten gehört hatte, und ich wäre am liebsten im Boden versunken.

„Können wir dann?“, unterbrach ich den wohl ersten und einzigen glücklichen Moment in ihrem öden Leben.

„Oh, natürlich. Kommen Sie rein.“ Sie huschte in ihr Büro zurück und wir folgten ihr. Bei dieser Gelegenheit ließ ich Albus‘ Hand los.

Professor Weasley war nun deutlich munterer und schob einen Stuhl beiseite, der nahe des Kamins gestanden hatte. „Ich war mir schon immer sicher, Sie beide würden sich wunderbar verstehen!“, säuselte sie übermütig.

Hilflos sah ich zu Albus, der entschuldigend grinste – als wäre es sein Verschulden, dass die in die Jahre gekommene Lehrerin jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren hatte.

„Also, seid ihr beiden bereit?“ Endlich hatte sie sich wieder uns zugewandt und lächelte uns so herzlich an, dass mir übel wurde.

„Bereit“, sagten Albus und ich wie aus einem Mund und traten zum Kamin.

„Ich gehe zuerst“, erklärte ich.

Einen Moment lang huschte bei diesen Worten ein Schatten über Albus‘ Gesicht.

„Ich warte auf dich. Versprochen“, beteuerte ich mit Nachdruck in der Stimme und sofort entspannte Albus sich wieder.

Ich trat auf Professor Weasley zu, die die Schale mit dem Flohpulver hielt, und nahm mir mit meiner freien Hand eine Handvoll davon. Mit Schwung warf ich es in die Flammen des Kamins, die smaragdgrün aufloderten. Mit einem weiten Schritt stieg ich mitten in die Flammen hinein. „Zaubereiministerium, Abteilung für Magisches Transportwesen!“, rief ich.

Alles um mich herum fing an, sich zu drehen. Ich erhaschte Blicke auf die Wohnzimmer unzähliger Zaubererfamilien, bis mir allmählich schlecht wurde. Kurz bevor ich dachte, ich hielt es nicht länger aus und würde mich jede Sekunde übergeben, wurde das Drehen langsamer und ich stolperte aus dem Kamin im Zaubereiministerium. Keuchend hielt ich mich an der Wand fest.

Eine kühle Hand legte sich auf meine Schulter und ließ mich zusammenfahren. Ich sah auf und blickte in die Augen einer jungen Hexe, die mich mitfühlend ansah. „Das erste Mal Flohpulver?“, fragte sie ruhig.

„Nein“, gab ich knapp zurück. „Es wird nur nicht besser, je öfter ich es mache. Das ist die bescheuertste Erfindung seit Quidditch.“

„Quidditch ist aber älter als Flohpulver, mein Junge“, klärte die Hexe mich auf. Ich warf ihr einen verächtlichen Blick zu.

In diesem Moment loderte der Kamin kurz auf und Albus stolperte daraus hervor. Ich fing ihn auf und er hielt sich an mir fest. „Alles in Ordnung?“, fragte ich ihn.

Albus nickte nur matt und sah sich dann um.

„Von einem weiteren Mitreisenden weiß ich nichts. Der Portschlüssel ist nur für Gellert Grindelwald genehmigt. Das bist doch du, oder?“ Sie sah mich an.

„Bin ich. Aber er ist meine Begleitung.“ Ich deutete auf Albus.

„Ich bin volljährig“, fügte er hinzu.

„Das ändert nichts an der Genehmigung“, beharrte die Hexe. „Ich mache die Regeln nicht, wisst ihr?“

„Bitte, machen Sie eine Ausnahme!“, bat Albus sie.

Verunsichert sah sie umher. „Das kann ich wirklich nicht ...“

„Ich würde mir gut überlegen, ob ich es mir mit ihm verscherzen will“, gab ich gespielt gutmütig zu bedenken. „Das ist Albus Dumbledore. Veröffentlicht in renommierten Zeitschriften und bald der beste Schulabgänger, den Hogwarts und die ganze Zaubererwelt je gesehen haben.“

Der Hexe war anzusehen, dass sie mit Albus‘ Namen vertraut war. Sie schien sich einen Ruck zu geben. „Nun gut“, sagte sie endlich. „Ich denke, in dem Fall können wir wirklich eine Ausnahme machen.“ Aus einer mit doppeltem Zauber abgesicherten Schublade holte sie einen alten Schal hervor. „Der Portschlüssel geht in zehn Minuten. Innsbruck, korrekt?“

„Korrekt“, stimmte ich zu. Allein der Name dieser Stadt löste eine Flut an verschiedensten Gefühlen in mir aus. Es ließ mein Vorhaben plötzlich real werden – so echt, dass ich gern umgekehrt wäre, zurück nach Hogwarts, von mir aus sogar unter den verfluchten See in meinen Schlafsaal.

Albus griff nach meiner Hand. „Wir schaffen das, ja?“ Seine Stimme war leise und sanft. „Ich bin bei dir. Du musst da nicht allein durch.“

„Ich weiß“, antwortete ich mit heiserer Stimme. „Danke.“

Wir schwiegen. Die Zeit zog sich in die Länge. Ständig blickte ich zurück zu dem Schal, der auf dem Bürotisch lag, in dem Glauben, er hätte sich aufgelöst, war fortgereist ohne uns. Den Gefallen schien er mir nicht zu tun.

„Noch eine Minute“, sagte die Ministeriumshexe dann. „Macht euch bereit.“ Albus nahm meine Hand fester in seine. Ich erwiderte seinen Händedruck und schloss die Augen.

„Noch zehn Sekunden“, kündigte die Hexe an.

„Noch fünf.“

„Drei ... zwei ... eins ...“

Gleichzeitig griffen Albus und ich nach dem Schal, unsere anderen Hände noch immer fest ineinander verschränkt. Und dann zog es uns mit sich.

Bei der Landung entriss es mir Albus‘ Hand. Glücklicherweise fiel ich weich in den Pulverschnee unter mir. Mühsam kämpfte ich mich nach oben und putzte mir den Schnee von den Ärmeln.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und hob meinen Blick. Es war dunkel; selbst der Mond verbarg sich hinter einer Wolkendecke. Dennoch erkannte ich Umrisse bekannter Gebäude und Straßenzüge in der Ferne. Wir waren in einem abgelegenen Waldstück gelandet, um nicht aufzufallen. Eine knappe halbe Stunde Fußmarsch lag vor uns.

Es fröstelte mich – nicht der Kälte wegen, sondern aufgrund der Erinnerungen, die der Anblick in mir auslöste.

Albus trat zu mir und legte seine Hand auf meine Schulter. Er schwieg und ich war ihm dankbar dafür.

Es brachte nichts, den Moment länger hinauszuzögern, das wusste ich. Also wandte ich mich Albus zu und sah ihn an. „Bist du dir sicher –“

„Bin ich“, unterbrach er mich sofort. „Ich lass dich jetzt nicht allein.“

Ich lächelte, strich kurz über seine von der Kälte rosige Wange und zog seinen Schal dann hoch bis zur Nase, tat mit meinem das Gleiche. Fragend musterte er mich.

„Wir müssen hier vorsichtig sein damit, von wem wir gesehen werden. Vor allem ... zusammen. Das hier ist kein Zaubererdorf und die Muggel haben nicht nur ein Problem mit Hexerei, sondern vor allem mit ... abnormen Beziehungen.“ Vielsagend sah ich ihn an.

„Ich weiß“, murmelte Albus. „Aber es kommt mir so falsch vor, dass wir uns verstecken müssen.“

„Mir auch“, gab ich zu. „Sobald wir ... bei mir ... Zu Hause sind ...“ Das Wort über die Lippen zu bringen, war mir schwergefallen. Denn das hier fühlte sich alles andere als heimisch an. Mehr wie eine Bedrohung, die über mir hing, wie ein schwarzer Schatten.

„Ich verstehe schon“, sagte Albus ruhig. „Komm, lass uns gehen, bevor es hell wird.“ Er hatte recht. Sobald die Sonne aufging, kamen die Leute aus ihren Häusern und ich fürchtete mich vor ihren Blicken.

 Gemeinsam setzten wir uns in Bewegung. Es fiel mir schwer, nicht wieder nach Albus‘ Hand zu greifen, die mir an diesem Ort ein Gefühl der Sicherheit vermittelt hätte, das ich gut hätte gebrauchen können.

Die Straßen waren still zu dieser Zeit, ausgestorben. Natürlich. Und es war mir recht so. Die Wahrscheinlichkeit, dass uns jemand sah, war gering. Und falls doch, sahen sie lediglich zwei dunkle Gestalten, die die Straße entlangliefen, beide mit einem Koffer in der Hand. Das war ein gewöhnlicher Anblick.

Ich hasste es, dass ich mir wieder Gedanken darum machen musste, was ungewöhnlich wirken könnte, was verstörend, was störend. Wir waren in der Minderheit, aber mächtiger – wenn wir uns vereinten allemal. Und trotzdem lebten wir im Untergrund. Es wurde Zeit, dass sich das änderte.

Ich fühlte, wie die Flammen dieses inneren Feuers höher schlugen, als wir das Rathaus passierten. Mein Blick glitt an der Fassade empor und ich stellte mir vor, wie dieses Gebäude selbst in Flammen stand, herunterbrannte bis auf den letzten Balken. Welch eine Genugtuung es gewesen wäre, dabei zuzusehen.

Ich spürte Albus‘ Blick auf mir. Ich würde ihm nicht erklären, was in mir vorging. Nicht hier, nicht in diesem Moment.

Wir setzten unseren Weg fort, ließen das Rathaus und das innerste Stadtzentrum hinter uns. Ich spürte meine Schritte langsamer werden. Und dann ... blieb ich stehen. Umkehren war eine Option, oder nicht?

Aber keine Lösung, sagte eine Stimme in mir. Und sie hatte recht. Erneut setzte ich mich in Bewegung, meinen Blick auf den Boden gerichtet, denn der nächste Abzweig, die folgende Straße ...

Einen Fuß vor den anderen setzen, immer wieder. Ein Kinderspiel.

Wir bogen in die Straße ein, meine Heimatstraße, und ich spürte meinen Herzschlag bis in den Hals. Die Erinnerungen schnürten mir die Luft ab und es kam mir vor, als lägen Tonnen an Gewicht auf meiner Brust, die mir das Atmen erschwerten.

An der Treppe angekommen hob ich endlich meinen Blick von den Pflastersteinen und sah die hellgraue Hausfassade empor. Zu Hause.

Ohne länger darüber nachzudenken, erklomm ich die Stufen nach oben, holte aus meiner Tasche den Schlüssel hervor, steckte ihn in das Schloss und drehte ihn.

Beinah hätte ich aufgelacht – es klemmte. An derselben Stelle, auf dieselbe Art wie eh und je; seit ich denken konnte. Wie früher auch, gelang es mir trotz dieses Umstandes, die Tür aufzudrücken. Der Geruch von Holz und Staub stieg mir in die Nase und wie benommen setzte ich meinen Fuß auf den rotgemusterten weichen Teppich im Eingangsbereich.

Ich hielt Albus die Tür auf, ließ ihn eintreten und schloss die Tür sofort wieder, so leise, wie es ging. Ich steckte den Schlüssel von innen in das Schloss und drehte ihn mit Mühe einmal. Ich wusste nicht, wer eventuell über einen Ersatzschlüssel verfügte. Und jetzt, da ich den Bann mit meinem Eintreten gebrochen hatte, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, ob er dem standhielt, wovor ich mich fürchtete. Ich sollte schleunigst in Erfahrung bringen, welche Schutzzauber und Banne hier aktiv waren.

Es war stockdunkel um uns herum. Dennoch fand ich mich blind bis zur Kommode, die im Flur stand und entzündete dort mit einem Wink meiner Hand die Kerzen in den metallenen Kerzenständern.

Ich sah Albus dabei zu, wie er sich staunend umsah. Sein Blick glitt vom fließengetäfelten Boden, der nur im Eingangsbereich von dem Teppich bedeckt war, über die Bilder an der Wand bis zu den Kronleuchtern an der Decke. „Wow“, entfuhr es ihm.

Ich gab nur ein Brummen von mir, streifte mir die Schuhe von den Füßen und stellte sie an die Seite. Mit zittrigen Händen öffnete ich die Tür zur Küche und ging hinein. Albus war knapp hinter mir und ohne das Wissen um seine Anwesenheit, wäre ich spätestens bei dem Anblick, der sich mir in diesem Augenblick bot, geflohen.

Auf dem Küchentisch stand eine Vase mit längst verwelkten Blumen und an ihr lehnte ein wachsversiegelter Umschlag, der mit Hand beschriftet war – in einer Schrift, die ich sofort wiedererkannte. Es war die meiner Mutter. Und dieser Umschlag enthielt in Schriftform alles, was ihr – und von nun an mir – geblieben war. Der Überrest von meiner Familie, meiner Vergangenheit, meinem Leben.

Ich spürte Albus‘ Arme um mich, bevor ich mich auch nur zu ihm drehen konnte. Wie machte er das? Dass er meine Stimmungen schneller las als ich selbst und immer das Richtige tat?

Albus drückte mich an sich. Ich spürte heiße Tränen meine Wangen hinabfließen. Weil er hier war und mich hielt; hier, in meinem Zuhause, das seit zehn Jahren keines mehr war. Weil meine sogenannte Mutter fort war – tot; ich das erst in diesem Moment im vollen Ausmaß begriff. Weil das alles verloren war; verschollen und unwiederbringlich weg. Und weil ich hier stand und nichts dagegen tun konnte.

Bald löste ich mich von Albus. Er sah mich an und in seinen Augen stand die Sorge. „Kann ich etwas für dich tun?“

Ich schüttelte den Kopf und ließ mich auf einen der Stühle sinken. Gedankenlos fuhr ich mit den Fingern die Maserung des Holzes nach. Wie früher.

Albus setzte sich zu mir. „Möchtest du einen Tee?“

Wider Erwarten brachte mich das zum Lächeln. „Du kannst zwar Albus aus England rausholen, aber nie England aus Albus.“

Er schmunzelte. „Genau.“ Ein Moment verstrich, dann stand er auf. „Ich mache uns jetzt einen Tee.“

„Woher weißt du, ob wir hier Tee haben?“, fragte ich matt.

„In welchem Haushalt gibt es denn bitte keinen Tee?“, empörte Albus sich scherzhaft. „Und selbst wenn du recht hast: Ich habe welchen eingepackt.“

Ich beobachte Albus dabei, wie er die Schränke nach Tee durchsuchte – und fündig wurde. In je einer Hand hielt er eine metallisch glänzende verzierte Dose.

Fünf Minuten später standen vor uns auf dem Tisch zwei dampfende Tassen. Wir tranken schweigend unseren Tee. Die Zeit verstrich und bald drang Tageslicht durch den Spalt in den Vorhängen. Albus erhob sich, um sie beiseitezuschieben, und gab den Blick auf die Straße frei – wo sich nichts tat.

Ich erhob mich von dem Stuhl. „Es wird Zeit.“

„Zeit wofür?“, erkundigte Albus sich.

„Um den Zustand des Hauses zu sichten“, klärte ich auf und verließ die Küche.

„Kann ich helfen?“, rief Albus mir hinterher.

Ich kam nicht zum Antworten, weil ich in diesem Moment den Salon betrat und alles vergaß.

Anders als in den übrigen Räumen waren die Vorhänge hier nicht vorgezogen worden. Tageslicht strömte herein, ja, sogar ein Streifen Sonnenlicht, in dem die Staubkörner tanzten.

Ich durchschritt den Raum und kam mir vor wie in einem Museum meiner Kindheit – als Zuschauer eines Universums, das nicht das war, in dem ich lebte.

Ich ließ mich auf den Klavierhocker fallen, der vor dem Flügel stand und hob den Deckel an. Staub wirbelte auf. Vermutlich war das Instrument völlig verstimmt und unspielbar. Doch es kam auf einen Versuch an.

Probehalber legte ich meine Hände auf die Tasten und spielte einen Akkord. Er klang weich und voll und stimmig. War es denkbar, dass das Klavier gestimmt oder sogar gespielt worden war in meiner Abwesenheit?

Ich begann zu spielen. Meine Finger flogen über die Tasten und ich gab mich der Melodie hin, die unauslöschlich in meinen Kopf eingebrannt war. Ich kannte sie, seit ich fünf Jahre alt gewesen war. Und neben dem Tanzen war das Klavier eine weitere Sache, die mein Papa versucht hatte, mir beizubringen. Nur dass er bis auf dieses eine Stück, das ich spielen konnte, daran gescheitert war.

Ich sah Albus im Türrahmen auftauchen und hielt inne. „Das klang wundervoll, Gellert. Hat ... dir das auch dein Papa beigebracht?“

Mein Blick glitt zu einem Porträt, das an der gegenüberliegenden Wand hing und meinen Papa zeigte. Es hatte dort seinen Platz, seit ich denken konnte. Albus folgte meinem Blick. „Du bist ihm sehr ähnlich.“

Ich seufzte. „Ich weiß.“

„Ist das nicht etwas Gutes?“

„Nicht für meine Mutter.“ Ich erhob mich und schloss den Deckel des Flügels wieder.

Albus war vor dem Porträt stehen geblieben und musterte es. Ich wandte meinen Blick wieder ab – ich hielt das nicht aus. Es war falsch. Hier zu sein, als letzter Hinterbliebener unserer einst ehrvollen Familie – zumindest als letzter, der zählte.

„Ich glaube, ich zögere einfach nur den Moment heraus“, sagte ich in die Stille hinein.

Albus drehte sich um und sah mich forschend an. „Welchen Moment, meinst du, zögerst du hinaus?“

„Den, in dem ich Papas Arbeitszimmer betreten muss, in das seit über zehn Jahren niemand mehr einen Fuß gesetzt hat“, presste ich mit Mühe hervor, weil allein die Vorstellung davon mir die Luft abdrückte.

„Du musst das nicht jetzt tun“, warf Albus ein.

„Nein. Ich kann auch einfach alles so stehen und liegen lassen, gehen und nie wiederkommen. Und gleichzeitig kann ich genau das nicht. Weil ich das Gefühl habe, etwas zu Ende bringen zu müssen; dass ich ihm ... etwas schuldig bin.“

Albus kam zu mir. „Du bist niemandem etwas schuldig“, sagte er mit Nachdruck. „Schon gar nicht den Toten. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.“

„Ach ja?“, fuhr ich ihn an. „Meinst du das? Du hast keine Ahnung, worum es hier geht!“

„Nein“, gab Albus zu. „Aber ich weiß, wie es sich anfühlt, Verantwortung für etwas auf sich zu nehmen, die einem nicht zusteht; einem nicht gehört. Und ich weiß, wie es ist, dadurch viel zu schnell erwachsen werden zu müssen. Denkst du nicht, du kannst mir vertrauen, Gellert?“ Seine Stimme war warm und weich und gleich würde ich wieder zu heulen anfangen.

„Gehen wir“, sagte ich betont kühl und schlug den Weg nach oben ein. Ich stieg die knarrenden Stufen hinauf, Albus dicht hinter mir, und blieb vor der Tür stehen, die ich seit über zehn Jahren nicht mehr offen gesehen hatte.

Mit zitternder Hand ergriff ich die Türklinke, drückte sie hinunter und schob die Tür auf.

Chapter 21: Vermächtnisse

Chapter Text

Zwielicht erfüllte den Raum. Das flackernde Licht der Kerzen in den steinernen Kerzenhaltern an der Wand warf lebendige Schatten umher. Sie wirkten wie Hände, die aus der Dunkelheit nach mir griffen, mich herein und zu sich ziehen wollten.

Trotz aller Vorbehalte betrat ich den Raum, schritt in die Mitte des Zimmers und blieb dort stehen, um mich umzusehen.

Ein Hauch von Tageslicht gelangte durch schmale Spalten, die die Gardinen nicht verdeckten. Das fahle Licht mischte sich mit dem der Kerzen und einem anderen, dessen Quelle ich nicht auszumachen vermochte.

Ich trat zu dem Schreibtisch, der wirkte, als wäre er keine zehn Minuten verlassen worden. Eine vergilbte, aber nicht verstaubte Karte war auf dem gemaserten Holz ausgebreitet, daneben lagen ein Zirkel und eine Feder mit getrockneter Tinte. Das Tintenfass war nicht verschlossen.

Unbehagen machte sich bei diesem Anblick in mir breit. War jemand hier gewesen?

Nein, das konnte nicht sein. Papa hatte es mir erklärt. Der Bann konnte nicht gebrochen werden. Oder konnte er sich geirrt haben?

Fasziniert begutachtete ich die ausgebreitete Karte und die Pergamentrollen, die daneben lagen. Als Kind hatte ich nie länger als wenige Minuten Zeit gehabt, um mich hier umzusehen, weil Papa mir verboten hatte, ohne ihn hier zu sein. Jetzt fühlte es sich nicht weniger falsch an, hier zu stehen und die Überreste des Lebens von dem Mann zu begutachten, der nicht mehr als eine Gestalt aus meinen Erinnerungen war.

Ich hörte Albus‘ Schritte hinter mir und wandte mich zu ihm um. Er war vor der Wand gegenüber der Tür stehen geblieben und betrachtete das überlebensgroße Familienporträt.

Am liebsten hätte ich es auf der Stelle von der Wand genommen und im Kamin verbrannt. Albus sollte das nicht sehen. Er würde Fragen stellen, die ich ihm im Augenblick nicht beantworten wollte, er ...

„Wer ist das?“, fragte er im selben Moment und ich schloss die Augen, um tief durchzuatmen.

„Das hinter dir ist dein Vater“, sprach er weiter, „und neben ihm steht deine Mutter. Und vor ihr ...“

„Das spielt keine Rolle mehr. Er ist kein Teil dieser Familie. Er ist Abschaum.“

Albus war anzusehen, dass er sich mit dieser Antwort ungern zufrieden gab, aber er sprach nicht weiter. Er wusste, dass das im Moment sinnlos war.

„Na gut“, lenkte er ein. „Suchen wir nach etwas Bestimmten?“, fragte er stattdessen und sah mich dabei ein.

Ich wandte meinen Blick ab. „Ich bin mir nicht sicher“, gab ich zu.

„Aber du hoffst, auf etwas Bestimmtes zu stoßen, nicht?“

Ich zog mir den Stuhl heran und zauberte einen zweiten herbei. „Setz dich“, forderte ich Albus auf und er tat wie ihm geheißen. Auch ich ließ mich nieder.

„Mein Vater wusste, dass ihm keine Zeit mehr blieb. Er hat nach den Heiligtümern gesucht, oder nach Spuren von ihnen. Er wollte, dass ich seine Forschungen weiterführe, wenn ich alt genug bin, und hat mir ein Bündel Pergamentblätter zugesteckt, kurz bevor sie ihn geholt haben.“

„Geholt? Wer?“

„Die Muggel. Irgendwer hat etwas gesehen, geplaudert, ich weiß es nicht. Ich habe nie herausgefunden, wer dem Bürgermeister seinen Namen zugesteckt hat. Ich habe mehrfach versucht, es aus ihm herauszubekommen, aber er hat mir gedroht. Dass er schon einen Grund finden würde, mich und meine gesamte Familie an den Pranger zu stellen, wenn es sein müsse und ich ihn nicht in Ruhe ließe. Ich hätte ihn töten sollen. Sie alle.“

Albus schwieg.

„Das alles wäre nie passiert, wenn wir nicht gezwungen wären, uns vor ihnen zu verstecken; wie Ratten in der Gosse zu leben, nur, um nicht aufzufallen. Was ist das für ein Leben?!“

„Es ist kein Leben“, stimmte Albus mir zu, seine Stimme war matt. „Keines, das man führen will.“ Ich blickte ihn an, seine Augen waren in die Luft gerichtet.

Ich erinnerte mich an die Geschichte von Albus‘ Vater Percival Dumbledore, der drei Muggel getötet hatte. Weder er noch Albus hatten das je abgestritten oder sich gegen die Anschuldigungen gewehrt.

„Wen hat er beschützt?“, fragte ich daher.

Albus holte tief Luft. „Meine Schwester.“

„Die ... eine Squib ist ...?“, hakte ich nach. Aber das ergab keinen Sinn. Sein Vater würde nicht für eine Squib nach Askaban gehen.

Albus hob ruckartig seinen Kopf. „Was?“

„Das sagt jedenfalls Gaunt. Aber so richtig Sinn ergibt es nicht. Wieso sollte dein Vater für sie den Kopf hinhalten, wenn sie eine Squib ist?“

„Ist sie nicht. Manchmal wünschte ich nur ... sie wäre es.“

Ich schnaubte. „Du spinnst ja.“

Albus sah mich verletzt an. „Ich meine es ernst.“

Verständnislos schüttelte ich den Kopf. „Deine Schwester ist also eine Hexe und du wünschst ihr, dass sie eine Missgeburt ist? Das kann nicht dein Ernst sein!“

„Nur weil jemand nicht zaubern kann, heißt das nicht, dass er oder sie eine Missgeburt ist“, hielt Albus dagegen.

„Wenn sie von Zauberern abstammen, schon. Weil sie glauben, mit ihrer Abstammung von Zauberern das Geburtsrecht zur Macht zu erben. Obwohl keine Magie in ihnen ist. Und das ist das Einzige, was noch schlimmer ist als ein dummer Muggel.“

„Das ist mir zu einseitig gedacht“, erwiderte Albus. „Außerdem,“ fügte er hinzu und seine Stimme wurde schärfer, „wäre meine Schwester eine Squib, wäre nichts von alledem passiert. Uns ginge es gut und –“

„Oder“, fiel ich ihm ins Wort, „du lässt die Verantwortung mal bei denen, die sie auch tragen. Den Muggeln und ihrer verfluchten Arroganz und dem Streben nach Macht, die ihnen nicht zusteht. Dem Willen, alles zu beherrschen, was sie übertreffen könnte. Das ist der Ursprung des Übels! Das ist, wogegen wir kämpfen.“

„Hab ich je etwas anderes behauptet? Du hast recht, Gellert. Es ist unser Geburtsrecht. Das der magisch Begabten. Aber wie ich dir schon erklärt habe, haben auch wir eine Verantwortung.“

Ich seufzte. „Ich weiß. Genau der Meinung war auch mein Vater. Er hat gemeint, die Heiligtümer könnten der Schlüssel dazu sein.“

„Wie sollen die Heiligtümer uns gegen die Muggel helfen?“, fragte Albus.

„Ich wünschte, ich wüsste es. Das Einzige von ihnen, welches etwas ausrichten könnte, wäre der Elderstab. Mit dem könnte man Hunderte auf einmal ...“

Ich erntete einen strengen Blick von Albus.

„Ist ja gut“, lenkte ich ein. „Nur so viel Gewalt, wie nötig ist. Ich hab’s kapiert. Aber wie sonst helfen uns die Heiligtümer?“

„Vielleicht finden wir hier etwas, was uns bei dieser Frage weiterbringt. Aufzeichnungen von deinem Vater vielleicht.“

„Davon gibt es zu viele, um sie alle in unserer Lebzeit zu sichten. Er hätte etwas Wichtiges, was ich finden soll, sicherlich nicht in einem Stapel seiner Aufzeichnungen vergraben.“

„Aber offen auf den Tisch gelegt hätte er es auch nicht, falls ...“

„Jemand hier eindringt, der es nicht finden darf“, beendete ich Albus‘ Satz. „Genau.“

Einen Moment lang dachte ich darüber nach, einen Aufrufezauber zu verwenden, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Das wäre zwecklos.

„Gibt es irgendetwas in diesem Raum, das eine Geschichte zwischen euch hat? Irgendetwas, worauf kein anderer kommen würde, was nur ihr beide wisst? Das wäre ein perfektes Versteck.“

Mein Blick glitt durch den Raum, ratlos erst, dann immer frustrierter. „Ich weiß es nicht“, seufzte ich.

Ich ließ mich von dem Stuhl auf den Boden sinken. „Hier habe ich manchmal gesessen, wenn er gearbeitet hat. Ich hab ihm dabei zugesehen. Oder er hat mir etwas beigebracht“, erzählte ich Albus. Ich schloss die Augen, durchwühlte Erinnerungen und versuchte, mich in mein sechsjähriges Ich hineinzuversetzen. Es klappte nicht. Als hätte ich keinen Zugang dazu.

„Und ich saß hier, als er mir erklärt hat, dass er sterben wird.“

Tick. Tack.

Ich hob meinen Blick und betrachtete mit finsterer Miene die Standuhr. Bisher hatte ich das Ticken ausgeblendet, nur jetzt ...

Albus rutschte ebenfalls von seinem Stuhl auf den Boden und saß mir nun gegenüber.

„Er hat mir gesagt, er weiß, was passieren würde“, erzählte ich weiter, „aber dass er es nicht aufhalten kann. Er hat mir sogar gesagt, dass er weiß, wie schwer es für mich werden würde. Und ich frage mich, ob das nur so dahin gesagt war oder ob er es wirklich wusste. Was das mit unserer Familie machen würde, vor allem mit meiner Mutter. Ich hab lange geglaubt, er wollte es nicht anders.“

„Und jetzt? Was glaubst du jetzt?“

„Ganz ehrlich? Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Wenn er weiß was passiert, als ein Seher und ein Zauberer, und wenn er so weit in die Zukunft sehen kann, dass er weiß, welche Folgen sein Tod hat – vor allem für mich – würde er nicht alles tun, um das aufzuhalten?“

„Ich weiß nicht“, entgegnete Albus nachdenklich. „Etwas zu wissen und etwas dagegen tun zu können, sind zwei verschiedene Sachen oder nicht?“

„Er wusste es Monate vorher! Aber ja. Er hat immer gesagt, dass man als Seher die Bürde hat, Dinge geschehen lassen zu müssen. Weil ...“

„Weil man weiß, dass es das Beste ist?“

„Wie meinst du das?“, fragte ich.

„Vielleicht war das der Weg, der am wenigsten Schaden angerichtet hat, und dein Vater musste ihn gehen, weil jeder andere Weg viel mehr geschadet hätte. Kausalität ist kompliziert. Vielleicht wärt ihr ohne seinen Tod alle gestorben. Dann hat er es nicht geschehen lassen, obwohl er euch geliebt hat, sondern weil er euch geliebt hat.“

Ich sah ihn an. „Das macht es einfacher. Es fühlt sich besser an. Nicht als hätte er uns im Stich gelassen.“

Albus nahm meine Hände in seine und beugte sich leicht vor, um mir in die Augen zu sehen. „Ich bin mir sicher, das hat er nicht. Genauso wie mein Vater uns nicht im Stich gelassen hat. Er hat getan, was er tun musste.“

„Sind wir also alle nur Sklaven des Schicksals?“, fragte ich ihn und blickte ihn ernst an.

„Nein. Er hatte die Wahl. Und wir haben die auch, okay?“ Er sah mich an und in seinem Blick lag eine wohltuende Wärme. Mit seinen Daumen strich er über meine Handinnenflächen. Das brachte mich zum Lächeln und mein Herz zum Klopfen.

„Welche Wahl haben wir?“

„Das überlasse ich dir.“ Sein Lächeln vertiefte sich. Unsere Blicke verhakten sich ineinander. Und plötzlich dachte ich daran, Albus zu küssen, und daran, wie das wäre. Doch etwas bremste mich, hielt mich zurück, und statt die Lücke zwischen uns zu überbrücken, drehte ich meinen Kopf zu der Uhr. Tick. Tack. Und der Moment war vorbei.

Albus sah verwirrt aus. „Soll ... ich sie abschalten?“, bot er an. „Die Uhr, meine ich. Wenn es dich stört, mach ich das.“

Ich sah ihn an und begriff es endlich. „Das ist es“, entfuhr es mir und ich stand auf, stolperte beinahe bei den zwei Schritten hin zu der Standuhr. Ich hockte mich davor, öffnete die kleine Tür und sah mich dem Pendel gegenüber. Wie Papa früher, schob ich vorsichtig meinen Finger so davor, dass die Schwingung sich abschwächte und schließlich zum Stillstand kam.

Ich wandte meinen Blick Albus zu. „Bei einer Muggeluhr wäre das nicht nötig gewesen“, erklärte ich ihm. „Die bleiben irgendwann stehen. Aber diese Uhr hatte mein Vater selbstständig mit mehreren Zaubern aufgewertet.“

Auf seinen fragenden Blick ergänzte ich: „Und er hat sie manchmal angehalten. Das hat mich damals schon verrückt gemacht.“ Ich lächelte, denn ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg war.

Ich wandte mich wieder der Uhr zu und hebelte das Pendel aus. Im selben Moment fiel mir ein schneeweißer Umschlag entgegen und ich wusste, dass wir nicht weiter zu suchen brauchten. „Du bist ein Genie, Albus!“ Ich warf ihm ein Lächeln zu, hob den Umschlag auf und streckte ihn Albus triumphierend entgegen. Nebeneinander ließen wir uns nieder. Seine Schulter berührte meine und das gab mir Sicherheit.

Ich wendete den Umschlag in meinen Händen. Er war mit einer Wachsversiegelung verschlossen. Ich erkannte das Familienwappen: Das spitze „G“, auf dem ein Drachen saß und seine Flügel schwang.

Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und griff hinein. Doch da war kein Pergament, wie ich erwartet hatte. Heraus zog ich eine Kette, an der ein aus Silber gefertigtes Symbol der Heiligtümer des Todes hing. Sie sah exakt aus wie meine.

Ratlos betrachtete Albus die Kette. Wortlos zog ich meine Eigene unter meinem Umhang hervor. „Das ist das Gegenstück. Er hat mir nie gesagt, was sie können. Dass sie etwas können, davon gehe ich aus. Es muss etwas bedeuten.“ Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete ich das Symbol, das im flackernden Licht gelegentlich beinahe aufleuchtete. „Irgendwas muss doch ...“

Ich spürte Albus‘ Hand auf meiner Schulter. „Lass das ein Problem für einen anderen Tag sein“, sagte er.

„Du verstehst das nicht!“, hielt ich dagegen. „Wir haben endlich etwas gefunden, das uns weiterbringt, wir können jetzt nicht –“

„Eben. Wir haben etwas gefunden. Morgen stehen wir bei Sonnenaufgang auf und machen weiter, in Ordnung? Du bist müde.“ Er strich mir kurz übers Haar. Er hatte recht. Ich war müde.

„Ich fürchte, das schulde ich dir, weil ich unseren romantischen Moment unterbrochen habe“, scherzte ich.

„So ist es.“ Albus erhob sich grinsend und streckte mir seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und er zog mich hoch. Ich sah ihn an. „Danke“, flüsterte ich.

Er zog mich aus dem Zimmer hinaus und die Treppen nach unten. Lachend ließ mich von ihm mitziehen. Die Last des Tages fiel von mir ab. Das erste Mal seit über zehn Jahren fiel die Schwere in diesem Haus von mir ab und es fühlte sich so an, als könnte das hier wieder ein Zuhause sein. Weil Albus da war. Er war jetzt so etwas wie mein Zuhause.

Unten angekommen blieb ich stehen. „Warte“, bat ich Albus leise, denn mich überkam der Drang, ihm zu sagen, was in mir vorging.

Er drehte sich zu mir und sah mich an. Wieder musste ich lächeln. „Ich muss dir was sagen.“

„Ja?“ Albus erwiderte mein Lächeln.

„Ich fühl mich einfach nur zu Hause bei dir“, brachte ich heraus, bevor ich es mir anders überlegen konnte. „Dass du mit hierher gekommen bist und nach alldem nicht gehst, sondern bei mir bleibst ... Du bist ...“

Albus sah mich erwartungsvoll an. Und so gewandt ich mit Worten sein konnte, jetzt fielen mir keine ein.

Ich spürte meinen Herzschlag bis in die Fingerspitzen, als ich mich zu ihm beugte und ihn küsste. Es fühlte sich an, als würden wir für diesen Moment eins werden. Da war nur er, seine Wärme, die sich in mir ausbreitete, und ein Hauch von Lavendel. Und in diesem Augenblick war das alles, was es gab. Albus.

Als wir uns voneinander lösten, lag unglaublich viel Wärme in seinen blauen Augen. „Das war schön“, sagte er leise.

Noch immer spürte ich meinen Herzschlag im ganzen Körper und auf einmal setzte er aus: Ein Geräusch drang zu mir. Nein, nicht jetzt. Lass mich in Ruhe!

Hatte Albus es auch gehört? Ja, er drehte sich zur Eingangstür. Gleichzeitig zogen wir die Zauberstäbe, unsere Schultern berührten sich und das war das Einzige, was mich dem eisernen Griff meiner Angst noch entzog. Ich wusste, wer es war. Und ich sollte recht behalten.

Er trat ein, lautlos wie früher schon. Während Albus seinen Zauberstab auf ihn gerichtet hatte, war ich erstarrt. Mir war eiskalt. Das war ein Traum, musste es sein.

Es war real.

Sein Blick glitt zwischen mir und Albus hin und her und er lachte. „Unser Sonnenschein ist also einer von der Sorte“, erklang seine Stimme von der Tür her. Seelenruhig schloss er sie, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Aber ich hätte es mir denken können. Unser abnormer Lieblingssohn nimmt alle Absonderlichkeiten mit, hab ich nicht recht?“

„Verschwinde“, hauchte ich und hasste mich dafür, dass meine Stimme in diesem Moment versagte.

Er lachte. „Oh nein. Ich lasse dich doch nicht im Stich. Papa hätte nicht gewollt, dass ich dich allein lasse, denkst du nicht auch, Bruderherz?“